159 Parkverstöße in nur einem Jahr rechtfertigen Entzug der Fahrerlaubnis

Die meisten Autofahrer erwischt es irgendwie ein paar Mal im Jahr: Falschparken und den Zettel unter dem Scheibenwischer. Oder auch mal ein freundliches Foto vom Blitzer. Doch niemand wird es übertreiben – schon alleine, weil das am Ende ganz schön Geld kostet. Doch es gibt sie, Autofahrer, die sich um solche Überlegungen nicht kümmern. So hat ein Autofahrer in Berlin innerhalb eines Jahres 159 Parkverstöße begangen. Er sei damit zum Führen von Kraftfahrzeugen ungeeignet; ihm kann daher die Fahrerlaubnis entzogen werden. Das hat das Verwaltungsgericht Berlin im Oktober 2022 entschieden.

Der Kläger war seit 1995 Inhaber einer Fahrerlaubnis der damaligen Klasse 3. Im Juli 2021 erfuhr das Landesamt für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten Berlin, dass gegen den Kläger innerhalb eines Jahres 174 Verkehrsordnungs-Widrigkeitenverfahren geführt worden waren, darunter 159 Parkverstöße und 15 Geschwindigkeitsüberschreitungen. Nach Anhörung des Klägers entzog die Behörde ihm daher die Fahrerlaubnis aufgrund fehlender Kraftfahreignung.

Die Entscheidung zur Entziehung der Fahrerlaubnis ist rechtens!Das wollte dieser nicht hinnehmen, die Verstöße mit den drei auf ihn zugelassenen Fahrzeugen hätten andere Personen begangen. Gegen die Entscheidungen habe er lediglich kein Rechtsmittel eingelegt um der Behörde Arbeit zu ersparen. Die Verhängung einer Fahrtenbuchauflage als milderes Mittel hätte zunächst greifen sollen – er sei beruflich auf die Fahrerlaubnis angewiesen.

Die Berliner Richter haben die Klage jedoch abgewiesen. Zu Recht sei die Behörde von einer mangelnden Fahreignung des Klägers ausgegangen. Zwar hätten dem Bagatellbereich zuzurechnende Ordnungswidrigkeiten bei der Prüfung der Fahreignung grundsätzlich außer Betracht zu bleiben – anders sei dies aber, wenn ein Kraftfahrer offensichtlich nicht willens sei, im Interesse eines geregelten Verkehrs geschaffene Ordnungsvorschriften zu beachten.

Das Gericht erkannte, dass bereits die Anzahl der für sich genommen unbedeutenden Verstöße, die nahezu ausnahmslos im Wohnumfeld begangen worden seien, Zweifel an der Eignung des Klägers deutlich werden lasse. Es komme auch nicht darauf an, ob möglicherweise andere Familienangehörige für die Verstöße verantwortlich seien. Wer durch zahlreiche ihm ja postalisch zugestellte Bußgeldbescheide erfahre, dass Personen, die sein Fahrzeug benutzen, laufend gegen Verkehrsvorschriften verstießen – und dagegen nichts unternehme–  zeige klar charakterliche Mängel, die ihn selbst als einen ungeeigneten Verkehrsteilnehmer auswiesen.

Die Entscheidung zur Entziehung der Fahrerlaubnis sei dadurch rechtens und nachvollziehbar – und es komme  auch nicht darauf an, ob der Betroffene die Fahrerlaubnis beruflich benötige.

Verwaltungsgericht Berlin, Urteil vom 28.10.2022; – 4 K 456/21 –

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Radfahrer muss vor dem Linksabbiegen ein deutliches Handzeichnen geben

Möchte ein Radfahrer nach links in ein Grundstück einbiegen, so muss er sich gemäß der StVO zur Fahrbahnmitte einordnen und eine zweite Rückschau vornehmen. Gibt er dabei zwar kein erkennbares Handzeichen, so liegt für einen zur Überholung ansetzenden Autofahrer trotzdem keine unklare Verkehrslage vor. Im vorliegend Fall war die Sachlage jedoch uneindeutig. Dies hat das Oberlandesgericht Düsseldorf im Dezember 2021 zu Ungunsten des klagenden Radfahrer entschieden.

