Unionsbürger haben unter Umständen auch ohne Einkünfte Anspruch auf Kindergeld

Bürger der Europäischen Union (EU), die ihren gewöhnlichen Aufenthalt in einem Aufnahme-Mitgliedstaat begründet haben, können nicht – nur weil sie keine Einkünfte aus einer Erwerbstätigkeit in diesem Mitgliedstaat beziehen –während der ersten drei Monate ihres Aufenthalts vom Bezug von Kindergeld ausgeschlossen werden. Sofern sie sich rechtmäßig dort aufhalten, genießen sie grundsätzlich Gleichbehandlung mit inländischen Staatsangehörigen, so der EuGH in seinem Urteil vom August 2022.

Eine aus einem anderen Mitgliedstaat als Deutschland stammende Unionsbürgerin klagt vor einem deutschen Gericht gegen die Ablehnung ihres Kindergeldantrags für ihre drei Kinder durch die Familienkasse Niedersachsen- Bremen für die ersten drei Monate nach Gründung ihres Aufenthalts in Deutschland. Die Familienkasse war der Auffassung, dass die Antragstellerin nicht die im Juli 2019 in Deutschland eingeführten Voraussetzungen erfülle, um als Unionsbürgerin Kindergeld während der ersten drei Monate beanspruchen zu können: Sie habe in dieser Zeit keine „inländischen Einkünfte“ bezogen.

Mit diesem Erfordernis zielte der deutsche Gesetzgeber darauf ab, einen Zustrom von Staatsangehörigen anderer Mitgliedstaaten zu vermeiden, der möglicherweise zu einer unangemessenen Inanspruchnahme der hiesigen sozialen Sozialsysteme führen könnte. Dieses Erfordernis gilt dagegen nicht für deutsche Staatsangehörige, die von einem Aufenthalt in einem anderen Mitgliedstaat zurückkehren. Das deutsche Gericht hatte dem europäischen Gerichtshof die Frage vorgelegt, ob diese unterschiedliche Behandlung mit dem Unionsrecht vereinbar sei.EU-Bürger haben ein Recht auf Kindergeld, auch ohne Einkünfte

Der EuGH hat entschieden, dass jeder Unionsbürger, auch wenn er wirtschaftlich nicht aktiv ist, das Recht auf Aufenthalt im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats für einen Zeitraum von bis zu drei Monaten hat, wobei dieser lediglich im Besitz eines gültigen Personalausweises oder Reisepasses sein muss und ansonsten keine weiteren Bedingungen zu erfüllen hat. Allerdings auch nur, solange die Neubürger, samt Familienangehörigen, die Sozialhilfeleistungen des Aufnahmemitgliedstaats nicht unangemessen in Anspruch nehmen. In diesem Fall ist ihr Aufenthalt grundsätzlich rechtmäßig. Während dieser Zeit genießen die Unionsbürger vorbehaltlich vom Unionsgesetzgeber ausdrücklich vorgesehener Ausnahmen die gleiche Behandlung wie Inländer.

Der Aufnahme-Mitgliedstaat kann zwar gemäß einer im Unionsrecht zu diesem Zweck vorgesehenen Ausnahmebestimmung einem wirtschaftlich nicht aktiven Unionsbürger in den ersten drei Monaten seines Aufenthalts Sozialhilfeleistungen verweigern. Kindergeld stelle aber keine Sozialhilfeleistung im Sinne dieser Ausnahmebestimmung dar. Es wird nämlich unabhängig von der persönlichen Bedürftigkeit der Empfänger gewährt und dient nicht der Sicherstellung des Lebensunterhalts, sondern dem Ausgleich von Familienlasten. Voraussetzung ist aber eben ein gewöhnlicher Aufenthalt im Aufnahmemitgliedstaat.

Entscheidend ist, dass die (neuen) Unionsbürger während der fraglichen ersten drei Monate tatsächlich ihren gewöhnlichen Aufenthalt in dem Aufnahme-Mitgliedstaat haben. Ein nur vorübergehender Aufenthalt genügt insoweit nicht. Die Verlegung des gewöhnlichen Aufenthalts zurück in den Aufnahme-Mitgliedstaat impliziere nämlich, dass die betreffenden Personen den Willen zum Ausdruck gebracht haben, tatsächlich dort den gewöhnlichen Mittelpunkt ihrer Lebensinteressen zu errichten. Die Anwesenheit im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats muss also hinreichend dauerhaft ist, um sie klar von einem vorübergehenden Aufenthalt zu unterscheiden.

