Interessenkonflikte verhindern Doppelrolle als Betriebsratsvorsitzender und Datenschutzbeauftragter

Das Bundesarbeitsgericht hat klargestellt, dass die Funktion des Vorsitzenden im Betriebsrat in der Regel unvereinbar mit der Rolle des Datenschutzbeauftragten im Unternehmen ist. Die Entscheidung bezieht sich auf einen Fall, in dem ein Arbeitnehmer sowohl Vorsitzender des Betriebsrats als auch Datenschutzbeauftragter war. Das Unternehmen widerrief seine Bestellung als Datenschutzbeauftragter, da es einen Interessenkonflikt sah. Die Vorinstanzen hatten dem Kläger zunächst Recht gegeben, doch mit dem Urteil vom Juni 2023 entschied das Bundesarbeitsgericht klar dagegen.

Kern der Entscheidung ist der Gedanke des Interessenkonflikts. Der Betriebsrat hat laut Betriebsverfassungsgesetz spezifische Aufgaben und Befugnisse, darunter auch den Zugang zu bestimmten personenbezogenen Daten des Unternehmens. Der Datenschutzbeauftragte hingegen ist dafür verantwortlich, die Einhaltung der Datenschutzgesetze im Unternehmen sicherzustellen. Beide Rollen erfordern unterschiedliche Herangehensweisen an die Verarbeitung personenbezogener Daten, was zu einem Interessenkonflikt führen kann.

Unvereinbarkeit Betriebsrat & DatenschutzbeauftragterFür den Datenschutzbeauftragten ist es von zentraler Bedeutung, unabhängig zu agieren. In der Rolle des Betriebsratsvorsitzenden könnte die Unabhängigkeit des Datenschutzbeauftragten beeinträchtigt werden, insbesondere wenn es um die Verarbeitung personenbezogener Daten geht, die der Betriebsrat anfordert oder nutzt. Hier stellt sich erkennbar die Frage, ob der Datenschutzbeauftragte in dieser Konstellation wirklich die nötige Unabhängigkeit bewahren kann, um faktisch sicherzustellen, dass das Unternehmen die Datenschutzgesetze einhält.

Die Entscheidung macht deutlich, dass ein Interessenkonflikt vorliegt, wenn der Datenschutzbeauftragte innerhalb einer Einrichtung eine Position bekleidet, die die Festlegung von Zwecken und Mitteln der Verarbeitung personenbezogener Daten zum Gegenstand hat. Das Urteil wirft letztlich auch Licht auf die breitere Thematik der Unvereinbarkeit von Ämtern und zeigt, wie wichtig es ist, die unterschiedlichen Rollen und Verantwortlichkeiten innerhalb eines Unternehmens klar abzugrenzen, um effektiven Datenschutz sicherzustellen.

Diese Entscheidung bietet daher nicht nur klare rechtliche Leitlinien, sondern auch eine wertvolle Orientierung für Unternehmen und Betriebsräte, um sicherzustellen, dass die jeweiligen Funktionen im Einklang mit den gesetzlichen Anforderungen stehen.

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 6.6.2023; AZ – 9 AZR 383/19 –

Foto: Joseph

BGH-Urteil zum Annahmeverzug: Fristlose Kündigung bei angebotener Weiterbeschäftigung ist unwirksam

Ein aktuelles Urteil des Bundesarbeitsgerichts (BGH) wirft ein neues Licht auf das komplexe Thema fristloser Kündigung und Annahmeverzug. Annahmeverzug bezeichnet eine Situation, in der ein Arbeitgeber die Arbeitsleistung eines Arbeitnehmers nicht annimmt, obwohl dieser leistungsbereit und -fähig ist. In dem betreffenden Fall war ein technischer Leiter von seiner Arbeitgeberin zunächst fristlos gekündigt und anschließend ein neuer Arbeitsvertrag als Softwareentwickler zu verminderten Bezügen angeboten worden. Der Mitarbeiter lehnte dieses Angebot ab und blieb der Arbeit fern. Daraufhin erfolgte eine erneute Kündigung, diesmal „außerordentlich“.