Das Landgericht Duisburg entschied zunächst, dass die Beklagten (Autofahrer und dessen Versicherung) zu zwei Dritteln für die Unfallfolgen haften. Die Beweisaufnahme habe ergeben, dass sich der Kläger vor dem Abbiegen zwar nicht zur Fahrbahnmitte eingeordnet und keine zweite Rückschau vorgenommen habe, er aber ein Handzeichen gegeben habe. Radfahrer steht kein Anspruch auf Schadensersatz zuAus diesem Grund habe für den Beklagten eine klare Situation vorgelegen, so dass er nicht zum Überholen des Radfahrers hätte ansetzen dürfen. Gegen diese Entscheidung richtete sich die Berufung der Beklagten beim OLG.

Was war passiert? 2018 kam es in einer Stadt in Nordrhein-Westfalen zu einem Verkehrsunfall zwischen einem Radfahrer und einem Autofahrer. Der Radfahrer befuhr eine Straße (kein Radweg!) und wollte nach links auf den Parkplatz eines Baumarktes abbiegen. Zur gleichen Zeit setzte ein von hinten kommender Autofahrer zum Überholen an. Es kam zu einer Kollision. Der Radfahrer klagte gegen den Autofahrer und dessen Haftpflichtversicherung auf Zahlung von Schadensersatz.

Das Oberlandesgericht verneinte den Schadensersatzanspruch des Klägers und entschied zu Gunsten der Beklagten. Dem Kläger stehe kein Anspruch auf Schadensersatz zu, da er den Unfall allein verschuldet habe. Entgegen der Entscheidung in der ersten Instanz habe keine unklare Verkehrslage vorgelegen, so die Düsseldorfer Richter. Es sei nicht nachgewiesen worden, dass der Kläger vor dem Abbiegen ein Handzeichen gegeben habe. Die entsprechende Behauptung wurde von den Beklagten bestritten. Der fehlende Nachweis gehe daher zu Lasten des Klägers.

Oberlandesgericht Düsseldorf, Urteil vom 7.12.2021; AZ – 1 U 216/20 –

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Haftung bei Unfall auf Parkplatz eines Baumarktes auf 50:50 festgelegt

In den Fahrgassen eines Parkplatzes, die vor allem der Parkplatzsuche dienen und wo man nicht von fließendem Verkehr sprechen kann, gilt nicht die Vorfahrtsregel „rechts vor links“. Die Fahrer auf einem Baumarktparkplatz sind vielmehr verpflichtet, defensiv zu fahren und die Verständigung mit dem anderen Fahrer zu suchen. Das Oberlandesgericht Frankfurt am Main (OLG) hat mit einem Urteil vom Juni 2022 daher eine Haftung für Unfallfolgen von 50:50 festgelegt.

Der Betreiber eines Baumarkts hatte für seinen Parkplatz die Geltung der StVO angeordnet. Auf die zur Ausfahrt des Parkplatzgeländes führende Fahrgasse münden von rechts mehrere Fahrgassen ein. Der Beklagte befuhr eine davon, an deren beiden Seiten sich im rechten Winkel angeordnete Parkboxen befanden. Auch die zur Ausfahrt führende Fahrgasse verfügte im linken Bereich über Parkboxen. Im Einmündungsbereich der Fahrgassen kam es zum Zusammenstoß.

Eine Haftung für Unfallfolgen beträgt 50:50Das Landgericht hatte der Klage auf Basis einer Haftung des Beklagten von 25 Prozent stattgegeben. Die Berufung des Klägers führte zu einer Abänderung der Haftungsquote auf 50 Prozent Maßgeblich für die Höhe der Schadensersatzverpflichtung des Beklagten sei, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder anderen Teil verursacht worden sei, betonte das OLG. So  seien hier die Anteile als gleichgewichtig anzusehen und der durch den Unfall verursachte Schaden daher zu teilen.

Der Beklagte könne nicht geltend machen, dass sein Vorfahrtsrecht verletzt wurde. Zwar seien die Regeln der Straßenverkehrsordnung auf öffentlich zugänglichen Privatparkplätzen grundsätzlich anwendbar – Fahrgassen auf Parkplätzen jedoch keine dem fließenden Verkehr dienenden Straßen. „Kreuzen sich zwei dem Parkplatzsuchverkehr dienende Fahrgassen eines Parkplatzes…, gilt für die herannahenden Fahrzeugführer das Prinzip der gegenseitigen Rücksichtnahme…, d.h. jeder Fahrzeugführer ist verpflichtet, defensiv zu fahren und die Verständigung mit dem jemals anderen Fahrzeugführer zu suchen“, so ganz unmissverständlich die Entscheidung des Frankfurter OLG.

