Vorrang und Spurwahl: Regelung für Abbiegevorgängen bei mehrspurigen Straßen

In der Praxis des Straßenverkehrs kommt es häufig zu Situationen, in denen Verkehrsteilnehmende vor der Herausforderung stehen, die Regeln des Vorrangs – insbesondere beim Abbiegen – richtig zu interpretieren. Ein Fall, der vor dem Oberlandesgericht Saarbrücken verhandelt wurde, beleuchtet die Komplexität der Vorrangregelungen von Abbiegevorgängen bei mehrspurigen Straßen. Das Urteil vom Oktober 2023 wirft Licht auf die Bedeutung der genauen Kenntnis und Einhaltung der Straßenverkehrsordnung (StVO) für alle Verkehrsteilnehmer.

Im April 2021 ereignete sich in Saarbrücken ein Verkehrsunfall an einer Kreuzung, bei dem zwei Fahrzeuge beteiligt waren. Ein Autofahrer beabsichtigte nach rechts abzubiegen und wählte für seine Weiterfahrt die linke von mehreren Fahrspuren. Gleichzeitig unternahm ein entgegenkommender Verkehrsteilnehmer einen Linksabbiegevorgang in die gleiche Fahrspur – in der irrigen Annahme, der rechts Abbiegende würde sich für die rechte Fahrspur entscheiden. Diese Fehleinschätzung in schwieriger Situation führte zu einem Zusammenstoß, der dann später rechtlich zu beurteilen war.

Vorrangregelungen von Abbiegevorgängen bei mehrspurigen Straßen. Das Landgericht Saarbrücken wies die Schadensersatzforderung des Linksabbiegers ab, eine Entscheidung, die durch die Berufung beim Oberlandesgericht Saarbrücken bestätigt wurde. Die Richter stellten klar, dass der Linksabbieger eine bestehende Wartepflicht verletzt hatte. Die entscheidende Erkenntnis aus dem Urteil ist, dass beim Abbiegen in Straßen mit mehreren Fahrspuren kein Verlass darauf besteht, dass ein entgegenkommender Abbieger die für ihn vermeintlich „richtige“ Spur wählt. Tatsächlich umfasse der Vorrang des Rechtsabbiegers auch die Freiheit, zwischen mehreren Fahrspuren zu wählen, ohne dass dies als Fahrstreifenwechsel im Sinne eines Verstoßes gegen die StVO angesehen wird, so das Saarbrücker Gericht.

Einschränkend wurde dem Rechtsabbieger ein Sorgfaltsverstoß angelastet, da er den Zusammenstoß hätte vorhersehen und hätte auf typischen mehrspurigen Straßen seine Fahrweise anpassen müssen. Trotzdem fiel die Haftungsverteilung überwiegend zu Ungunsten des Linksabbiegers aus, was die Bedeutung der Vorrangregelungen und die Notwendigkeit einer umsichtigen Fahrweise unterstreicht.

Der Fall verdeutlicht erneut, dass im Straßenverkehr eine hohe Aufmerksamkeit und Kenntnis der geltenden Vorschriften essentiell sind. Es zeigt sich, dass die Annahmen über das Verhalten anderer Verkehrsteilnehmender jederzeit kritisch zu hinterfragen sind und stets eine defensive Fahrweise angewendet werden sollte, um Unfälle zu vermeiden.

Oberlandesgericht Saarbrücken, Urteil vom 20.10.2023; AZ – 3 U 49/23 –

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Fahrerlaubnisentzug bei Trunkenheitsfahrt mit E-Scooter

Das Oberlandesgericht Braunschweig hat in einem Urteil vom November 2023 die rechtlichen Konsequenzen für Trunkenheitsfahrten mit E-Scootern unzweideutig festgelegt. Im Kern der Entscheidung steht die Feststellung, dass eine Fahrt unter Alkoholeinfluss mit einem E-Scooter ganz selbstverständlich eine Fahrerlaubnisentzug nach sich ziehen kann. Hier gibt es keinen besonderen Schutz.

