Geschäftliche Auswirkungen von Beleidigungen in Social-Media

In der rechtlichen Praxis zeigt sich immer deutlicher, dass Aktivitäten in Social-Media nicht ohne Konsequenzen für bestehende Vertragsverhältnisse bleiben. Ein besonders illustratives Beispiel hierfür liefert ein jüngster Fall, in dem das Landgericht Frankenthal im die fristlose Kündigung eines Pachtvertrags einer Gaststätte bestätigte. Dieser Fall beleuchtet die rechtlichen Grenzen der Meinungsäußerung in digitalen Medien und deren Auswirkungen auf Geschäftsbeziehungen.

Im Zentrum des Falles stand ein Gastwirt, der eine Gaststätte von einem Verein gepachtet hatte. Im Laufe der Zeit entwickelten sich Spannungen zwischen dem Pächter und den Vereinsmitgliedern, die sich in einer Reihe von Unstimmigkeiten und Missverständnissen manifestierten. Besonders brisant wurde die Situation, als der Gastwirt begann, in sozialen Netzwerken gegenüber einem Vorstandsmitglied des Vereins beleidigende Äußerungen zu tätigen. Diese Posts, die unter anderem Wünsche nach einem schlechten Weihnachtsfest und Krankheit im neuen Jahr sowie beleidigende Emojis enthielten, führten schließlich zur fristlosen Kündigung des Pachtvertrages durch den Verein.

Aktivitäten in Social-Media nicht ohne Konsequenzen für bestehende Vertragsverhältnisse!Das Landgericht Frankenthal bestätigte diese Kündigung und unterstrich damit die Bedeutung eines respektvollen Umgangs in Social-Media, insbesondere in Bezug auf geschäftliche Beziehungen. Das Gericht erachtete die beleidigenden Posts als ausreichenden Grund für eine außerordentliche Kündigung. Hierbei spielte es keine Rolle, dass zwischen den Parteien bereits vorher Konflikte bestanden hatten. Entscheidend war die Art und Weise der Äußerungen des Gastwirts, die als persönliche Herabsetzung und Beleidigung eines Vorstandsmitglieds gewertet wurden.

Diese Entscheidung verdeutlicht, dass unsachgemäße und beleidigende Äußerungen in sozialen Netzwerken ernsthafte rechtliche Folgen nach sich ziehen können. In diesem Kontext ist es für Geschäftsinhaber und Pächter wesentlich, sich der Tragweite ihrer Online-Kommunikation bewusst zu sein. Die rechtlichen Rahmenbedingungen erfordern ein hohes Maß an Professionalität und Respekt im Umgang mit Geschäftspartnern, auch und gerade in Social-Media.

Deutlich wird, dass dieser Fall nicht nur wie hier für Betroffene im Gastgewerbe, sondern für alle Geschäftspersonen beachtenswert ist. Er betont die Notwendigkeit, sich stets der potenziellen rechtlichen Konsequenzen von Handlungen in Social-Media bewusst zu sein – und unterstreicht die Bedeutung von professionellem Verhalten in allen Aspekten geschäftlicher Interaktionen.

LG Frankenthal, Urteil v. 26.9.2023; AZ – 6 O 75/23 –

Foto: detailblick-foto

Entzug der Fahrerlaubnis: Neue Maßstäbe bei der Bewertung von Schäden nach Unfallflucht

Unfallflucht, ein Verhalten, das oftmals schwerwiegende rechtliche Konsequenzen nach sich zieht, wird in der Rechtspraxis kontinuierlich diskutiert und neu bewertet. Insbesondere die Frage, wann ein Schaden als “bedeutend” einzustufen ist und somit den Entzug der Fahrerlaubnis rechtfertigt, steht im Mittelpunkt gerichtlicher Entscheidungen.