Urteil des Gerichtshof der Europäischen Union  vom 1.8.2022; AZ – C-411/20 –

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Kein Wegfall von Kindergeld weil ein Termin bei der Agentur für Arbeit versäumt wurde

Ein Vater und Kläger im vorliegenden Fall erhielt für seine Tochter Kindergeld. Diese hatte zunächst eine Ausbildung zur Altenpflegerin aufgenommen, doch musste sie nach kurzer Zeit wegen einer problematischen Schwangerschaft kündigen. Ordnungsgemäß meldete sich bei der Agentur für Arbeit arbeitsuchend. Leistungen seitens der Agentur waren damit nicht verbunden.

Einige Monate später meldete die Agentur für Arbeit die Tochter aus der Arbeitsvermittlung ab, weil sie ohne Angabe von Gründen nicht zu einem Termin erschienen und daher nicht verfügbar gewesen sei. Die Einstellung der Arbeitsvermittlung wurde der Tochter des Klägers, die zu diesem Zeitpunkt wie erwähnt keine Leistungen von der Arbeitsagentur erhielt, nicht bekanntgegeben.

Wegfall von KindergeldDie Familienkasse zahlte darauf auch kein Kindergeld an den Vater, da die Tochter die Berufsausbildung abgebrochen habe und bei der Arbeitsvermittlung nicht beziehungsweise nicht mehr als arbeitsuchendes Kind geführt wurde. Ein Einspruch des Vater war erfolglos, worauf es zur Klage kam.

Das Finanzgericht Rheinland-Pfalz folgte diesem Vorgehen nicht. Mit ihrem Urteil vom Mai 2022 erkannte sie, dass ein als arbeitsuchend gemeldetes Kind, das keine Leistungen von der Agentur für Arbeit bezieht und lediglich seiner allgemeinen Meldepflicht nicht nachkommt, keine Pflichtverletzung begeht, die dann zum Wegfall des Kindergeldes führt.

Das Finanzgericht hat der Klage für sechs Monate stattgegeben. Für diese Monate habe der Kläger einen Anspruch auf Kindergeld für seine Tochter als arbeitsuchend gemeldetes Kind. Die Tochter sei zwar durch die Agentur für Arbeit aus der Arbeitsvermittlung abgemeldet worden, die Einstellung der Arbeitsvermittlung sei der Tochter des Klägers allerdings nicht bekanntgegeben worden. In den Folgemonaten bestand kein weiterer Anspruch, da die Tochter dann 21 Jahre alt wurde und für Kindergeld nicht mehr berücksichtigt werden konnte.

Bei einem Arbeitssuchenden, der – wie die Tochter des Klägers – keine Leistungen beziehe, dürfe die Agentur für Arbeit die Vermittlung erst dann einstellen, wenn die in einem förmlichen Bescheid auferlegten Pflichten ohne wichtigen Grund nicht erfüllt worden seien. Eine solche Pflichtverletzung liege hier jedoch nicht vor, weil die Tochter des Klägers lediglich ihrer allgemeinen Meldepflicht nicht nachgekommen sei.

Urteil des Finanzgericht Rheinland-Pfalz vom 13. Juli 2022; AZ – 2 K 2067/20 –

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Mieter müssen die Kosten für die Anschaffung der Rauchmelder nicht übernehmen

Vermieter sind seit einigen Jahren dazu verpflichtet, Rauchmelder in ihren Immobilien zu installieren. Dass die Kosten für einen Kauf nicht als Betriebs- oder Nebenkosten geltend gemacht werden können, war bereits seit Längerem bekannt. Was allerdings bei einer Anmietung (als alternatives Modell der Vorsorge) der Rauchmelder gilt, war bisher nicht eindeutig definiert. Dies ändert sich nun mit dem Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) vom Mai 2022. Anschaffungskosten für Rauchmelder über die Nebenkosten abzusetzen, ist grundsätzlich nicht zulässig.

Kosten für Anschaffung der RauchmelderDer BGH hat für Rauchmelder bezüglich der Nebenkosten allerdings nur festgehalten, dass die Anschaffungs- oder Mietkosten allein Sache der Vermieter sind. Ausgenommen sind hier die Wartungskosten für die Geräte, da diese gemäß der Betriebskostenverordnung zu den umlagefähigen Nebenkosten zählen.