Die Beurteilung in diesem Fall des BGH mit seinem Urteil vom März 2023 verdeutlicht, dass eine Kündigung, die im Widerspruch zu einem gleichzeitig angebotenen Weiterbeschäftigungsvertrag steht, als unwirksam betrachtet werden kann. So wurde in dem betreffenden Fall entschieden, dass beide Kündigungen das Arbeitsverhältnis nicht beendeten.

Kündigung und AnnahmeverzugDes Weiteren wurde deutlich, dass die Ablehnung eines solchen “Angebots” nicht zwingend auf einen fehlenden Leistungswillen des Mitarbeiters schließen lässt. Im vorliegenden Fall hatte der Mitarbeiter aufgrund der gegen ihn erhobenen Vorwürfe und der Herabwürdigung seiner Person begründeten Grund, eine Weiterbeschäftigung abzulehnen.

Im Rahmen des diskutierten Falles ist besonders bemerkenswert, wie das Gericht den Antrag des Mitarbeiters auf vorläufige Weiterbeschäftigung während des Kündigungsschutzprozesses beurteilt hat. In vielen Fällen könnte eine solche Anfrage als Widerspruch oder gar Zustimmung zu der Kündigung interpretiert werden. Allerdings hat das Gericht in diesem speziellen Fall eine differenzierte Betrachtung vorgenommen.

Es wurde festgestellt, dass der Antrag auf vorläufige Weiterbeschäftigung nicht als Zustimmung zur Kündigung oder gar als Hinweis auf eine Zustimmung zu den veränderten Arbeitsbedingungen zu verstehen ist. Vielmehr zielt eine solche Anfrage auf die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nach einer festgestellten Unwirksamkeit der Kündigungen ab.

Das bedeutet, der Mitarbeiter beabsichtigte mit seinem Antrag, seine Tätigkeit fortzusetzen, falls das Gericht zu dem Schluss kommen würde, dass die Kündigungen unwirksam waren. Dies ist eine subtile, aber sehr wichtige Unterscheidung, da sie zeigt, dass der Wunsch nach Weiterbeschäftigung in solchen Fällen nicht zwangsläufig als Zustimmung zu den Bedingungen oder der Legitimität der Kündigung gesehen werden muss.

Das Urteil unterstreicht die Bedeutung sorgfältig formulierter Kündigungen und die Wichtigkeit von Verträgen, die in Einklang mit den Umständen der Kündigung stehen.

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 29.03.2023; AZ – 5 AZR 255/22 –

Foto: Jeanette Dietl

Fehlender Arbeitsantritt bei mangelnder Unterstützung durch Jobcenter ist kein sozialwidriges Verhalten

Ein im Januar 2023 ergangenes Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen hat wichtige Auswirkungen auf die Interpretation von sogenanntem sozialwidrigem Verhalten im Kontext von Jobcenter-Leistungen. Der Fall drehte sich um einen Langzeitarbeitslosen, der eine Stelle in einer anderen Stadt nicht antreten konnte, weil das Jobcenter nicht die erforderliche Unterstützung bot. Ein Arbeitsantritt sei in der Tat nicht möglich.

Der betroffene Mann, Jahrgang 1962, stammt aus Osnabrück und war bis 2003 als Buchhalter tätig. Nach dieser Zeit folgten Phasen von Arbeitslosigkeit und diversen Hilfsarbeiten. Obwohl er sich viele Jahre erfolglos auf Stellen als Buchhalter beworben hatte, erhielt er 2019 unerwartet einen Arbeitsvertrag für eine entsprechende Stelle in Düsseldorf.