Etwas Anderes gelte nur, wenn die angelegten Fahrspuren eindeutig und unmissverständlich Straßencharakter hätten und sich bereits aus ihrer baulichen Anlage ergebe, dass sie nicht der Suche von freien Parkplätzen dienten, sondern der Zu- und Abfahrt der Fahrzeuge. Für einen solchen Straßencharakter könne etwa die Breite der Fahrgassen sprechen oder auch bauliche Merkmale einer Straße wie Bürgersteige, Randstreifen oder Gräben. Derartige straßentypische Merkmale fehlten hier.

Oberlandesgericht Frankfurt am Main, Urteil vom 22.6.2022; AZ – 17 U 21/22 –

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„Nachtrunk“ bei Verkehrsunfällen befreit Versicherung von der Pflicht zu zahlen

Die Geschichte kommt einem sehr bekannt vor – und tatsächlich ist das Thema „Nachtrunk“ kein neues. Immer wieder stellt sich die Frage, wie die damit verbundenen Aussagen zu bewerten sind, und dies nicht nur nach dem Verkehrsrecht, sondern auch vor allem in Hinsicht auf Ausgleichszahlungen der haftenden Versicherung.

Kommt es zu einem Unfall, ist eine KFZ-Versicherung darauf angewiesen, von ihrem Versicherungsnehmer umfassend über den Hergang informiert zu werden. Verstößt der Versicherungsnehmer dagegen, kann dies im Einzelfall dazu führen, dass die Versicherung von ihrer Leistungspflicht befreit ist. Dies hat das Oberlandesgericht Braunschweig im April 2022 entschieden.

Der Kläger fuhr im zu entscheidenden Fall mit seinem Auto mit 20 km/h gegen eine Laterne. Er wartete nicht an der Unfallstelle, sondern begab sich zu dem nahegelegenen Haus seiner Eltern. Die Eltern nahmen die Polizeibeamten am Unfallort in Empfang. Der Kläger behauptete, nach dem Unfall 0,7 l Wodka getrunken und sich schlafen gelegt zu haben. Die von der Polizei etwa 1,5 Stunden nach dem Unfall entnommene Blutprobe wies 2,79 Promille auf. Mit seiner Klage wollte er den Ersatz der an seinem Fahrzeug entstandenen Schäden sowie die Zahlung der Reparaturkosten für die Laterne erreichen. Die beklagte Versicherung lehnte dies aufgrund der erheblichen Alkoholisierung des Klägers ab. Den behaupteten „Nachtrunk“ erachtete sie nicht als plausibel und hinreichenden Grund für eine entsprechende Zahlung.„Nachtrunk“ bei Verkehrsunfällen

Im Landgericht Braunschweig sah man die Lage ähnlich: Es sei aufgrund des gesamten Akteninhalts und der erhobenen Beweise von einer alkoholbedingten absoluten Fahruntüchtigkeit des Klägers im Zeitpunkt des Unfalls auszugehen. Nach den vereinbarten Versicherungsbedingungen bestehe danach kein Versicherungsschutz. Der Kläger legte gegen diese Entscheidung Berufung mit der Begründung ein, der seitens des Gerichts bestellte Gutachter habe letztendlich nicht ausschließen können, dass der Kläger im Zeitpunkt des Unfalls nüchtern gewesen sei.

Das anschließend angerufene Oberlandesgericht sah jedoch keine Veranlassung weiter aufzuklären, ob der Kläger das Fahrzeug alkoholisiert geführt habe, oder ob der hohe Blutalkoholwert auf einen „Nachtrunk“ zurückzuführen sei. Vielmehr sei zu berücksichtigen, dass der Kläger aufgrund des geltenden Versicherungsvertrages verpflichtet sei, alles zu tun, was der Aufklärung des Schadens dient. Die Auskunftspflicht erschöpft sich dabei nicht nur in der bloßen Weitergabe von Informationen, sondern erfasse auch das Verhalten am Unfallort.