Im zu verhandelnden Fall hatte der Eigentümer seinem langjährigen Mieter 2015 mitgeteilt, dass er das Gebäude mit Rauchwarnmeldern ausstatten werde. Die Nebenkostenabrechnung wies dann vom Folgejahr an die Position „Miete + Wartung Rauchmelder“ aus, für die jede Mietpartei anteilig aufkommen musste. Dagegen wehrte sich der Mieter und klagte. Denn „Miete“ bedeute auch, dass der „Kauf“ mit in diesem Betrag enthalten sei.

Betriebskosten sind immer Kosten, die regelmäßig anfallen. Kauft ein Vermieter die Rauchmelder, hat der Punkt also nichts in der Nebenkostenabrechnung zu suchen. Umstritten war bisher, was gilt, wenn die Geräte extern angemietet werden. Die Richter des BGH stellen nun klar, dass das keinen Unterschied machen kann – sonst wäre Vermietern der Weg eröffnet, „auf einfache Weise (…) die im Grundsatz ihm zugewiesene Belastung mit Anschaffungskosten zu umgehen“. Bei den Kosten für die Miete von Rauchwarnmeldern handelt es sich nicht um sonstige Betriebskosten, sondern – da sie den Kosten für den Erwerb von Rauchwarnmeldern gleichzusetzen sind – um betriebskostenrechtlich nicht umlagefähige Aufwendungen. Kurz: Hier werden zwei Dinge miteinander – zu Unrecht – vermengt.

Die Richter der BGH betonen in ihrer Urteilsbegründung daher noch einmal ganz deutlich, dass die Wartungskosten für die Geräte ausgenommen sind, da diese gemäß der Betriebskostenverordnung unbestreitbar zu den umlagefähigen Nebenkosten zählen.

Urteil der Bundesgerichtshof vom 11.5.2022; AZ – VIII ZR 379/20 –

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Urteil: Arbeitgeber darf Betriebsrat nicht abmahnen

In Deutschland haben Gewerkschaften und ihre Vertreter nach wie vor eine starke Rolle in der Arbeitnehmer-Vertretung – anders als in vielen anderen Ländern. In den meisten Betrieben steht dafür zunächst der Betriebsrat und dessen Vertreter. Sie haben durch ihre besondere Tätigkeit einen hohen Schutz, was auch immer wieder Unternehmern ein Dorn im Auge ist. Doch Gerichte neigen hierzulande eher dazu, die Rechte der Arbeitnehmer zu schützen, wie auch ein aktuelles Urteil des Landesarbeitsgericht Hessen vom November 2021 zeigt.

Der Arbeitgeber hatte vom Betriebsrat unter Androhung arbeitsrechtlicher Schritte verlangt, es zu unterlassen, ein (vom Arbeitgeber erstelltes) Formular mit der Funktion einer „Jahresurlaubsplanung“ zu verändern oder anzupassen. Obwohl Mitglieder des Betriebsrats in der Ausübung ihrer Tätigkeit ganz klar nicht gestört oder behindert und auch nicht benachteiligt oder begünstigt werden dürfen, mahnte der Arbeitgeber den Betriebsrat in einer E-Mail ab.

Der Betriebsrat ist gesetzlich besonders geschützt!Der Arbeitgeber begründete das Ignorieren des Betriebsverfassungsgesetzes damit, dass interne Firmenunterlagen zu verändern und diese ungeprüft und ungefragt weiterzugeben, keine typische Tätigkeit sei und auch als Interna zu unterbinden. Das Schreiben endete denn auch mit dem Verweis, arbeitsrechtliche Schritte in Erwägung zu ziehen, sollte sich so ein Fall wiederholen. Was typischerweise eine Abmahnung wäre.

Eine „betriebsverfassungsrechtliche Abmahnung wegen einer betriebsverfassungsrechtlichen Amtspflichtverletzung ist generell unzulässig“, lautete jedoch die etwas in sich gedreht wirkenden Begründung der hessischen Richter. Beides, Abmahnung und Amtspflichtverletzung liegen quasi auf der gleichen Ebene, daher auch dieser Wortlaut der Erklärung.

Abmahnung für ein Verhalten, das der Mitarbeiter aufgrund seiner Stellung im Betriebsrat tätigt, kommt daher nicht in Betracht. Jedoch bleibt davon natürlich die Möglichkeit der Abmahnung in seiner Stellung als normaler Arbeitnehmer (die er gleichzeitig innehat) vollkommen unberührt – so zum Beispiel, wenn er Pflichten aus seinem geltenden Arbeitsvertrag verletzt. Der Abmahnung kann er dann auch nicht die Mitgliedschaft im Betriebsrat entgegenhalten.