Dieser Grundsatz wurde in einem Fall aus Göttingen angewandt, in dem der Fahrer eines E-Scooters mit einem Blutalkoholwert von 1,83 Promille von der Polizei kontrolliert wurde. Trotz der vom Amtsgericht verhängten Geldstrafe und des Fahrverbots ohne Entzug der Fahrerlaubnis, wies das Oberlandesgericht darauf hin, dass der Gesetzgeber E-Scooter als Kraftfahrzeuge einstuft, für deren Führung im Zustand der Fahruntüchtigkeit strenge Sanktionen vorgesehen sind.

Führung im Zustand der Fahruntüchtigkeit: strenge Sanktionen Die Entscheidung des Amtsgerichts, von einer Entziehung der Fahrerlaubnis abzusehen, wurde vom Oberlandesgericht nicht geteilt. Vielmehr betonte das Gericht, dass die Fahrt mit einem E-Scooter im betrunkenen Zustand grundsätzlich als Indiz für die Ungeeignetheit zum Führen von Kraftfahrzeugen angesehen wird. Diese Sichtweise berücksichtigt das Gefährdungspotential, das von E-Scootern ausgeht, und stellt sie Fahrrädern gleich. Dabei wurde auch auf die bestehende Rechtsprechung verwiesen, die für Fahrradfahrer einen Grenzwert von 1,6 Promille ansetzt, während die Frage, ob der Grenzwert für Kraftfahrzeugführer von 1,1 Promille auch für E-Scooter gilt, offenblieb. Ein Fahrerlaubnisentzug wegen Trunkenheit ist daher nicht ungewöhnlich.

Diese durchaus richtungsweisende Entscheidung unterstreicht die Ernsthaftigkeit, mit der die Justiz Fälle von Trunkenheit im Verkehr behandelt, unabhängig vom verwendeten Verkehrsmittel. Sie macht deutlich, dass der Schutz der Verkehrssicherheit und die Verantwortung der Verkehrsteilnehmer oberste Priorität haben. Fahrer von E-Scootern müssen sich daher der Tatsache bewusst sein, dass Alkoholkonsum vor der Nutzung schwerwiegende rechtliche Folgen haben kann, einschließlich des Verlusts der Fahrerlaubnis. Die Entscheidung signalisiert auch ganz klar eine strenge Haltung der Justiz gegenüber Trunkenheitsfahrten und hebt die Verantwortung jedes Verkehrsteilnehmers hervor.

Oberlandesgericht Braunschweig, Urteil vom 30.11.2023; AZ – 1 ORs 33/23 –

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Umfassendes Radfahrverbot bei Alkoholmissbrauch möglich: Rechtsgrundlagen und Konsequenzen

In Deutschland regelt bekanntlich die Straßenverkehrsordnung (StVO) das Verhalten aller Verkehrsteilnehmer, einschließlich der Radfahrer. Obwohl für das Fahrradfahren keine spezifische Fahrerlaubnis erforderlich ist, können Radfahrer unter bestimmten Umständen mit einem Fahrverbot belegt werden. Ein Radfahrverbot tritt vor allem dann in Kraft, wenn durch das Verhalten des Radfahrers die Verkehrssicherheit gefährdet wird.

Ein solches Verbot wird meist bei gravierenden Verstößen gegen die StVO ausgesprochen. Zu diesen Verstößen gehören unter anderem Trunkenheitsfahrten, das Missachten von Ampelsignalen oder das Befahren der falschen Fahrbahnseite. Ebenso kann die Benutzung eines technisch nicht verkehrssicheren Fahrrads ein Fahrverbot nach sich ziehen.

Die Folgen eines Fahrverbots sind erheblich. Es bedeutet, dass die betroffene Person temporär nicht am Straßenverkehr teilnehmen darf. Wer ein Radfahrverbot ignoriert, riskiert Bußgelder bis zu 1.000 Euro und weitere rechtliche Konsequenzen.

Radfahrverbot bei Alkoholmissbrauch möglich: RechtsgrundlagenEin Urteil aus Niedersachsen vom August 2023 illustriert die Ernsthaftigkeit solcher Bestimmungen. Ein Radfahrer wurde mit einer Blutalkoholkonzentration von 1,95 Promille aufgegriffen. Ein daraufhin erstelltes medizinisch-psychologisches Gutachten bestätigte eine hohe Wahrscheinlichkeit der Wiederholung ähnlicher Vorfälle. Daraufhin verhängten die Behörden ein sofortiges Fahrverbot. Die rechtliche Grundlage für dieses Verbot findet sich in § 3 FeV (Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr).