Ein kürzlich verhandelter Fall in Hamburg veranschaulicht die Komplexität dieser Thematik. Hierbei verursachte eine PKW-Fahrerin auf einem Parkplatz einen Schaden an einem anderen Fahrzeug und verließ den Unfallort, obwohl sie den Vorfall bemerkt hatte. Die Reparaturkosten wurden auf etwa 1.600 Euro geschätzt. Das Amtsgericht Hamburg entzog der Fahrerin vorläufig die Fahrerlaubnis, woraufhin sie Beschwerde einlegte.

Bewertung von Schäden nach Unfallflucht.In seiner Entscheidung vom August 2023 hob das Landgericht Hamburg die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis auf, da es den Schaden nicht als “bedeutend” im Sinne der rechtlichen Vorschriften ansah. Hierbei ist zu beachten, dass die Definition eines “bedeutenden Schadens” bei Unfallflucht variabel und von der aktuellen Rechtsprechung abhängig ist. Während früher Schäden ab etwa 1.300 Euro oder 1.500 Euro als bedeutend angesehen wurden, hat sich die Wertgrenze durch die fortschreitende Entwicklung der Reparaturkosten und die Einkommensentwicklung nach oben verschoben. Das Landgericht Hamburg setzte diese Grenze nun bei mindestens 1.800 Euro an.

Diese Entscheidung verdeutlicht, wie sich wirtschaftliche Entwicklungen auf die Rechtsprechung auswirken können. Die Anhebung der Wertgrenze für einen bedeutenden Schaden spiegelt die die allgemeine wirtschaftliche Situation wider. Dies war der herausstechende Grund die Fahrerlaubnis der betroffenen PKW-Fahrerin nicht zu entziehen, da die geschätzten Reparaturkosten von 1.600 Euro die neu festgesetzte Grenze nicht überschritten. Folgt man den Richtern, so wird grundsätzlich deutlich, dass die Beurteilung der Schadensbedeutung sich an den Reparaturkosten- und der allgemeinen Einkommensentwicklung orientiert und auch orientieren soll.

Für Betroffene und ihre Rechtsbeistände ist es daher essenziell, stets die aktuellsten Entscheidungen und deren Auswirkungen im Blick zu haben.

Landgericht Hamburg, Beschluss vom 9.8.2023; AZ – 612 Qs 75/23 –

 Foto: Ralf Geithe

Glatteis und Arbeitsweg: Was Arbeitnehmer wissen müssen

In der kalten Jahreszeit stellt sich für viele Arbeitnehmer die Frage, ob sie bei schwierigen Witterungsbedingungen zur Arbeit erscheinen müssen oder ob sie alternativ im Homeoffice arbeiten dürfen. Ist es also bei Glatteis für Arbeitnehmer deutlich, was ihre Optionen sind? Die rechtlichen Grundlagen in dieser Situation sind tatsächlich klar definiert.

Grundsätzlich sind Arbeitnehmer verpflichtet, ihren Arbeitsplatz zu erreichen, unabhängig von jeglichen Wetterbedingungen. Dies beinhaltet das Ergreifen aller zumutbaren Maßnahmen, um den Arbeitsplatz pünktlich zu erreichen, auch bei schlechten Witterungsverhältnissen wie Glatteis. Fällt ein gewohntes Verkehrsmittel aus, liegt es in der Verantwortung des Arbeitnehmers, alternative Wege zu finden. Eine „Arbeitsverweigerung“ aufgrund von Glatteis ist somit rechtlich nicht gerechtfertigt.

Kommt ein Arbeitnehmer aufgrund von Glatteis zu spät zur Arbeit, droht zwar nicht gleich eine Kündigung, jedoch können wiederholte Verspätungen zu Abmahnungen führen. Und: In der Zeit der Verspätung besteht kein Anspruch auf Lohn, und der Arbeitgeber kann auch verlangen, dass verlorene Zeit nachgearbeitet wird. In manchen Fällen kann es sogar zu einer Lohnkürzung kommen. Diese Regelungen gelten übrigens auch für Arbeitnehmer, die öffentliche Verkehrsmittel nutzen. Ein Ausfall aufgrund von Witterungsbedingungen ist also auch keine Grund nicht zu erscheinen.