Die Möglichkeit, gegen eine Abmahnung durch den Arbeitgeber vorzugehen, steht übrigens nur dem abgemahnten Betriebsratsmitglied selbst offen. Ein entsprechendes Recht des Betriebsrats als Kollektiv existiert hingegen nicht.

Urteil des hessischen Landesarbeitsgerichts vom 29.11.2021; AZ – 16 TaBV 52/21–

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Bundesverfassungsgericht: Corona-bedingte Schließung der Gastronomie war rechtmäßig

Cafés, Kneipen und Restaurants – die gesamte Gastronomie – musste in den Hochphasen der Corona-Pandemie zeitweise geschlossen werden. Ein Jahr nach den Einschränkungen durch die sogenannte Bundes-Notbremse billigte das Bundesverfassungsgericht diese Maßnahme als rechtmäßig. Die Entscheidung kommt nicht überraschend, da die Karlsruher Richter zentrale Maßnahmen der Corona-Notbremse schon vor einigen Monaten als gerechtfertigt eingestuft haben. Dabei ging es um die Kontakt- und Ausgangsbeschränkungen und die vorübergehende Schließung von Schulen.

Gaststätten mussten schließen, sobald die vorgegebene Schwelle erreicht war (Sieben-Tage-Inzidenz in einem Landkreis oder einer kreisfreien Stadt an mehreren Tagen über 100). Sie durften dann allerdings noch Essen und Getränke zum Mitnehmen verkaufen oder auf Bestellung ausliefern. Der Geschäftsführer der klagenden GmbH war der Ansicht, die Schließungen seien so nicht erforderlich gewesen. Verpflichtende Hygienekonzepte und Tests hätten vollkommen ausgereicht, die Gastronomie weiter zu betreiben.

Corona-bedingte Schließung der Gastronomie ist rechtmäßig

Die Entscheidung gegen dieses Argument fiel dann recht unmissverständlich aus: Die Verfassungsrichter betonen den weiten Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers. Damals habe eine „besondere Dringlichkeit“ bestanden, „zum Schutz der überragend bedeutsamen Rechtsgüter Leben und Gesundheit sowie der Funktionsfähigkeit des Gesundheitssystems tätig zu werden“. Die zentrale Begründung macht das noch einmal deutlich: „Der grundsätzliche Ansatz, den Schutz der Gemeinwohlbelange primär durch Maßnahmen der Kontaktbeschränkung an Kontaktorten zu erreichen – wozu auch die Schließung von Gaststätten zu zählen ist – ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.“

In der Abwägung zwischen dem Eingriff in Grundrechte und eventuell entgegenstehenden Belangen habe der Gesetzgeber einen verfassungsgemäßen Ausgleich gefunden, so die Richter und erläutern: „Hier ist der Wirtschaftszweig der Gastronomie insgesamt stark belastet worden. Doch sorgten die Vorschrift und die sie begleitenden staatlichen Hilfsprogramme für einen hinreichenden Ausgleich zwischen den verfolgten besonders bedeutsamen Gemeinwohlbelangen und den erheblichen Grundrechtsbeeinträchtigungen.“ Durch die Befristung und die am jeweiligen örtlichen Geschehen ausgerichtete Differenzierung wurde die Belastung durch die angegriffene Regelung begrenzt und habe bewirkt, dass die Regelung faktisch in keinem Gebiet Deutschlands die Höchstdauer von zwei Monaten erreichte.

Die mittlerweile veränderte Lage mit der sogenannten Hotspot-Regel erlaubt zusätzliche Vorgaben, etwa wenn ein Landesparlament eine regional drohende kritische Lage für Kliniken feststellt. Unabhängig von staatlichen Regeln können Firmen, Geschäfte und andere Einrichtungen nach Hausrecht weiterhin Vorgaben wie Maskenpflichten beibehalten.

Urteil des Bundesverfassungsgericht vom 10.5.2022; AZ – 1 BvR 1295/21 –

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Müssen Betreiber von Biogas-Anlagen eigene Lagerkapazitäten für ihre Gärrückstände vorhalten?

Sie werden Teil der zukünftigen, unabhängigen Energie-Versorgung: Die Bundesregierung hat klar gemacht, dass Biogas-Anlagen zu den wichtigsten Bausteinen ihrer Energie-Politik gehören. Neue Verordnungen und Urteile werden daher demnächst verstärkt in den Vordergrund treten. Einen solchen aktuellen Fall hatte der 10. Senat des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts im April 2022 zu entscheiden.