Das Oberverwaltungsgericht Lüneburg bestätigte die Rechtmäßigkeit des Verbots und betrachtete es als angemessene Maßnahme. Die Richter stellten fest, dass Radfahrer mit einer Blutalkoholkonzentration über 1,6 Promille als nicht fahrtüchtig gelten. Das Gericht unterstrich, dass das Verbot eine geringe Eingriffsintensität aufweist, da die betroffene Person generell weniger auf das Fahrrad als auf ein Kraftfahrzeug angewiesen ist.

Das Urteil zeigt ganz deutlich, dass auch Radfahrer bei nicht konformer Verkehrsteilnahme mit ernsthaften rechtlichen Folgen rechnen müssen. Es verdeutlicht zudem, dass die Verantwortung für die Verkehrssicherheit nicht nur bei Autofahrern, sondern auch bei Fahrradfahrern liegt. Um Punkte in Flensburg oder mit dem Fahrrad ein Fahrverbot zu erhalten, muss kein Führerschein vorliegen. Selbst Radfahrer ohne eine Fahrerlaubnis können ein Fahrverbot erhalten.

Das Radfahrverbot ist eine wichtige Maßnahme zur Sicherstellung der Verkehrssicherheit, das allzu oft eher leichtfertig als „sicher“ bei Alkoholgenuss interpretiert wird. Das Urteil betont jedoch erkennbar, dass das Verkehrsrecht eben alle Verkehrsteilnehmer umfasst und auch vermeintlich „schwache“ durchaus nicht von Strafen, Bußgeldern und Fahrverboten ausgenommen sind.

Urteil des Oberverwaltungsgericht Lüneburg vom 23.8.2023; AZ– 12 ME 93/23 –

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BGH: Verwahrkosten für von privat abgeschleppte Fahrzeuge sind zeitlich limitiert

In einem Urteil vom November 2023 hat der Bundesgerichtshof wichtige Grundsätze zur Ersatzfähigkeit der Kosten für die Verwahrung eines privat abgeschleppten Fahrzeugs geklärt. Im Kern ging es um die Frage, inwieweit die Verwahrkosten, die nach dem Abschleppen eines unbefugt auf Privatgrund abgestellten Fahrzeugs entstehen, vom Fahrzeughalter erstattet werden müssen.

Der Grundstücksbesitzer nimmt mit dem Abschleppen ein Selbsthilferecht wahr, das einfach handhabbar sein muss und nicht mit Haftungsrisiken behaftet sein darf. Deshalb ist er nicht gehalten, einen Parkplatz im öffentlichen Parkraum ausfindig zu machen, sondern er darf das Fahrzeug in sichere Verwahrung geben.

Im konkreten Fall hatte der Kläger sein Fahrzeug an seine Schwester verliehen, die es unbefugt auf einem privat verwalteten Grundstück parkte. Daraufhin ließ die Verwaltung das Fahrzeug abschleppen. Die Besonderheit: Nachdem der Kläger sein Fahrzeug zurückforderte, reagierte das Abschleppunternehmen nicht, und es entstanden weiterhin Verwahrkosten.

Verwahrkosten für von privat abgeschleppte Fahrzeuge geregelt durch BGH-UrteilDie juristische Auseinandersetzung konzentrierte sich denn auch darauf, ob und in welchem Umfang der Fahrzeughalter für die Verwahrkosten aufkommen muss. Das Landgericht entschied zunächst zu Gunsten des Abschleppunternehmens, während das Oberlandesgericht die Erstattungspflicht auf die Kosten der ersten fünf Tage der Verwahrung beschränkte.

Der Bundesgerichtshof bestätigte diese Sichtweise und stellte klar, dass die Verwahrkosten Teil der Abschleppmaßnahme sind und somit grundsätzlich erstattungsfähig. Jedoch ist diese Erstattungspflicht zeitlich begrenzt und endet mit dem Herausgabeverlangen des Halters. Dies bedeutet, dass nach einem solchen Verlangen anfallende Verwahrkosten nicht mehr im Rahmen der Abschleppmaßnahme gesehen werden können. Vielmehr sind sie dann als Kosten anzusehen, die durch die Nicht-Herausgabe des Fahrzeugs entstehen.