Fahrt zur Arbeit: Ist es bei Glatteis für Arbeitnehmer deutlich, was ihre Optionen sind?Interessant ist auch der rechtliche Schutz bei Unfällen auf dem Weg zur Arbeit. Tritt ein Unfall auf diesem Weg auf, gilt dies als Arbeitsunfall, der von der Berufsgenossenschaft abgesichert ist. Dies umfasst die Behandlungskosten und eventuell eine Verletztenrente. Der Versicherungsschutz beginnt mit dem Verlassen des Hauses und erstreckt sich über den gesamten Arbeitsweg, inklusive Umwege, die eventuell aufgrund von Glatteis erforderlich sind.

Ein automatischer Anspruch auf Homeoffice bei Glatteis existiert also nicht. Auch wenn die Tätigkeit grundsätzlich im Homeoffice ausgeführt werden könnte, darf der Arbeitnehmer nicht eigenmächtig entscheiden, von zu Hause aus zu arbeiten, es sei denn, es besteht eine entsprechende, klar formulierte Vereinbarung. Eine Ausnahme bildete die Homeoffice-Pflicht während der Pandemie, bei der Arbeitgeber angehalten waren, Homeoffice anzubieten. Aktuell (Ende 2023) gibt es jedoch keine rechtlichen Verpflichtungen oder Rechte auf Homeoffice aufgrund von Wetterbedingungen.

Insgesamt zeigt sich, dass Arbeitnehmer bei Glatteis weiterhin die Verantwortung tragen, ihren Arbeitsplatz zu erreichen. Eine flexible Handhabung, wie das Angebot von Homeoffice, hängt von der jeweiligen Unternehmenspolitik und individuellen Vereinbarungen ab.

Arbeitnehmer stehen damit klar in der Pflicht sich vorausschauend zu informieren, wie am nächsten Arbeitstag die Wetter- und Verkehrslage sein wird. Abgesehen von der rechtlichen Situation, dürfte es sinnvoll sein, rechtzeitig zu sprechen und schon vorab („Kann ich wegen Glatteis morgen Homeoffice machen?“) mit der Geschäftsführung eine mündliche Vereinbarung vorzunehmen.

Foto: Wolfilser

Rückwärtsfahren in Einbahnstraßen: Überblick über das BGH-Urteil

Ein Bundesgerichtshof-Urteil zum Thema Rückwärtsfahren in Einbahnstraßen bietet eine deutliche Klarstellung zu einer Fragestellung, die in der alltäglichen Verkehrsrealität eine permanente Rolle spielt. Die Entscheidung des Bundesgerichtshof (BGH) vom Oktober 2023, die sich auf das Zurücksetzen in Einbahnstraßen konzentriert, hebt Feinheiten des Verkehrsrechts hervor und stellt damit wichtige Richtlinien für Autofahrer auf – genauso wie für zukünftige Urteile mit diesem Hintergrund.

Entscheidend ist hier, dass das Rückwärtsfahren in Einbahnstraßen grundsätzlich verboten ist, sobald es entgegen der vorgeschriebenen Fahrtrichtung erfolgt. Diese Regelung zielt darauf ab, die Verkehrssicherheit zu erhöhen und potenzielle Gefahrenquellen, die durch unvorhersehbare Fahrmanöver entstehen könnten, zu minimieren. Der BGH legt dabei Wert auf die Bewegungsrichtung des Fahrzeugs und nicht auf dessen physische Ausrichtung – eine präzise juristische Unterscheidung, die bei speziellem Fällen durchaus wichtig sein kann.

Zurücksetzen in Einbahnstraßen!Interessanterweise erkennt der BGH Ausnahmen von diesem generellen Verbot an, die sich auf das Zurücksetzen beschränken, um anderen Fahrzeugen das Ein- oder Ausfahren zu ermöglichen. Diese Ausnahmeregelung reflektiert erfreulicherweise ein deutliches Verständnis für praktische Erfordernisse im Straßenverkehr.