So dürfe der Verkehrsteilnehmer nicht etwa den Unfallort verlassen, ohne die erforderlichen Feststellungen zum Beispiel zum Drogen- und Alkoholkonsum zu ermöglichen. Der Versicherer muss die Möglichkeit haben, sämtliche mit dem Schadensereignis zusammenhängenden Tatsachen zu überprüfen. Dies hat der Kläger mit seinem behaupteten „Nachtrunk“ vereitelt. Eine verlässliche Bestimmung der Blutalkoholkonzentration zum Unfallzeitpunkt, die in diesem Fall am Unfallort routinemäßig zu erwarten gewesen wäre, war nicht ja mehr möglich.

Entscheidung des Oberlandesgericht Braunschweig vom 26.4.2022

Foto: S. Engels

Textnachrichten im Auto schreiben und Frau überfahren: Verurteilung und Gefängnis wegen fahrlässiger Tötung

Leider immer noch Alltag: Autofahrer ignorieren das Verbot mit Mobiltelefonen oder anderen elektronischen Geräten (auch Navis) zu hantieren während sie fahren. Das führt denn auch teilweise zu schweren Unfällen und im schlimmsten Fall zum Tod unbeteiligter Personen. So hatte der in diesem Fall verurteilte Autofahrer Textnachrichten geschrieben und in der Folge eine Frau tödlich verletzt.

Das Amtsgericht Paderborn hatte den Angeklagten wegen fahrlässiger Tötung in Tateinheit mit fahrlässiger Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt. Auf die Berufung des Angeklagten hat das Landgericht Paderborn die Freiheitsstrafe auf ein Jahr und neun Monate herabgesetzt, die Vollstreckung der Strafe jedoch nicht wie vom Angeklagten erstrebt zur Bewährung ausgesetzt. Die Verurteilung zu einer vollstreckbaren Freiheitsstrafe von einem Jahr und neun Monaten ist mit der Entscheidung des Oberlandesgerichts Hamm vom März 2022 rechtskräftig.

Im konkreten Fall war der Autofahrer mit überhöhter Geschwindigkeit gefahren und hatte dabei auf seinem Mobiltelefon zwei Textnachrichten gelesen sowie eine sehr kurze Antwort geschrieben. Dann legte er das Telefon in der Mittelkonsole und merkte dadurch nicht, dass er sich in einer langgezogenen Rechtskurve drei Personen auf Fahrrädern, einer Mutter mit ihrer 3-jährigen Tochter auf dem Fahrradkindersitz und der davor mit ihrem Kinderrad fahrenden 6-jährigen Tochter, näherte. Als er wieder aufschaute, bemerkte er die Familie zu spät, versuchte noch abzubremsen, kollidierte aber noch mit einer Geschwindigkeit von 82 km/h oder mehr mit den Fahrradfahrern. Durch den Unfall wurden die Mutter getötet und beide Mädchen schwer verletzt.Textnachrichten im Auto schreiben

Das Landgericht hat bei der Strafzumessung zu Gunsten des Angeklagten im Wesentlichen dessen bereits früh abgelegtes umfassendes Geständnis, das auch den Kindern eine belastende Aussage in der Hauptverhandlung ersparte, und die Zahlung eines Schmerzensgeldes von 10.000 Euro, für die der Angeklagte einen Kredit aufnahm, und mehrere Entschuldigungen des Angeklagten berücksichtigt. Außerdem hat es zu seinen Gunsten berücksichtigt, dass er zuvor weder strafrechtlich noch verkehrsrechtlich belastet war. Zu seinen Lasten hat das Landgericht im Wesentlichen gewürdigt, dass der Angeklagte während der Fahrt sein Mobiltelefon bediente. Vor allem das Verfassen der Textnachricht stelle eine massive Ablenkung vom Verkehrsgeschehen dar, so dass dem Angeklagten insgesamt eine ganz erhebliche Sorg- und Verantwortungslosigkeit vorzuwerfen sei.