Interessant ist hierbei die Betonung der Informationspflicht. Der Grundstückseigentümer muss den Halter des abgeschleppten Fahrzeugs unverzüglich über den Vorgang informieren. Eine Verletzung dieser Pflicht kann zu einer Minderung des Erstattungsanspruchs führen, insbesondere wenn dadurch die Herausgabe des Fahrzeugs verzögert wird.

Der Bundesgerichtshof verdeutlicht mit seinem Urteil, dass das Abschleppen von Fahrzeugen von Privatgrundstücken zwar ein legitimes Mittel zur Wahrung des Hausrechts ist, aber gleichzeitig klare Grenzen für die Erstattung von Kosten setzt. Diese Entscheidung bietet somit eine wichtige Orientierungshilfe für Fahrzeughalter, Grundstückseigentümer wie auch für Abschleppunternehmen.

Bundesgerichtshof, Urteil vom 17.11.2023; AZ – V ZR 192/22

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Entzug der Fahrerlaubnis: Neue Maßstäbe bei der Bewertung von Schäden nach Unfallflucht

Unfallflucht, ein Verhalten, das oftmals schwerwiegende rechtliche Konsequenzen nach sich zieht, wird in der Rechtspraxis kontinuierlich diskutiert und neu bewertet. Insbesondere die Frage, wann ein Schaden als “bedeutend” einzustufen ist und somit den Entzug der Fahrerlaubnis rechtfertigt, steht im Mittelpunkt gerichtlicher Entscheidungen.

Ein kürzlich verhandelter Fall in Hamburg veranschaulicht die Komplexität dieser Thematik. Hierbei verursachte eine PKW-Fahrerin auf einem Parkplatz einen Schaden an einem anderen Fahrzeug und verließ den Unfallort, obwohl sie den Vorfall bemerkt hatte. Die Reparaturkosten wurden auf etwa 1.600 Euro geschätzt. Das Amtsgericht Hamburg entzog der Fahrerin vorläufig die Fahrerlaubnis, woraufhin sie Beschwerde einlegte.

Bewertung von Schäden nach Unfallflucht.In seiner Entscheidung vom August 2023 hob das Landgericht Hamburg die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis auf, da es den Schaden nicht als “bedeutend” im Sinne der rechtlichen Vorschriften ansah. Hierbei ist zu beachten, dass die Definition eines “bedeutenden Schadens” bei Unfallflucht variabel und von der aktuellen Rechtsprechung abhängig ist. Während früher Schäden ab etwa 1.300 Euro oder 1.500 Euro als bedeutend angesehen wurden, hat sich die Wertgrenze durch die fortschreitende Entwicklung der Reparaturkosten und die Einkommensentwicklung nach oben verschoben. Das Landgericht Hamburg setzte diese Grenze nun bei mindestens 1.800 Euro an.

Diese Entscheidung verdeutlicht, wie sich wirtschaftliche Entwicklungen auf die Rechtsprechung auswirken können. Die Anhebung der Wertgrenze für einen bedeutenden Schaden spiegelt die die allgemeine wirtschaftliche Situation wider. Dies war der herausstechende Grund die Fahrerlaubnis der betroffenen PKW-Fahrerin nicht zu entziehen, da die geschätzten Reparaturkosten von 1.600 Euro die neu festgesetzte Grenze nicht überschritten. Folgt man den Richtern, so wird grundsätzlich deutlich, dass die Beurteilung der Schadensbedeutung sich an den Reparaturkosten- und der allgemeinen Einkommensentwicklung orientiert und auch orientieren soll.

Für Betroffene und ihre Rechtsbeistände ist es daher essenziell, stets die aktuellsten Entscheidungen und deren Auswirkungen im Blick zu haben.

Landgericht Hamburg, Beschluss vom 9.8.2023; AZ – 612 Qs 75/23 –

 Foto: Ralf Geithe

Rückwärtsfahren in Einbahnstraßen: Überblick über das BGH-Urteil

Ein Bundesgerichtshof-Urteil zum Thema Rückwärtsfahren in Einbahnstraßen bietet eine deutliche Klarstellung zu einer Fragestellung, die in der alltäglichen Verkehrsrealität eine permanente Rolle spielt. Die Entscheidung des Bundesgerichtshof (BGH) vom Oktober 2023, die sich auf das Zurücksetzen in Einbahnstraßen konzentriert, hebt Feinheiten des Verkehrsrechts hervor und stellt damit wichtige Richtlinien für Autofahrer auf – genauso wie für zukünftige Urteile mit diesem Hintergrund.