Der konkrete Fall illustriert die rechtlichen Komplexitäten, die sich aus alltäglichen Verkehrssituationen ergeben können, recht deutlich. Knapp gesagt, ging es um eine Autofahrerin, die in einer Einbahnstraße zurücksetzte – was im Verlauf zu einem Unfall führte.

Es bestand anschließend Uneinigkeit darüber, ob die beiden Fahrzeuge gleichzeitig rückwärts gefahren sind, wie von der Frau behauptet, oder ob der Mann im Auto, mit dem sie zusammenstieß, bereits hinter ihr stand. Der Haftpflichtversicherer der Frau regulierte vorgerichtlich die unstrittigen Schadenspositionen und legte dabei eine Haftungsquote von 40 % für die Frau zugrunde. Aufgrund der verbleibenden 60 % zog der andere Autofahrer vor Gericht.

Das Landgericht Düsseldorf hatte die Klage des Unfallgegners zunächst abgelehnt, sah jedoch das Rückwärtsfahren der Frau als gerechtfertigte Ausnahme an. Der BGH hob damit dieses Urteil auf und verwies die Angelegenheit zurück an das Landgericht, was eine neuerliche Überprüfung der Sachlage erforderlich macht.

Der BGH äußert sich in seinem Urteil damit erstmals zu dieser Frage – und gibt so wichtige Leitlinien für das Verhalten in Einbahnstraßen vor und trägt erkennbar zur Rechtssicherheit bei.

Urteil des BGH vom 10.10.23; AZ – VI ZR 287/22 –

Foto: Gina Sanders

Kurzfristiges Abstellen von Gegenständen im Hausflur rechtfertigt keine Kündigung

In der Rechtspraxis ergeben sich häufig Situationen, die sowohl für Mieter als auch Vermieter durchaus sehr unterschiedlich bewertet werden. Ein solcher Fall wurde kürzlich vom Amtsgericht Berlin-Neukölln behandelt, bei dem es um die Frage ging, ob das kurzfristige Abstellen von Gegenständen im Hausflur eine Kündigung des Mietverhältnisses rechtfertigen kann.

Im August 2021 erhielt eine Mieterin in Berlin eine fristlose, und zusätzlich eine ordentliche Kündigung. Auslöser hierfür war das wiederholte, kurzzeitige Abstellen einer Mülltüte vor ihrer Wohnungstür sowie das gelegentliche Parken eines Kinderwagens durch eine Besucherin im Flurbereich. Die Mieterin lehnte die Kündigung ab, woraufhin die Vermieter eine Räumungsklage einreichten.

Abstellen von Gegenständen im Hausflur rechtfertigt keine Kündigung.Das Amtsgericht Berlin-Neukölln fällte im Juni 2023 ein Urteil, das ganz im Sinne der Mieter ist. Es ging ja im Grunde um sehr alltägliche Situationen, die die „Überreaktion“ des Vermieters wirklich in Frage stellt. Das Gereicht stellte klar, dass das kurzfristige Abstellen von Gegenständen wie Mülltüten oder Kinderwagen, sofern es die Nutzung des Hausflurs durch andere Mieter nicht wesentlich beeinträchtigt, keinen hinreichenden Grund für eine fristlose und auch keine ordentliche Kündigung darstellt.

Diese Entscheidung berücksichtigt die im Mietrecht allgegenwärtige Notwendigkeit, einen Ausgleich zwischen den Rechten der Mieter und den Interessen der Vermieter zu finden. Ein wesentlicher Aspekt dabei ist, dass die Handlungen der Mieterin nicht zu einer erheblichen Beeinträchtigung oder Gefährdung der Hausgemeinschaft führten. Das Gericht wog hierbei die Interessen beider Parteien ab und kam zu dem Schluss, dass die vorübergehende Nutzung des Flurbereichs für derartige Zwecke im Rahmen des Zumutbaren liegt.