Ein Arbeitsantritt muss evtl. vom Job-Center unterstützt werden.Sein Arbeitsantritt scheiterte jedoch, da das Jobcenter die Übernahme der Mietkaution für seine neue Wohnung ablehnte, was einen notwendigen Umzug verhinderte. Im Jahr darauf forderte das Jobcenter die Rückzahlung von rund 6.800 Euro an Grundsicherungsleistungen, mit der Begründung, der Mann habe durch sein Ausbleiben vom Arbeitsantritt vorsätzlich ein Arbeitsverhältnis verhindert.

In seiner Verteidigung argumentierte der Mann, dass er nicht schuld an der Nichtannahme der Stelle war. Er konnte den Mietvertrag in Düsseldorf nicht unterschreiben, da er kein Geld für die Kaution hatte und noch nicht aus seinem alten Mietvertrag entlassen war.

Das Gericht stimmte der Argumentation des Mannes zu und entschied, dass das Nichtantreten einer Arbeitsstelle außerhalb des Tagespendelbereichs kein sozialwidriges Verhalten darstellt. Speziell, wenn der Arbeitsuchende am künftigen Beschäftigungsort keine Wohnung anmieten kann, weil ihm die Mittel für eine Mietkaution fehlen und das Jobcenter die Übernahme ablehnt.

Der Fall zeigt, dass bei der Beurteilung von sozialwidrigem Verhalten das Handeln und die Unterstützung durch das Jobcenter berücksichtigt werden müssen. In diesem speziellen Fall hat das Jobcenter den Mann „allein gelassen“ – ein vorwerfbares sozialwidriges Verhalten lag daher nicht vor.

Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 26.1.2023; AZ – L 11 AS 336/21

Foto: Elnur

Keine Entschädigung für nicht-binäre Person aufgrund von Ungleichbehandlung bei der Stellenbesetzung

Das Landesarbeitsgericht (LAG) entschied mit seinem Urteil vom Februar 2023, dass bei einer Stellenausschreibung, die sich ausschließlich an Personen weiblichen Geschlechts richtet, kein Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot vorliegen muss. Die Hochschule, die eine Stelle als Gleichstellungsbeauftragte ausschrieb, berief sich auf das Niedersächsische Hochschulgesetz (NHG), welches vorschreibt, dass eine Frau dieses Amt besetzen soll. Eine Ungleichbehandlung bei der Stellenbesetzung wurde nicht festgestellt.

Der Kläger, der sich selbst als nicht-binär identifiziert, reichte seine Bewerbung ein, doch die Hochschule berücksichtigte ihn nicht für die Stellenbesetzung. Das Arbeitsgericht in Braunschweig lehnte seine Forderung nach Entschädigung ab. Sein Versuch, vor dem Landesarbeitsgericht Berufung einzulegen, scheiterte ebenfalls. Der Kläger wurde gegenüber weiblichen Bewerberinnen nicht ungleich behandelt, so die Richter.

Stellenausschreibung, die sich ausschließlich an Personen weiblichen Geschlechts richtet, muss keine Ungleichbehandlung bedeuten!Die gesetzliche Beschränkung (NHG) auf das weibliche Geschlecht führt grundsätzlich nicht automatisch zur Rechtfertigung einer darauf begründeten Maßnahme. Eine unterschiedliche Behandlung ist im Gegenteil auch nur dann zulässig, wenn das Geschlecht eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung darstellt. Dies trifft im vorliegenden Fall jedoch aufgrund des Stellen- und Aufgabenzuschnitts der Hochschule eindeutig und unverkennbar zu. Das weibliche Geschlecht ist für einen Teil der Aufgaben der Gleichstellungsbeauftragten unverzichtbar.

Die Gleichstellungsbeauftragte berät beispielsweise Hochschulangehörige in Fragen der Gleichstellung und unterstützt insbesondere als Ansprechpartnerin bei sexuellen Belästigungen, von denen hauptsächlich Frauen betroffen sind. Hier sind Erwartungen Dritter und die Notwendigkeit einer bestimmten Geschlechtszugehörigkeit zur Authentizität der Aufgabenwahrnehmung legitim und nicht diskriminierend. Eine Revision gegen das Urteil wurde denn auch nicht zugelassen.