Entscheidend ist hier, dass das Rückwärtsfahren in Einbahnstraßen grundsätzlich verboten ist, sobald es entgegen der vorgeschriebenen Fahrtrichtung erfolgt. Diese Regelung zielt darauf ab, die Verkehrssicherheit zu erhöhen und potenzielle Gefahrenquellen, die durch unvorhersehbare Fahrmanöver entstehen könnten, zu minimieren. Der BGH legt dabei Wert auf die Bewegungsrichtung des Fahrzeugs und nicht auf dessen physische Ausrichtung – eine präzise juristische Unterscheidung, die bei speziellem Fällen durchaus wichtig sein kann.

Zurücksetzen in Einbahnstraßen!Interessanterweise erkennt der BGH Ausnahmen von diesem generellen Verbot an, die sich auf das Zurücksetzen beschränken, um anderen Fahrzeugen das Ein- oder Ausfahren zu ermöglichen. Diese Ausnahmeregelung reflektiert erfreulicherweise ein deutliches Verständnis für praktische Erfordernisse im Straßenverkehr.

Der konkrete Fall illustriert die rechtlichen Komplexitäten, die sich aus alltäglichen Verkehrssituationen ergeben können, recht deutlich. Knapp gesagt, ging es um eine Autofahrerin, die in einer Einbahnstraße zurücksetzte – was im Verlauf zu einem Unfall führte.

Es bestand anschließend Uneinigkeit darüber, ob die beiden Fahrzeuge gleichzeitig rückwärts gefahren sind, wie von der Frau behauptet, oder ob der Mann im Auto, mit dem sie zusammenstieß, bereits hinter ihr stand. Der Haftpflichtversicherer der Frau regulierte vorgerichtlich die unstrittigen Schadenspositionen und legte dabei eine Haftungsquote von 40 % für die Frau zugrunde. Aufgrund der verbleibenden 60 % zog der andere Autofahrer vor Gericht.

Das Landgericht Düsseldorf hatte die Klage des Unfallgegners zunächst abgelehnt, sah jedoch das Rückwärtsfahren der Frau als gerechtfertigte Ausnahme an. Der BGH hob damit dieses Urteil auf und verwies die Angelegenheit zurück an das Landgericht, was eine neuerliche Überprüfung der Sachlage erforderlich macht.

Der BGH äußert sich in seinem Urteil damit erstmals zu dieser Frage – und gibt so wichtige Leitlinien für das Verhalten in Einbahnstraßen vor und trägt erkennbar zur Rechtssicherheit bei.

Urteil des BGH vom 10.10.23; AZ – VI ZR 287/22 –

Foto: Gina Sanders

Hafterhaltung: Verantwortung der E-Scooter-Vermieter

Im urbanen Mobilitätssektor stellen E-Scooter eine bei jungen Leuten höchst beliebte Transportalternative dar, die jedoch auch rechtliche Fragestellungen aufwirft. Ein Beschluss des Amtsgerichts Berlin-Tiergarten vom September 2023 beleuchtet die Hafterhaltung, die Vermieter von E-Scootern betrifft. Das Urteil unterstreicht die Relevanz genauer Nutzerdaten für die Vermeidung von Verfahrenskosten und klärt den Umfang der vorzuhaltenden Daten.

Was war passiert? Ein E-Scooter blockierte einen Gehweg und provozierte dadurch eine polizeiliche Überprüfung. Weil die für die Identifikation des letzten Nutzers nötigen Angaben vom Vermieter nicht vollständig gemacht wurden, richtete sich ein Kostenbescheid nicht gegen den Fahrer, sondern gegen die Vermieterin. Die Berliner Richter stellten klar, dass in solchen Fällen ganz klar die Hafterhaltung des Vermieters greift, sollte der Verursacher des Verstoßes nicht ausfindig gemacht werden können.