Dieses Urteil verdeutlicht, dass nicht jede geringfügige Abweichung von den vertraglichen Pflichten automatisch zu drastischen Maßnahmen wie einer Kündigung führen muss..

Amtsgericht Berlin-Neukölln, Urteil vom 1.6.2023; AZ – 10 C 121/22 –

Foto: Casa imágenes

Hafterhaltung: Verantwortung der E-Scooter-Vermieter

Im urbanen Mobilitätssektor stellen E-Scooter eine bei jungen Leuten höchst beliebte Transportalternative dar, die jedoch auch rechtliche Fragestellungen aufwirft. Ein Beschluss des Amtsgerichts Berlin-Tiergarten vom September 2023 beleuchtet die Hafterhaltung, die Vermieter von E-Scootern betrifft. Das Urteil unterstreicht die Relevanz genauer Nutzerdaten für die Vermeidung von Verfahrenskosten und klärt den Umfang der vorzuhaltenden Daten.

Was war passiert? Ein E-Scooter blockierte einen Gehweg und provozierte dadurch eine polizeiliche Überprüfung. Weil die für die Identifikation des letzten Nutzers nötigen Angaben vom Vermieter nicht vollständig gemacht wurden, richtete sich ein Kostenbescheid nicht gegen den Fahrer, sondern gegen die Vermieterin. Die Berliner Richter stellten klar, dass in solchen Fällen ganz klar die Hafterhaltung des Vermieters greift, sollte der Verursacher des Verstoßes nicht ausfindig gemacht werden können.

Beschluss des Amtsgerichts Berlin-Tiergarten vom September 2023 beleuchtet die Hafterhaltung, die Vermieter von E-Scootern betrifftDie Gerichtsentscheidung verdeutlicht, dass die Pflicht zur vollständigen Registrierung der Nutzerdaten essentiell ist, um im Falle eines Verkehrsverstoßes die Verantwortung adäquat zuweisen zu können. Vermieter von E-Scootern müssen also gewährleisten, dass im Falle einer rechtlichen Nachverfolgung die nötigen Informationen vorliegen. Das Gericht betonte dabei auch, dass die Anhörung des gewerblichen Halters selbst nach nahezu zehn Wochen noch als rechtzeitig gilt, was die praktischen Herausforderungen der Bußgeldbehörden anerkennt.

Dieses Urteil hat sowohl für die Vermieter als auch für die Nutzer von E-Scootern Konsequenzen. Vermieter müssen ihre Datenmanagementprozesse überarbeiten, um der Hafterhaltung schon aus Eigeninteresse gerecht zu werden. Nutzer wiederum sollten sich der Verantwortung bewusst sein, die mit der Nutzung dieser Mobilitätsmittel einhergeht, und darauf achten, sie regelkonform zu nutzen und abzustellen. Nachlässigkeit kann also durchaus zu hohen Kosten führen, ähnlich anderer Verkehrsverstöße, vergleichbar mit Geschwindigkeitsüberschreitungen oder Rotlichtverstößen.

Die Hafterhaltung betont die Notwendigkeit einer Balance zwischen flexibler Mobilität und verkehrsgerechter Nutzung öffentlicher Räume. Für eine effiziente und konfliktfreie Integration der E-Scooter in das urbane Verkehrskonzept ist es unerlässlich, dass sowohl Anbieter als auch Nutzer ihre Verantwortung ernst nehmen und entsprechend handeln.