Eine Strafaussetzung zur Bewährung lehnte das Landgericht jedoch ab. Vor seinem allgemeinen Hintergrund könne dem sozial integrierten Angeklagten zwar eine günstige Prognose gestellt werden. Auch lägen deswegen besondere Umstände vor, die die Strafaussetzung einer über ein Jahr hinausgehenden Freiheitsstrafe ausnahmsweise zulassen würden. Eine Strafaussetzung zur Bewährung komme hier jedoch nicht in Betracht, da die Vollstreckung der Freiheitsstrafe zur Verteidigung der Rechtsordnung geboten sei. Insbesondere der vorsätzliche Verstoß gegen das Verbot, elektronische Geräte wie Mobiltelefone aufzunehmen und zu bedienen (Textnachrichten / SMS schreiben), stelle sich hier als besonders schwerwiegend dar. Die Tat sei dabei auch Ausdruck einer verbreiteten Einstellung, die diese klare Norm nicht ernst nehme und von vorneherein auf die Aussetzung einer etwaigen Freiheitsstrafe zur Bewährung vertraue.

Oberlandesgericht Hamm, Urteil vom 17.3.2022; AZ – III-4 RVs 13/22 –

Foto: Andrey Popov

Geschwindigkeitsüberschreitung: Das Wissen, schneller als erlaubt zu fahren

Ein vorsätzlicher Geschwindigkeitsverstoß setzt nicht voraus, dass der Betroffene exakte Kenntnis von der Geschwindigkeitsüberschreitung hat. Es reicht das Wissen, schneller als erlaubt zu fahren. Dies hat das Oberlandesgericht Hamm im Februar 2022 entschieden.

In dem zugrunde liegenden Fall hatte das Oberlandesgericht Hamm darüber zu entscheiden, ob ein solcher Geschwindigkeitsverstoß tatsächlich auch voraussetzt, dass der Betroffene den Umfang der Geschwindigkeitsüberschreitung kennt.

Genügt das Wissen um eine Geschwindigkeitsüberschreitung?Das Oberlandesgericht Hamm entschied, dass die Annahme eines vorsätzlichen Geschwindigkeitsverstoßes nicht voraussetzt, dass der Betroffene den tatsächlichen Umfang der Geschwindigkeitsüberschreitung exakt kennt. Das erkennbare Wissen, schneller als erlaubt zu fahren, führt bereits auf diesen Weg.

Wer im Bewusstsein die zulässige Höchstgeschwindigkeit jedenfalls nicht unerheblich überschritten zu haben unterlasse, dann auch seine Geschwindigkeit etwa durch den Blick auf den Tachometer zu kontrollieren und nicht vermindern, bringe hinreichend zum Ausdruck, dass er einen Verstoß in dem tatsächlich realisierten Ausmaß zumindest billigend in Kauf nimmt.

Oberlandesgericht Hamm, Beschluss vom 7.2.2022; AZ – 5 RBs 12/22 –

Foto: Sebastian Bayer

 

Sicherheitsabstand im Autoverkehr unterschreiten – doppeltes Bußgeld möglich

In dem zu entscheidenden Fall ging es um einen Mann, der ohne ordnungsgemäßen Sicherheitsabstand mit seinem Auto auf der Autobahn fuhr. Eine Abstandsmessung ergab nach dem üblichen Toleranz-Abzug, dass er bei 131 km/h weniger als drei Zehntel des halben Tachowerts Abstand zum Vordermann hielt. Der Fahrer erhielt daraufhin einen Bußgeldbescheid über 530 Euro sowie zusätzlich einen Monat Fahrverbot.

Nun kann in gewissen außergewöhnlichen Situationen (bei einem Einscheren oder Abbremsen des Vordermanns) eine Unterschreitung des Mindestabstands „nur“ als fahrlässig bewertet werden. Gibt es dagegen keine solche Sondersituation, kann das Unterschreiten auch als Billigung oder Vorsatz gewertet werden. Das zeigt ein Urteil des Amtsgericht Landstuhl vom April 2021.

Ohne Vorliegen konkreter, dagegen sprechender Anhaltspunkte muss davon ausgegangen werden, dass Autofahrern das Unterschreiten des Sicherheitsabstandes bewusst ist und sie dies zumindest billigend in Kauf nehmen.

eine Einschränkung der „nicht nur ganz vorübergehenden Abstandsunterschreitung“ dem § 4 StVO nicht zu entnehmen.Da die Behörden dem Mann vorsätzliches Verhalten vorwarfen, war das Bußgeld doppelt so hoch wie üblich. Dagegen legte der Mann Einspruch ein – und nachdem er Einsicht in die Messakte hatte, bemängelte er die gemessene Strecke als zu kurz. Im Messbereich habe sich sein Abstand zum Vorausfahrenden nur ganz kurz verringert und sei dann wieder größer geworden. Daher sei ihm kein Vorsatz zu unterstellen.