Ähnliches gilt im Übrigen, wenn ein Vertrauensverhältnis zu einer bestimmten Gruppe erforderlich ist, wie bei der Beratung und Betreuung von Diskriminierungsopfern. Daher konnte die Hochschule den Bewerberkreis für das Amt der Gleichstellungsbeauftragten auch problemlos auf Frauen beschränken und eine Ungleichbehandlung verneinen.

Landesarbeitsgericht Niedersachsen, Urteil vom 24.2.2023; AZ – 16 Sa 671/22 –

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Urteil: Arbeitgeber darf Betriebsrat nicht abmahnen

In Deutschland haben Gewerkschaften und ihre Vertreter nach wie vor eine starke Rolle in der Arbeitnehmer-Vertretung – anders als in vielen anderen Ländern. In den meisten Betrieben steht dafür zunächst der Betriebsrat und dessen Vertreter. Sie haben durch ihre besondere Tätigkeit einen hohen Schutz, was auch immer wieder Unternehmern ein Dorn im Auge ist. Doch Gerichte neigen hierzulande eher dazu, die Rechte der Arbeitnehmer zu schützen, wie auch ein aktuelles Urteil des Landesarbeitsgericht Hessen vom November 2021 zeigt.

Der Arbeitgeber hatte vom Betriebsrat unter Androhung arbeitsrechtlicher Schritte verlangt, es zu unterlassen, ein (vom Arbeitgeber erstelltes) Formular mit der Funktion einer „Jahresurlaubsplanung“ zu verändern oder anzupassen. Obwohl Mitglieder des Betriebsrats in der Ausübung ihrer Tätigkeit ganz klar nicht gestört oder behindert und auch nicht benachteiligt oder begünstigt werden dürfen, mahnte der Arbeitgeber den Betriebsrat in einer E-Mail ab.

Der Betriebsrat ist gesetzlich besonders geschützt!Der Arbeitgeber begründete das Ignorieren des Betriebsverfassungsgesetzes damit, dass interne Firmenunterlagen zu verändern und diese ungeprüft und ungefragt weiterzugeben, keine typische Tätigkeit sei und auch als Interna zu unterbinden. Das Schreiben endete denn auch mit dem Verweis, arbeitsrechtliche Schritte in Erwägung zu ziehen, sollte sich so ein Fall wiederholen. Was typischerweise eine Abmahnung wäre.

Eine „betriebsverfassungsrechtliche Abmahnung wegen einer betriebsverfassungsrechtlichen Amtspflichtverletzung ist generell unzulässig“, lautete jedoch die etwas in sich gedreht wirkenden Begründung der hessischen Richter. Beides, Abmahnung und Amtspflichtverletzung liegen quasi auf der gleichen Ebene, daher auch dieser Wortlaut der Erklärung.

Abmahnung für ein Verhalten, das der Mitarbeiter aufgrund seiner Stellung im Betriebsrat tätigt, kommt daher nicht in Betracht. Jedoch bleibt davon natürlich die Möglichkeit der Abmahnung in seiner Stellung als normaler Arbeitnehmer (die er gleichzeitig innehat) vollkommen unberührt – so zum Beispiel, wenn er Pflichten aus seinem geltenden Arbeitsvertrag verletzt. Der Abmahnung kann er dann auch nicht die Mitgliedschaft im Betriebsrat entgegenhalten.

Die Möglichkeit, gegen eine Abmahnung durch den Arbeitgeber vorzugehen, steht übrigens nur dem abgemahnten Betriebsratsmitglied selbst offen. Ein entsprechendes Recht des Betriebsrats als Kollektiv existiert hingegen nicht.

Urteil des hessischen Landesarbeitsgerichts vom 29.11.2021; AZ – 16 TaBV 52/21–

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Kein Anspruch auf gesetzlichen Mindestlohn für Pflichtpraktikum jeglicher Art

Praktikanten, die ein Pflichtpraktikum als Zulassungsvoraussetzung für die Aufnahme eines Studiums absolvieren, haben keinen Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn. Das hat das Bundesarbeitsgericht im Januar 2022 entschieden.