Amtsgericht Berlin-Tiergarten, Beschluss vom 6.9.2023; AZ – 297 OWi 812/23 –

Foto: Igor Tichonow

Bundesarbeitsgericht: Datenschutz und Videoüberwachung im Kündigungsschutzprozess kein Widerspruch

Das Bundesarbeitsgericht hat im Juni 2023 in einem Fall geurteilt, der viele Arbeitsverhältnisse betrifft: Die Verwertung von Videoaufnahmen in Kündigungsschutzprozessen. Konkret ging es um einen Arbeitnehmer, der zuletzt als Teamsprecher in einer Gießerei tätig war. Ihm wurde vorgeworfen, eine Mehrarbeitsschicht nicht geleistet, jedoch eine Vergütung dafür erhalten zu haben. Videoaufzeichnungen sollten dies belegen. Der Arbeitnehmer argumentierte, dass die Videoüberwachung nicht vollständig den Datenschutzbestimmungen entsprach und daher nicht als Beweismittel verwendet werden dürfe.

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) entschied, dass solche Aufzeichnungen verwertet werden dürfen, selbst wenn sie nicht vollständig datenschutzkonform sind. Die Hauptbedingung ist, dass die Aufnahmen vorsätzlich vertragswidriges Verhalten des Arbeitnehmers dokumentieren. Das Gericht machte klar, dass dies auch unter der Anwendung der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) der Fall ist. Es muss lediglich sichergestellt sein, dass die Datenerhebung offen erfolgt ist und es um vorsätzlich vertragswidriges Verhalten geht. Verwertbarkeit von Videoüberwachung in Kündigungsschutzprozessen.

Das Gericht verwies dabei auch auf das Unionsrecht sowie nationales Verfahrens- und Verfassungsrecht, nach denen die Verarbeitung personenbezogener Daten nicht grundsätzlich ausgeschlossen ist, selbst wenn die Datenerhebung nicht in allen Punkten den Vorgaben der DSGVO oder des Bundesdatenschutzgesetzes entspricht. In diesem Fall wurde die Sache zurück an das Landesarbeitsgericht verwiesen, das auch die Videoaufzeichnungen als Beweismittel in Erwägung ziehen muss.

Die Diskussion, ob in bestimmten Ausnahmefällen ein Verwertungsverbot wegen einer schwerwiegenden Grundrechtsverletzung gelten könnte, ist damit nicht endgültig entschieden. Das war im aktuellen Fall jedoch aus den genannten Gründen nicht relevant. Diese Entscheidung könnte insgesamt weitreichende Auswirkungen auf die Praxis der Videoüberwachung am Arbeitsplatz haben und unterstreicht die Bedeutung einer genauen Kenntnis der rechtlichen Rahmenbedingungen.  Die Richter des BAG lassen damit jedoch – wie erwähnt–  offen, ob aus Gründen der Generalprävention ein Verwertungsverbot in Bezug auf vorsätzliche Pflichtverstöße in Betracht kommt. Das LAG muss nun auf diesem Hintergrund den konkreten Fall erneut verhandeln.

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 29.6.2023; AZ – 2 AZR 296/22 –

Foto: Andrey Popov

BAG: Rückerstattung einer Vermittlungsprovision an den Arbeitgeber ist unzulässig

Das Bundesarbeitsgericht hat mit einem Urteil vom Juni 2023 eine wichtige Entscheidung getroffen, die Arbeitnehmer und Arbeitgeber gleichermaßen betrifft. Im Mittelpunkt stand eine arbeitsvertragliche Regelung, die die Erstattung einer Vermittlungsprovision durch den Arbeitnehmer an den Arbeitgeber vorsah, falls das Arbeitsverhältnis vor einem bestimmten Zeitpunkt endet.

Das Gericht hatte einen Fall zu beurteilen, in dem ein Arbeitnehmer, vermittelt durch einen Personaldienstleister, eine Stelle antrat. Der Arbeitgeber zahlte eine Vermittlungsprovision an den Dienstleister, und es wurde vereinbart, dass der Arbeitnehmer diese Provision zurückzahlen müsste, falls er das Arbeitsverhältnis vor Ablauf einer festgelegten Frist beendet.