Dabei ging es um die bestehende Verpflichtung der Klägerin zur Vorhaltung von Lagerkapazitäten – und ob diese entfallen kann, wenn sie durch schriftliche, vertragliche Vereinbarungen mit einem Dritten sicherstellt, dass die das betriebliche Fassungsvermögen übersteigende Menge der von ihr erzeugten Gärrückstände nach den Regeln der Düngeverordnung landwirtschaftlich – insbesondere auch als Düngemittel – verwertet wird.

Die Betreiberin der Biogas-Anlage betreibt diese ohne über eigene Aufbringungsflächen für die bei dem Betrieb der Anlage anfallenden Gärrückstände zu verfügen. Nach der aktuellen Düngeverordnung von 2017 wird festgelegt, dass solche Biogas-Anlagen-Betriebe, seit dem 1. Januar 2020 sicherzustellen haben, dass sie mindestens die in einem Zeitraum von neun Monaten anfallenden Gärrückstände sicher lagern können – wenn sie diese im Betrieb verwenden oder an andere zu Düngezwecken abgeben.Soweit Biogas-Anlagen nicht selbst über Anlagen zur Lagerung verfügen, müssen Verträge mit Dritten sicherstellen, dass dies gewährleistet ist

Soweit der Betrieb nicht selbst über erforderlichen Anlagen zur Lagerung verfügt, hat der Inhaber durch vertragliche Vereinbarungen mit Dritten sicherzustellen, dass die das Fassungsvermögen übersteigende Menge überbetrieblich gelagert oder verwertet wird, so die Verordnung wortwörtlich.

Die Betreiberin der Anlage vertritt die von der beklagten Landwirtschaftskammer Niedersachsen abweichende Auffassung, dass „Verwertung“ auch die überbetriebliche landwirtschaftliche Verwertung, insbesondere durch eine Verwendung als Düngemittel umfasse. Das Verwaltungsgericht in Oldenburg hatte diese Klage mit Urteil vom 30. September 2020 abgewiesen. Die Entscheidung hat es insbesondere darauf gestützt, dass nur eine Verwertung, bei der die Gärrückstände nicht zum Zwecke der Düngung verwendet würden, den Zielen der Vorschrift (dem Boden- und Gewässerschutz) gleichermaßen gerecht werde.

Das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht sah das anders: Die Verwertung durch Dritte sei auch eine landwirtschaftliche Nutzung von Gärrückständen als Düngemittel, dies ergebe sich bereits aus dem Wortlaut der Vorschrift. Sofern der Verordnungsgeber die Verwertungsmöglichkeiten hätte einschränken wollen, hätte er dies bei der Ausgestaltung der Norm zum Ausdruck bringen müssen. Allerdings hätten Betreiber von Biogas-Anlagen vertraglich sicherzustellen, dass die Verwertung auch entsprechend den Vorgaben der Düngeverordnung erfolgen werde.

Der Senat hat wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache die Revision zum Bundesverwaltungsgericht zugelassen, da es sich bei der Düngeverordnung um eine bundesweit geltende Regelung handelt.

Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht, Urteil vom 21.04.2022; AZ – 10 LC 247/20 –

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Textnachrichten im Auto schreiben und Frau überfahren: Verurteilung und Gefängnis wegen fahrlässiger Tötung

Leider immer noch Alltag: Autofahrer ignorieren das Verbot mit Mobiltelefonen oder anderen elektronischen Geräten (auch Navis) zu hantieren während sie fahren. Das führt denn auch teilweise zu schweren Unfällen und im schlimmsten Fall zum Tod unbeteiligter Personen. So hatte der in diesem Fall verurteilte Autofahrer Textnachrichten geschrieben und in der Folge eine Frau tödlich verletzt.

Das Amtsgericht Paderborn hatte den Angeklagten wegen fahrlässiger Tötung in Tateinheit mit fahrlässiger Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt. Auf die Berufung des Angeklagten hat das Landgericht Paderborn die Freiheitsstrafe auf ein Jahr und neun Monate herabgesetzt, die Vollstreckung der Strafe jedoch nicht wie vom Angeklagten erstrebt zur Bewährung ausgesetzt. Die Verurteilung zu einer vollstreckbaren Freiheitsstrafe von einem Jahr und neun Monaten ist mit der Entscheidung des Oberlandesgerichts Hamm vom März 2022 rechtskräftig.