Beschluss des Amtsgerichts Berlin-Tiergarten vom September 2023 beleuchtet die Hafterhaltung, die Vermieter von E-Scootern betrifftDie Gerichtsentscheidung verdeutlicht, dass die Pflicht zur vollständigen Registrierung der Nutzerdaten essentiell ist, um im Falle eines Verkehrsverstoßes die Verantwortung adäquat zuweisen zu können. Vermieter von E-Scootern müssen also gewährleisten, dass im Falle einer rechtlichen Nachverfolgung die nötigen Informationen vorliegen. Das Gericht betonte dabei auch, dass die Anhörung des gewerblichen Halters selbst nach nahezu zehn Wochen noch als rechtzeitig gilt, was die praktischen Herausforderungen der Bußgeldbehörden anerkennt.

Dieses Urteil hat sowohl für die Vermieter als auch für die Nutzer von E-Scootern Konsequenzen. Vermieter müssen ihre Datenmanagementprozesse überarbeiten, um der Hafterhaltung schon aus Eigeninteresse gerecht zu werden. Nutzer wiederum sollten sich der Verantwortung bewusst sein, die mit der Nutzung dieser Mobilitätsmittel einhergeht, und darauf achten, sie regelkonform zu nutzen und abzustellen. Nachlässigkeit kann also durchaus zu hohen Kosten führen, ähnlich anderer Verkehrsverstöße, vergleichbar mit Geschwindigkeitsüberschreitungen oder Rotlichtverstößen.

Die Hafterhaltung betont die Notwendigkeit einer Balance zwischen flexibler Mobilität und verkehrsgerechter Nutzung öffentlicher Räume. Für eine effiziente und konfliktfreie Integration der E-Scooter in das urbane Verkehrskonzept ist es unerlässlich, dass sowohl Anbieter als auch Nutzer ihre Verantwortung ernst nehmen und entsprechend handeln.

Amtsgericht Berlin-Tiergarten, Beschluss vom 6.9.2023; AZ – 297 OWi 812/23 –

Foto: Igor Tichonow

Keine Gebühren für freiwillige Feuerwehrhilfe bei Reifenpanne

Ein kürzlich ergangener Beschluss des Verwaltungsgerichts Gießen vom Mai 2023 hat die grundsätzliche Bedingungen für Feuerwehrhilfe sehr deutlich geklärt. Es ging konkret um die Frage, ob die Stadt Kirtorf berechtigt war, Gebühren für die Hilfeleistung der Feuerwehr im Rahmen eines Einsatzes bei einer Reifenpanne zu erheben.

Im Dezember 2022 wurde die freiwillige Feuerwehr der Stadt Kirtorf alarmiert, da ein Baum auf der Fahrbahn umgestürzt sein sollte. Sechs Einsatzfahrzeuge und 17 Feuerwehrkräfte rückten aus, konnten jedoch keinen umgestürzten Baum vorfinden. Stattdessen stießen sie auf eine Autofahrerin, die wegen einer Reifenpanne am Straßenrand stand und auf den ADAC wartete. Die Feuerwehr bot spontan ihre Hilfe an und wechselte den Reifen des Fahrzeugs.

Feuerwehrhilfe bei einer Reifenpanne – sind dann Gebühren zu zahlen?Einige Wochen später erhielt die Autofahrerin einen Bescheid von der Stadt Kirtorf, in dem ihr Kosten in Höhe von 784,20 Euro für den Einsatz in Rechnung gestellt wurden. Die Begründung: Es seien insgesamt Kosten von über 1.000 Euro entstanden, aber aus Billigkeitsgründen sei die Summe um 25 % reduziert worden.

Die Autofahrerin legte gegen diesen Bescheid Widerspruch ein und beantragte beim Verwaltungsgericht Gießen einstweiligen Rechtsschutz. Das Gericht gab dem Eilantrag statt und stellte fest, dass der Bescheid rechtswidrig war. Es fehlte nicht nur eine ausreichende Begründung für die Gebührenforderung, sondern auch eine taugliche Rechtsgrundlage. Das Gericht betonte, dass durch das Fahrzeug der Autofahrerin keine unaufschiebbare Gefahrenlage entstanden war, die ein Eingreifen der Feuerwehr erforderlich gemacht hätte. Zudem durfte die Autofahrerin davon ausgehen, dass die Hilfeleistung unentgeltlich war, da sie die Feuerwehr nicht selbst angefordert hatte und auch nicht über mögliche Gebühren informiert wurde. Die Feuerhilfe war in der Tat eine freiwillige Hilfe der beteiligten Personen im Einsatz.