Erstattung einer Vermittlungsprovision durch den Arbeitnehmer an den Arbeitgeber ist unzulässig!Der Rechtsstreit entstand, nachdem der Arbeitnehmer das Arbeitsverhältnis beendete und der Arbeitgeber einen Teil der Provision zurückforderte. Der Arbeitnehmer klagte dagegen und argumentierte, dass die entsprechende Regelung im Arbeitsvertrag ihn unangemessen benachteilige. Der Arbeitgeber konterte und behauptete, dass die Regelung rechtmäßig sei und ein legitimes Interesse daran bestehe, die Vermittlungsprovision nur dann endgültig zu zahlen, wenn der Arbeitnehmer auch für eine bestimmte Zeit tätig gewesen sei.

Das Bundesarbeitsgericht urteilte, dass die Regelung zur Provisionserstattung den Arbeitnehmer unangemessen benachteiligt und daher auch unwirksam sei. Es wurde durch die Richter hervorgehoben, dass Arbeitnehmer durch solche Vereinbarungen in ihrer freien Wahl des Arbeitsplatzes beeinträchtigt werden könnten, ohne dass dies durch begründete Interessen des Arbeitgebers gerechtfertigt wäre. Der Arbeitgeber müsse das unternehmerische Risiko tragen, dass sich finanzielle Aufwendungen für die Personalbeschaffung nicht „lohnen“, wenn der Arbeitnehmer das Arbeitsverhältnis in rechtlich zulässiger Weise beendet.

Dieser Fall unterstreicht die Bedeutung einer fairen Gestaltung von Arbeitsverträgen und stellt klar, dass die Kosten für die Personalvermittlung nicht einfach auf die Arbeitnehmer abgewälzt werden können. Beide, Arbeitgeber und Arbeitnehmer, sollten sich dieser Entscheidung bewusst sein und ihre Arbeitsverträge entsprechend überprüfen und gestalten.

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 20.6.2023 ; AZ – 1 AZR 265/22 –

Foto: Kanazawa photo base

Einheit von Mietverträgen bei Wohnung und Garage

In einem Fall vom Mai 2023 stand die Frage im Raum, ob Mietverträge für eine Wohnung und eine Garage, die sich auf demselben Grundstück befinden, als separate Einheiten betrachtet werden können, auch wenn sie zeitgleich abgeschlossen wurden.

Die Klägerin, eine Vermieterin, hatte mit ihren Mietern zwei Verträge abgeschlossen: Einen für die Wohnung und einen weiteren für eine Garage auf dem gleichen Grundstück. Nach einiger Zeit entschied sich die Vermieterin, lediglich den Vertrag bezüglich der Garage zu kündigen und forderte die Mieter zur Rückgabe auf. Diese verweigerten sich jedoch, mit dem Argument, dass die Verträge für Wohnung und Garage eine untrennbare Einheit bildeten.

Die Vermieterin argumentierte vor dem Amtsgereicht Hanau, dass es sich um zwei separate Mietverträge handle, was sich aus der Nutzung zweier unterschiedlicher Vertragsformulare und der getrennten Zahlung der Mieten ableiten ließe. Zudem wurde im Garagenmietvertrag festgehalten, dass dieser unabhängig von einem möglicherweise gleichzeitig bestehenden Wohnraummietvertrag sei. Mietrecht-Urteil: Einheit von Wohnung und Garage sind anzunehmen.

Das Gericht entschied dessen ungeachtet gegen die Klägerin. Trotz der Verwendung zweier Vertragsformulare und der separaten Mietzahlungen wurde ein einheitliches Mietverhältnis für beide Objekte anerkannt. Die Mieter hatten offensichtlich die Absicht, sowohl die Wohnung als auch die Garage gemeinsam zu mieten, und es erschien praxisfern, so das Gericht, anzunehmen, dass sie die Garage nicht so lange nutzen möchten, wie sie auch in der Wohnung leben. Ein entscheidender Punkt war zudem, dass der Bundesgerichtshof eine untrennbare Verbindung der Mietverträge annimmt, wenn sich Wohnung und Garage auf demselben Grundstück befinden.