Das Argument zog beim Amtsgericht in Landsberg allerdings gar nicht. Nach dessen Ansicht reichte es für den Vorwurf des Vorsatzes aus, dass der Abstand zu irgendeinem Zeitpunkt unterschritten war. Denn es habe keine außergewöhnliche Situation durch Abbremsen oder Einscheren des Vordermannes gegeben. Der Fahrer habe also mit Absicht gehandelt.

In einem Zeitraum von mehr als zwei Sekunden hatte der Fahrer zu wenig Sicherheitsabstand – er hätte diesen aber ohne Probleme durch leichtes Abbremsen vergrößern können, was er aber nicht tat. Das wertete das Gericht nicht mehr als Fahrlässigkeit, sondern ging davon aus, dass der Kläger sich der Unterschreitung bewusst war oder diese zumindest billigte.

Der ADAC kommentierte dies, in dem er darauf hinwies, dass es dem Gericht hier darauf ankam, dass der Mann früher hätte reagieren müssen. Es gebe zwar in Deutschland auch Gerichte, die eine gewisse Dauer der Unterschreitung voraussetzen – was im Gesetz nicht ausdrücklich vorgesehen sei. Tatsächlich ist eine Einschränkung der „nicht nur ganz vorübergehenden Abstandsunterschreitung“ dem § 4 StVO nicht zu entnehmen.

Amtsgericht Landstuhl, Urteil vom 20.4.2021; AZ – 2 OWi 4211 Js 1233/21 –

Foto:  Stefan Weis

Verzögerte Reparatur durch Lieferschwierigkeiten – Nutzungsausfall geht zu Lasten des Unfallverursachers

Kommt es zu einem Verkehrsunfall mit einem erheblichen Schaden oder handelt es sich um ein seltenes Modell mit schwieriger Ersatzteilversorgung, so besteht zwar grundsätzlich die Schadensminderungspflicht des Unfallopfers. Doch es besteht umgekehrt auch kein Verstoß durch unterlassene Nachforschung, ob eventuell hinreichend Ersatzteile zur Verfügung stehen. Das bedeutet auch, dass der Nutzungsausfall dadurch möglicherweise sehr viel umfangreicher wird – was aber ganz zu Lasten des Unfallverursachers geht, wie das Oberlandesgericht Düsseldorf im März 2021 entschied.

Was war passiert? Wegen eines Rotlichtverstoßes kam es zu einer Kollision. Das Fahrzeug der Unfallgeschädigten musste in der Folgezeit wegen der dabei entstandenen Unfallschäden repariert werden. Wegen Schwierigkeiten bei der Lieferung eines neuen Airbag-Moduls für die Beifahrerseite verzögerte sich die Reparatur erheblich. So entstand zwischen der Unfallgeschädigten und der Haftpflichtversicherung des Unfallverursachers Streit darüber, ob auch für die ungewöhnlich lange Reparaturzeit des Nutzungsausfall eine Entschädigung gezahlt werden müsse.

Nutzungsausfall wird verlängert, wenn es zu Lieferproblemen bei Ersatzteilen kommt.Das zunächst zuständige Landgericht Düsseldorf wies die Klage ab. Dessen Auffassung nach habe die Klägerin gegen ihre Pflicht zur Schadensminderung verstoßen, weil sie für eine zeitnahe Reparatur habe sorgen müssen. Einen erhöhten Nutzungsausfall käme somit auch nicht in frage.

Das Oberlandesgericht hingegen bejahte einen Nutzungsausfall für den gesamten Zeitraum der Reparatur. Es bestehe ein Anspruch auch für die Zeit der verzögerten Reparatur wegen der Lieferschwierigkeiten beim Airbag-Modul. Für sie habe es zum Zeitpunkt der Beauftragung der Werkstatt keine Anhaltspunkte gegeben, dass die durch sie gewählte Firma nicht in der Lage sein würde, die Reparatur zügig durchzuführen. Allein der Umstand, dass sich die Werkstatt auf kostengünstige Reparaturen spezialisiert hat, sei kein hinreichender Anhaltspunkt.