Im konkreten Fall war der Autofahrer mit überhöhter Geschwindigkeit gefahren und hatte dabei auf seinem Mobiltelefon zwei Textnachrichten gelesen sowie eine sehr kurze Antwort geschrieben. Dann legte er das Telefon in der Mittelkonsole und merkte dadurch nicht, dass er sich in einer langgezogenen Rechtskurve drei Personen auf Fahrrädern, einer Mutter mit ihrer 3-jährigen Tochter auf dem Fahrradkindersitz und der davor mit ihrem Kinderrad fahrenden 6-jährigen Tochter, näherte. Als er wieder aufschaute, bemerkte er die Familie zu spät, versuchte noch abzubremsen, kollidierte aber noch mit einer Geschwindigkeit von 82 km/h oder mehr mit den Fahrradfahrern. Durch den Unfall wurden die Mutter getötet und beide Mädchen schwer verletzt.Textnachrichten im Auto schreiben

Das Landgericht hat bei der Strafzumessung zu Gunsten des Angeklagten im Wesentlichen dessen bereits früh abgelegtes umfassendes Geständnis, das auch den Kindern eine belastende Aussage in der Hauptverhandlung ersparte, und die Zahlung eines Schmerzensgeldes von 10.000 Euro, für die der Angeklagte einen Kredit aufnahm, und mehrere Entschuldigungen des Angeklagten berücksichtigt. Außerdem hat es zu seinen Gunsten berücksichtigt, dass er zuvor weder strafrechtlich noch verkehrsrechtlich belastet war. Zu seinen Lasten hat das Landgericht im Wesentlichen gewürdigt, dass der Angeklagte während der Fahrt sein Mobiltelefon bediente. Vor allem das Verfassen der Textnachricht stelle eine massive Ablenkung vom Verkehrsgeschehen dar, so dass dem Angeklagten insgesamt eine ganz erhebliche Sorg- und Verantwortungslosigkeit vorzuwerfen sei.

Eine Strafaussetzung zur Bewährung lehnte das Landgericht jedoch ab. Vor seinem allgemeinen Hintergrund könne dem sozial integrierten Angeklagten zwar eine günstige Prognose gestellt werden. Auch lägen deswegen besondere Umstände vor, die die Strafaussetzung einer über ein Jahr hinausgehenden Freiheitsstrafe ausnahmsweise zulassen würden. Eine Strafaussetzung zur Bewährung komme hier jedoch nicht in Betracht, da die Vollstreckung der Freiheitsstrafe zur Verteidigung der Rechtsordnung geboten sei. Insbesondere der vorsätzliche Verstoß gegen das Verbot, elektronische Geräte wie Mobiltelefone aufzunehmen und zu bedienen (Textnachrichten / SMS schreiben), stelle sich hier als besonders schwerwiegend dar. Die Tat sei dabei auch Ausdruck einer verbreiteten Einstellung, die diese klare Norm nicht ernst nehme und von vorneherein auf die Aussetzung einer etwaigen Freiheitsstrafe zur Bewährung vertraue.

Oberlandesgericht Hamm, Urteil vom 17.3.2022; AZ – III-4 RVs 13/22 –

Foto: Andrey Popov

Geschwindigkeitsüberschreitung: Das Wissen, schneller als erlaubt zu fahren

Ein vorsätzlicher Geschwindigkeitsverstoß setzt nicht voraus, dass der Betroffene exakte Kenntnis von der Geschwindigkeitsüberschreitung hat. Es reicht das Wissen, schneller als erlaubt zu fahren. Dies hat das Oberlandesgericht Hamm im Februar 2022 entschieden.

In dem zugrunde liegenden Fall hatte das Oberlandesgericht Hamm darüber zu entscheiden, ob ein solcher Geschwindigkeitsverstoß tatsächlich auch voraussetzt, dass der Betroffene den Umfang der Geschwindigkeitsüberschreitung kennt.

Genügt das Wissen um eine Geschwindigkeitsüberschreitung?Das Oberlandesgericht Hamm entschied, dass die Annahme eines vorsätzlichen Geschwindigkeitsverstoßes nicht voraussetzt, dass der Betroffene den tatsächlichen Umfang der Geschwindigkeitsüberschreitung exakt kennt. Das erkennbare Wissen, schneller als erlaubt zu fahren, führt bereits auf diesen Weg.