Dieser Fall zeigt, dass nicht jede Hilfeleistung der Feuerwehr automatisch mit Gebühren verbunden ist. Es bedarf einer klaren Rechtsgrundlage und einer transparenten Kommunikation seitens der Behörden, um solche Missverständnisse und rechtlichen Auseinandersetzungen zu vermeiden. Insgesamt entsteht der Eindruck, dass die Mitarbeiter der Verwaltung sich im Vorfeld nur unzureichend informiert haben – was die Bürger allerdings erwarten dürfen.

Verwaltungsgericht Gießen, Beschluss vom 15.5.2023 ; AZ – 2 L 260/23.GI –

Foto: Markus Mainka

Räum- und Streupflicht bei ernsthafter lokaler Glättegefahr

Wann genau gilt eine Pflicht für einen Winterdienst mit Räumen und Streuen? Ist auch eine lokale Glätte bereits ein Kriterium und kann eine Missachtung mit Folgen für daraufhin durch Stürze verletzte Bürger gar zu Schmerzensgeldansprüchen führen? Eine allgemeine Glättegefahr sei nicht Voraussetzung für Winterdienstpflicht, befand jedenfalls das Berliner Kammergericht im Dezember 2022.

Die winterliche Räum- und Streupflicht gelte nicht erst dann, wenn eine allgemeine Glätte vorliegt, sondern bereits bei einer ernsthaften lokalen Glätte. Dies gelte auch für einen Dritten, der die Winterdienstpflicht für den primär Verantwortlichen übernommen hat, so die Entscheidung des Kammergericht.

Wie kam es zu diesem Urteil? Gegen 11 Uhr an einem Tag im Dezember 2020 kam eine etwa 69-jährige Frau auf einem Klinikgelände in Berlin wegen Glatteises zu Fall und verletzte sich. Das gesamte Gelände war wegen Glätte rutschig und nicht gestreut worden, wobei die Winterdienstpflicht war auf eine Firma übertragen worden war. Die Frau klagte gegen die Trägerin der Klinik und die Winterdienstfirma auf Zahlung von Schmerzensgeld in Höhe von 20.000 Euro.

Auch bei lokaler Glättegefahr besteht die Pflicht für einen angemessenen WinterdienstDas zunächst angerufene Landgericht Berlin wies die Klage ab. Seiner Auffassung nach komme allein eine Haftung der Winterdienstfirma in Betracht. Eine Haftung sei aber ausgeschlossen, da die Klägerin nicht dargelegt habe, dass am Unfalltag allgemeine Glättegefahr in Berlin herrschte und für die Beklagte konkrete Anhaltspunkte für eine Gefahr aufgrund einzelner Glättestellen bestanden habe.

Das Kammergericht in der nächsten Instanz erkannte, dass der Frau ein Anspruch auf Schmerzensgeld zustehe. Die beklagte Winterdienstfirma habe die Verkehrssicherungspflicht verletzt. Es komme dabei nicht darauf an, ob eine allgemeine Glätte herrschte. Denn die Beweisaufnahme habe gezeigt, dass seit gut 9 Uhr an diesem Tag bis zum Unfallzeitpunkt das Gelände der Klinik verreist und deshalb sehr rutschig war. Die Beklagte hätte daher spätestens um 10 Uhr streuen müssen.

Von dem beklagten Winterdienst könne sicher nicht verlangt werden, an einem Tag, an dem keine allgemeine Glätte herrscht, sämtliche Flächen in ihrem Winterdienstgebiet vorsorglich auf ernsthafte lokale Glättegefahren hin zu kontrollieren. Dies sei für den vorliegenden Fall aber unerheblich. Denn die primär Streupflichtige vor Ort hätte spätestens um 10 Uhr auf die ernsthafte Glättegefahr reagieren müssen und die Firma benachrichtigen.

Das Kammergericht erkannte darüber hinaus ein Schmerzensgeld in Höhe von 5.000 € für angemessen, da die Klägerin für mehrere Tage über Weihnachten in ambulanter Behandlung war, sich operieren lassen musste und danach über mehrere Monate einen schwierigen Heilungsverlauf erdulden musste. Sie musste sich zudem Reha-Maßnahmen unterziehen und war über mehrere Wochen auf eine Gehhilfe angewiesen.