Die Klägerin sei nach Ansicht des Oberlandesgerichts auch nicht verpflichtet gewesen, selbständig bei anderen Werkstätten oder bei Fahrzeugherstellern nach der Verfügbarkeit des Ersatzteils zu fragen. Für sie habe kein Anlass zur Vermutung bestanden, dass die Lieferschwierigkeiten auf die beauftragte Werkstatt beschränkt sein könnte.

Doch es geht noch weiter: Die Düsseldorfer Richter sahen keine Verpflichtung die beklagte Versicherung über die Reparaturverzögerung zu unterrichten. Denn zum einen habe diese zuvor die Regulierung des Unfallschadens abgelehnt, zum anderen sei nicht ersichtlich, dass eine Information zu einer Reduzierung der Reparaturzeit geführt hätte.

Und last but not least könne aus Sicht des Gerichts der Klägerin auch nicht vorgeworfen werden, sich nicht mit einer Teilreparatur ohne das fehlende Airbag-Modul zufrieden gegeben zu haben. Da sie technisch als Laie zu sehen sei, müsse man nicht davon ausgehen, dass sie im Falle der Beschädigung eines sicherheitsrelevanten Komponente des Fahrzeugs (Airbag!) etwa auf dessen Reparatur verzichten könne. Zudem könne es ja auch zu rechtlichen Nachteile im Fall einer Überprüfung des Fahrzeugs oder eines weiteren Unfalls kommen – bei dem unter Umständen eine Beifahrerin oder ein Beifahrer ohne die Schutzwirkung des Airbags zu Schaden kommen kann. Dies könne der Klägerin nicht zugemutet werden.

Oberlandesgericht Düsseldorf, Urteil vom 9.3.2021; AZ – 1 U 77/20 –

Foto: Monkey Business

Schnelleres Fahren als Verkehr auf Ausfahrtstreifen begründet Mithaftung der Verkehrsteilnehmer

Die Situation ist fast alltägliche Realität: Fahren Verkehrsteilnehmer auf dem Ausfädelungstreifen einer Autobahn schneller als der Verkehr auf der durchgehenden Fahrbahn, so verstoßen sie gegen die StVO. Das kann dann im Fall eines Unfalls eine Mithaftung begründen. Dies geht aus einer Entscheidung des Landgerichts Saarbrücken vom Januar 2021 hervor.

In dem zugrunde liegenden Fall kam es auf einer Autobahn zwischen einem Lkw und einem Kleinlaster zu einem Verkehrsunfall. Der Fahrer des Lkw gab an, er sei infolge einer Baustelle auf die rechte Fahrspur verengten Fahrbahn gefahren, als ihn der Kleinlaster auf dem Ausfädelungsstreifen überholt und gestreift habe. Der Fahrer des Kleinlasters behauptete wiederum, er habe den Ausfädelungsstreifen befahren, um an der Ausfahrt abzubiegen. Dabei sei der Lkw auf den Ausfädelungsstreifen gewechselt und gegen sein Fahrzeug gestoßen. Ein gerichtlich bestellter Sachverständiger hatte festgestellt, dass der Kleinlaster im Kollisionszeitpunkt schneller als der Lkw gefahren sein muss.

Verkehrsteilnehmer dürfen auf Auffahrten nicht schneller als der normale Verkehr fahrenDas zunächst angerufene Amtsgericht St. Wendel nahm eine hälftige Haftungsverteilung vor, weil seiner Auffassung nach keiner Partei ein unfallursächliches Verschulden nachzuweisen sei. Gegen diese Entscheidung richtete sich die Berufung beim Landgericht in Saarbrücken. Das bejahte ganz klar den Verkehrsverstoß des Kleinlasterfahrers. Denn ohne eine höhere Geschwindigkeit auf der Standspur oder dem Einfädelungsstreifen wäre der Kleintransporter hinter dem Lkw gefahren. Ein Ausweichen des Lkw nach rechts, sei es innerhalb der eigenen Fahrspur oder durch ein Hinüberfahren auf die danebenliegende Spur, hätte dann zu keiner Kollision führen können.