Wer im Bewusstsein die zulässige Höchstgeschwindigkeit jedenfalls nicht unerheblich überschritten zu haben unterlasse, dann auch seine Geschwindigkeit etwa durch den Blick auf den Tachometer zu kontrollieren und nicht vermindern, bringe hinreichend zum Ausdruck, dass er einen Verstoß in dem tatsächlich realisierten Ausmaß zumindest billigend in Kauf nimmt.

Oberlandesgericht Hamm, Beschluss vom 7.2.2022; AZ – 5 RBs 12/22 –

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BGH-Entscheidung: Staat haftet nicht für Einnahmeausfälle wegen Corona-Lockdown

Am 22. März 2020 erließ das beklagte Land Brandenburg eine Corona-Eindämmungsverordnung, wonach Gaststätten für den Publikumsverkehr zu schließen waren und den Betreibern von Hotels untersagt wurde, Personen zu touristischen Zwecken zu beherbergen. Der Kläger bot während der Zeit der Schließung seiner Gaststätte Speisen und Getränke im Außerhausverkauf an. Im Rahmen eines staatlichen Soforthilfeprogramms zahlte die Investitionsbank Brandenburg 60.000 Euro als Corona-Soforthilfe.

Der Kläger hatte zusätzlich geltend gemacht, es sei verfassungsrechtlich geboten, ihn und andere Unternehmer für die durch die Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie erlittenen Umsatz- und Gewinneinbußen zu entschädigen.

Der Bundesgerichtshofs hat nun über diese Frage entschieden: Die Entschädigungsvorschriften des Infektionsschutzgesetzes gewähren Gewerbetreibenden, im Rahmen der Bekämpfung der Corona-Pandemie keinen (weiteren) Ersatz für Verdienstausfall, für nicht gedeckte Betriebskosten oder Arbeitgeberbeiträge zur Kranken-, Renten- und Pflegeversicherung. Das Landgericht hat auch schon die geforderten 27.000 Euro nebst Prozesszinsen sowie eine Feststellung der Ersatzpflicht des Beklagten für alle weiteren entstandenen Schäden gerichtete Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers vor dem Oberlandesgericht war ebenfalls erfolglos geblieben.Staat haftet nicht für Einnahmeausfälle wegen Corona-Lockdown

Der Kläger ist Inhaber eines Hotel- und Gastronomiebetriebs. Der Betrieb des Klägers war in dem Zeitraum vom 23. März bis zum 7. April 2020 für den Publikumsverkehr geschlossen, ohne dass die COVID-19-Krankheit zuvor dort aufgetreten war. Nach ihrem eindeutigen Wortlaut des Infektionsschutzgesetz ist die Vorschrift nur bei Maßnahmen zur Verhütung übertragbarer Krankheiten in Frage kommend. Im vorliegenden Fall dienten die Corona-Eindämmungsverordnung jedoch der Bekämpfung der COVID-19-Krankheit. Diese hatte sich bereits zum Zeitpunkt des Erlasses der Verordnung deutschlandweit ausgebreitet.

Grundsätzlich gilt dabei: Die verfassungskonforme Auslegung einer Norm setzt voraus, dass mehrere Deutungen möglich sind. Sie findet ihre Grenze an dem klaren Wortlaut der Bestimmung und darf nicht im Widerspruch zu dem eindeutig erkennbaren Willen des Gesetzes stehen. Dieser Wortlaut sei im konkreten Fall auch klar erkennbar und lasse eine ausdehnende Auslegung nicht zu. Zudem würde der eindeutige Wille des Gesetzgebers konterkariert, nur ausnahmsweise, aus Gründen der Billigkeit eine Entschädigung vorzusehen.

Den infektionsschutzrechtlichen Entschädigungstatbeständen liegt, was sich insbesondere aus ihrer Entstehungsgeschichte und der Gesetzgebungstätigkeit während der Corona-Pandemie ergibt, die abschließende gesetzgeberische Entscheidung zugrunde, Entschädigungen auf wenige Fälle punktuell zu begrenzen. Erweiterungen seien denn auch ggf. ausdrücklich zusätzlich ins Gesetz aufzunehmen. Darüber hinaus fehle es hier auch an der Vergleichbarkeit der Interessenlage zwischen den Entschädigungsregelungen nach Infektionsschutzgesetz und flächendeckenden Betriebsschließungen, die auf gegenüber der Allgemeinheit getroffenen Schutzmaßnahmen beruhen.