Kammergericht Berlin, Urteil vom 6.12.2022; AZ – 21 U 56/22 –

Foto: Jan

BGH weist Klage zu Verstößen gegen LKW-Durchfahrtsverbot ab

Die Belastung mit Schadstoffen und Lärm begründet in Städten an bestimmten Stellen sogenannte Durchfahrverbote, speziell für den Schwerlastverkehr durch LKW. Oft werden diese Bereich auch allgemein als Umweltzonen bezeichnet. Vor allem in dicht bebauten Vierteln mit Wohnbebauung ist so eine Regelung nachvollziehbar – doch wieweit können die Bewohner dies auch durchsetzen, sprich LKW konkret abhalten? Der Bundesgerichtshof hat in einem Urteil vom Juni 2022 jedenfalls einen Unterlassungsanspruch von Anwohnern bei Verstößen gegen das nach dem Luftreinhalteplan der Landeshauptstadt Stuttgart bestimmte LKW-Durchfahrtsverbot verneint.

Die Kläger sind Eigentümer von innerhalb der Stuttgarter Umwelt- und LKW-Durchfahrtsverbotszone gelegenen Grundstücken. Sie machen geltend, die Beklagte, die eine Spedition betreibt, verstoße mehrmals täglich gegen das Durchfahrtsverbot, indem sie das Gebiet mit LKW befahre. Bereits das Amtsgericht hatte die Klage abgewiesen – und auch die Berufung vor dem Landgericht blieb erfolglos. Dagegen haben die Kläger die vom Landgericht zugelassene Revision eingelegt und ihr Begehren weiterverfolgt. Der Bundesgerichtshof hat die Revision jedoch zurückgewiesen. Den Klägern stehe der geltend gemachte Unterlassungsanspruch unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt zu.

BGH weist Klage zu Verstößen gegen LKW-Durchfahrtsverbot in Umweltzonen abDie Kläger wenden sich nicht gegen die Beurteilung des Landgerichts, wonach sich das Unterlassungsbegehren nicht auf eine Gesundheitsverletzung stützen lässt. Diese Beurteilung sei rechtlich auch nicht zu beanstanden. Sie nahmen auch die Annahme des Landgerichts hin, dass der beklagten Spedition keine wesentliche Beeinträchtigung der Benutzung zuzurechnen sei. Auch insoweit sind Rechtsfehler des Landgerichts nicht ersichtlich.

Letztlich bliebe daher das Argument, dass das angeordnete LKW-Durchfahrtsverbot kein Schutzgesetz zugunsten einzelner Anwohner darstellt. Das begründe nämlich für einzelne Anwohner innerhalb der Durchfahrtsverbotszone keinen Anspruch, dem Verbot Zuwiderhandelnde zivilrechtlich auf Unterlassung zu verklagen. Denn es komme eben nicht auf die Wirkung, sondern auf Inhalt, Zweck und Entstehungsgeschichte des Gesetzes an – so der BGH –, also darauf, ob der Gesetzgeber bei Erlass des Gesetzes einen Rechtsschutz zugunsten von Einzelpersonen oder bestimmten Personenkreisen gewollt oder doch zumindest mitgewollt hat.

Entscheidend sei hier, dass im Streitfall das LKW-Durchfahrtsverbot nicht für bestimmte Straßen zur Reduzierung der die dortigen Anlieger beeinträchtigenden Schadstoffkonzentrationen, sondern grundsätzlich für das gesamte Stadtgebiet angeordnet wurde. Es ginge darum allgemein die Luftqualität zu verbessern und der Überschreitung von Immissionsgrenzwerten entgegenzuwirken. Die Kläger sind insoweit nur als Teil der Allgemeinheit. Bereits dies spreche gegen die Annahme, so die Richter, ein Schutz von Einzelinteressen in der von den Klägern begehrten Weise sei Intention des Durchfahrtsverbots.

Schon angesichts der Größe der Verbotszone könne nicht angenommen werden, dass die an einer beliebigen Stelle der Verbotszone verursachte Immissionen für jeden Anlieger innerhalb dieser Zone die unmittelbare Gefahr einer Überschreitung der Immissionsgrenzwerte und damit eine potenzielle Gesundheitsbeeinträchtigung verursachen.

Bundesgerichtshof, Urteil vom 14.6.2022; – VI ZR 110/21 –

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