Das Landgericht Saarbrücken hob die Entscheidung des Amtsgerichts auf. Es sei unzutreffend, dass keiner Partei ein Verkehrsverstoß anzulasten sei. Aufgrund des vorliegenden Verkehrsverstoßes haftet der Beklagte zu 75% für die Unfallfolgen, so das Landgericht. Die 25% Mithaftung des Klägers ergebe sich aus der Betriebsgefahr der Klägerfahrzeugs. Angepasste Geschwindigkeit auf Ausfädelungsspuren ist damit erkennbar unabdingbar – die Verkehrsteilnehmer haben eben die Autobahn o.ä. faktisch noch nicht verlassen. Auf der Autobahn darf ja zum Beispiel auch nur von rechts überholt werden, wenn auf der linken Spur eine Fahrzeugschlange im Stau steht oder besonders langsam fährt.

Landgericht Saarbrücken, Urteil vom 22.1.2021; AZ – 13 S 110/20 –

Foto:  Narayan Lazic

Muss in der Winterzeit ausgebrachtes Streugut umgehend wieder entfernt werden?

In der kalten Jahreszeit gilt es für Grundstückseigentümer wie für die Kommunen zu überprüfen, ob der Reinigungs-, Streu- und Räumdienst auf Grundstücken sowie den öffentlichen Verkehrswegen ausreichend organisiert ist. Ist eine Streupflicht gegeben, so richten sich Inhalt und Umfang nach den Umständen des Einzelfalls – auch für die Verwendung des Streugut. Dabei sind Art und Wichtigkeit des Verkehrsweges ebenso zu berücksichtigen wie seine Gefährlichkeit und die Stärke des zu erwartenden Verkehrs. Die Räum- und Streupflicht besteht jedoch nicht uneingeschränkt. Eine absolute Sicherheit kann und muss nicht erreicht werden.

Es ist so zu räumen, dass für Fußgänger und andere Verkehrsteilnehmer keine Gefahr besteht. Demnach muss je nach Wetterlage auch mehrmals am Tag geräumt oder gestreut werden. Maßgeblich ist, wann damit zu rechnen ist, dass die Wirkung des Streugutes nachlässt. Natürlich ist nur zu räumen, wenn dies auch sinnvoll ist. Es ist erst dann zu streuen, wenn von einer allgemeinen Glättebildung auszugehen ist und nicht nur von vereinzelten Glättestellen.

Streupflichtige müssen nicht nach jeder Verwendung des Streugut dieses gleich beseitigen.Doch was ist, wenn die akute Glättebildung vorüber ist, wie schnell muss das Streugut wieder beseitigt werden? Besonders Kommunen haben ja mitunter viele Kilometer Fuß- und Radwege zu betreuen und lassen daher das Streugut längere Zeit vor Ort liegen. Im verhandelten Fall ging es genau darum: Eine Radfahrerin im Norden von Schleswig-Holstein stürzte bei einem Abbiegevorgang und verletzte sich dabei. Sie gab an, auf einen für Fahrräder zugelassenen Gehweg gefahren und dort aufgrund des ausgebrachten Streuguts weggerutscht zu sein. Zur Unfallzeit herrschte aber kein Frost und die Fahrbahnbedingungen waren einwandfrei. Sie klagte gegen die Gemeinde, das Streugut nicht beseitigt zu haben. Zudem sei das verwendete Splitt-Salz-Gemisch ungeeignet als Streugut. Sie klagte daher auf Zahlung von Schadensersatz.

Das Oberlandesgericht Schleswig-Holstein urteilte im September 2020, dass Streupflichtige nicht nach jeder Verwendung des Streuguts dieses gleich wieder beseitigen müssen. Gerade ein Splitt-Salz-Gemisch solle präventiv gegen die von künftigen Schneefällen und Eisbildungen ausgehenden Gefahren schützen. Ein Splitt-Salz-Gemisch stelle zudem ein geeignetes Streumittel dar.

Der Klägerin stehe kein Anspruch auf Schadensersatz zu. Denn der beklagten Gemeinde sei keine Verkehrssicherungspflichtverletzung anzulasten. Dies gelte vor allem deshalb, weil das verwendete Splitt-Salz-Gemisch dazu diene, die von künftigen Schneefällen und Eisbildungen ausgehenden Gefahren zu mindern. Zudem stehe die Auswahl des Streumittels grundsätzlich im Ermessen des Streupflichtigen.

Oberlandesgericht Schleswig-Holstein, Beschluss vom 10.9.2020; AZ – 7 U 25/19 –

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