Es erschien dem BGH zudem sehr zweifelhaft, ob ein Ausgleichanspruch, der bislang vor allem auf Härtefälle bei unzumutbaren Belastungen einzelner Eigentümer angewandt worden war, geeignet ist, auf Pandemielagen im Sinne einer gerechten Lastenverteilung zutreffe. Hilfeleistungen für von einer Pandemie schwer getroffene Wirtschaftsbereiche sind keine Aufgabe der Staatshaftung. Erst eine gesetzliche Regelung kann konkrete Ausgleichsansprüche der einzelnen Geschädigten begründen.

Dieser sozialstaatlichen Verpflichtung kann der Staat zum Beispiel dadurch nachkommen, dass er, wie im Fall der COVID-19-Pandemie tatsächlich geschehen, haushaltsrechtlich durch die Parlamente abgesicherte Ad-hoc-Hilfsprogramme auflegt („Corona-Hilfen“), die kurzfristige, existenzsichernde Unterstützungszahlungen an betroffene Unternehmen erlauben. Diese hatte der Kläger ja dann auch bereits vorab erhalten.

Bundesgerichtshof, Urteil vom 17.3.2022; AZ – III ZR 79/21 –

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Keine überdimensionale Garage im Gartenbereich wegen negativer Vorbildwirkung planen!

Eine geplante Garage mit einer Grundfläche von 80 qm ist wegen der von ihr ausgehenden negativen Vorbildwirkung bauplanungsrechtlich unzulässig. Das entschied das Verwaltungsgericht Mainz im Februar 2022.

Dem Bauherrn war eine Baugenehmigung zur Errichtung der großen Garage (Traufhöhe 3,20 m, Firsthöhe 4 m) unmittelbar an der rückwärtigen Grenze seines Wohnhaus genehmigt worden, nachdem die Gemeinde ihr Einvernehmen erteilt hatte. Der schüttete in der Folgezeit sein an einem Hang liegendes Grundstück um bis zu 1,60 m auf und bereitete die Herstellung einer Bodenplatte für eine Garage vor. Die Baugenehmigungsbehörde ließ daraufhin weitere Bauarbeiten einstellen.

Der Bauherr reichte darauf hin einen neuen Bauantrag für den Bau einer gleichgroßen Garage ein und beanspruchte dabei die alte Genehmigung in Form einer Wiedereinsetzung. Jetzt sollte diese auf dem aufgeschüttetem Teil des Grundstücks und mit einem Abstand von drei Metern zur hinteren Grundstücksgrenze entstehen. Die Gemeinde lehnte ab mit dem Hinweis auf die wegen der Aufschüttung überdimensional wirkenden Garage in einem Bereich, in dem allein Gärten und kleine Schuppen anzutreffen seien. Die optische Wirkung des ursprünglichen Vorhabens ohne Aufschüttung sei weniger massiv gewesen.Keine überdimensionale Garage im Gartenbereich bauen!

Der Bauherr habe das von der Gemeinde verweigerte Einvernehmen im neuen Antrag zu Unrecht ersetzt, so das Gericht, denn das im unbeplanten Innenbereich vorgesehene Garagengebäude sei bauplanungsrechtlich unzulässig. Es füge sich nicht in die nähere Umgebung ein. Unter Einbeziehung der Aufschüttung erreiche die Garage mit ihrer ohnehin großen Grundfläche ein Bauvolumen, das den in der näheren Umgebung anzutreffenden Rahmen auch hinsichtlich des Standorts klar überschreite. Mit der Garage würde erstmals ein von seiner Dimension eher mit einem Wohnhaus vergleichbares Gebäude im rückwärtigen Bereich von Wohngrundstücken entstehen.

Das Vorhaben füge sich auch nicht ausnahmsweise in die nähere Umgebung ein, die bisher eben nur von Gartenflächen und kleineren Nebenanlagen geprägt sei. Es entfalte für die rückwärtige Grünzone der Grundstücke eine negative Vorbildwirkung – zumindest für vergleichbare massive Nebengebäude. Mit Blick auf die Änderung der ursprünglich vorgesehenen Garage hinsichtlich ihrer Höhe und ihres Standorts sei die Gemeinde auch nicht an ihr früher erteiltes Einvernehmen gebunden, sondern berechtigt gewesen, bei der Genehmigung des „anderen“, des neuen Vorhabens das Einvernehmen zu versagen.

Urteil des Verwaltungsgericht Mainz vom 16.2.2022; AZ – 3 K 411/21.MZ –

Foto: GM Photography