Auch wenn im Garagenmietvertrag anderslautende Regelungen getroffen wurden, standen diese nicht im Vordergrund, da es sich um allgemeine Geschäftsbedingungen handele, die typischerweise von der Vermieterseite gestellt werden. Solche Bedingungen könnten nicht dazu genutzt werden, um zusammengehörige Mietverträge einseitig zu trennen und separat zu kündigen. Auch die separate Zahlung der Mieten, die auf Wunsch der Vermieterin erfolgte, ändere nichts an diesem Urteil.

Amtsgericht Hanau, Urteil vom 5.5.2023; AZ – 32 C 172/22 (12) –

Foto: GM Photography

Keine Gebühren für freiwillige Feuerwehrhilfe bei Reifenpanne

Ein kürzlich ergangener Beschluss des Verwaltungsgerichts Gießen vom Mai 2023 hat die grundsätzliche Bedingungen für Feuerwehrhilfe sehr deutlich geklärt. Es ging konkret um die Frage, ob die Stadt Kirtorf berechtigt war, Gebühren für die Hilfeleistung der Feuerwehr im Rahmen eines Einsatzes bei einer Reifenpanne zu erheben.

Im Dezember 2022 wurde die freiwillige Feuerwehr der Stadt Kirtorf alarmiert, da ein Baum auf der Fahrbahn umgestürzt sein sollte. Sechs Einsatzfahrzeuge und 17 Feuerwehrkräfte rückten aus, konnten jedoch keinen umgestürzten Baum vorfinden. Stattdessen stießen sie auf eine Autofahrerin, die wegen einer Reifenpanne am Straßenrand stand und auf den ADAC wartete. Die Feuerwehr bot spontan ihre Hilfe an und wechselte den Reifen des Fahrzeugs.

Feuerwehrhilfe bei einer Reifenpanne – sind dann Gebühren zu zahlen?Einige Wochen später erhielt die Autofahrerin einen Bescheid von der Stadt Kirtorf, in dem ihr Kosten in Höhe von 784,20 Euro für den Einsatz in Rechnung gestellt wurden. Die Begründung: Es seien insgesamt Kosten von über 1.000 Euro entstanden, aber aus Billigkeitsgründen sei die Summe um 25 % reduziert worden.

Die Autofahrerin legte gegen diesen Bescheid Widerspruch ein und beantragte beim Verwaltungsgericht Gießen einstweiligen Rechtsschutz. Das Gericht gab dem Eilantrag statt und stellte fest, dass der Bescheid rechtswidrig war. Es fehlte nicht nur eine ausreichende Begründung für die Gebührenforderung, sondern auch eine taugliche Rechtsgrundlage. Das Gericht betonte, dass durch das Fahrzeug der Autofahrerin keine unaufschiebbare Gefahrenlage entstanden war, die ein Eingreifen der Feuerwehr erforderlich gemacht hätte. Zudem durfte die Autofahrerin davon ausgehen, dass die Hilfeleistung unentgeltlich war, da sie die Feuerwehr nicht selbst angefordert hatte und auch nicht über mögliche Gebühren informiert wurde. Die Feuerhilfe war in der Tat eine freiwillige Hilfe der beteiligten Personen im Einsatz.

Dieser Fall zeigt, dass nicht jede Hilfeleistung der Feuerwehr automatisch mit Gebühren verbunden ist. Es bedarf einer klaren Rechtsgrundlage und einer transparenten Kommunikation seitens der Behörden, um solche Missverständnisse und rechtlichen Auseinandersetzungen zu vermeiden. Insgesamt entsteht der Eindruck, dass die Mitarbeiter der Verwaltung sich im Vorfeld nur unzureichend informiert haben – was die Bürger allerdings erwarten dürfen.

Verwaltungsgericht Gießen, Beschluss vom 15.5.2023 ; AZ – 2 L 260/23.GI –

Foto: Markus Mainka