Im Urteil stellten die Richter klar, der Ausschluss von Ansprüchen auf den gesetzlichen Mindestlohn (nach dem in der Gesetzesbegründung zum Ausdruck kommenden Willen des Gesetzgebers) gelte nicht nur obligatorische Praktika während des Studiums. Auch solche, die in Studienordnungen als Voraussetzung zur Aufnahme eines bestimmten Studiums verpflichtend vorgeschrieben sind, sind darin eingeschlossen.

Die Klägerin im konkreten Fall beabsichtigte sich an einer privaten, staatlich anerkannten Universität um einen Studienplatz im Fach Humanmedizin zu bewerben. Nach der Studienordnung ist die Ableistung eines sechsmonatigen Krankenpflegedienstes Zugangsvoraussetzung für den Studiengang. Vor diesem Hintergrund absolvierte die Klägerin bei der Beklagten, die ein Krankenhaus betreibt, ein Praktikum auf einer Krankenpflegestation. Ausschluss von Ansprüchen auf den gesetzlichen MindestlohnDie Zahlung einer Vergütung wurde nicht vereinbart. Mit ihrer Klage hatte die Klägerin unter Berufung auf das Mindestlohngesetz Vergütung in Höhe von mehr als 10.000 Euro brutto verlangt. Sie hatte geltend gemacht, sie habe im Rahmen einer Fünftagewoche täglich 7,45 Stunden Arbeit geleistet. Ein Vorpraktikum vor Aufnahme eines Studiums sei kein „übliches“ Pflichtpraktikum, daher greife die gesetzliche Ausnahme von der Vergütungspflicht nicht. Das Landesarbeitsgericht hat in der ersten Instanz die Klage abgewiesen. Die dagegen gerichtete Revision hatte ebenfalls keinen Erfolg.

Das Berufungsgericht in Erfurt hat dann im Ergebnis letztlich festgelegt, dass die Beklagte nicht zur Zahlung des gesetzlichen Mindestlohns verpflichtet sei. Dem stehe nicht entgegen, dass die Studienordnung von einer privaten Universität erlassen wurde, denn die betroffene Universität sei staatlich anerkannt. So ist die von der Hochschule erlassene Zugangsvoraussetzung im Ergebnis einer öffentlich-rechtlichen Regelung gleichgestellt. Damit sei auch gewährleistet, dass durch das Praktikums-Erfordernis als Teil der Studienordnung der grundsätzlich bestehende Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn für Praktikanten nicht sachwidrig umgangen wurde.

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 19.01.2022; AZ – 5 AZR 217/21 –

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Keine Abmahnung nötig: Ordentliche Kündigung wegen erheblicher Verspätungen

Zu spät zur Arbeit zu kommen, das passiert wohl jedem Arbeitnehmer einmal – die Umstände sind so unterschiedlich wie die betroffenen Personen. Und viele Arbeitgeber sehen das – besonders wegen vereinbarten Gleitzeit-Regelung – nicht als allzu problematisch an. Kommt eine Arbeitnehmerin an vier aufeinander folgenden Arbeitstagen teilweise erheblich zur spät zur Arbeit, so geht das sicher zu weit – und rechtfertigt tatsächlich die ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses. Fehlt (wie im vorliegend Fall) der Arbeitnehmerin zudem ein wirkliches Unrechtsbewusstsein, so bedarf es auch keiner vorherigen Abmahnung. Dies hat das Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein Ende August 2021 entschieden.

Dem Fall lag folgender Sachverhalt zugrunde: Ende 2019 wurde eine bei einem Sozialgericht in Schleswig-Holstein beschäftigte Angestellte ordentlich gekündigt, weil sie an vier aufeinanderfolgenden Arbeitstagen teilweise erheblich zu spät zur Arbeit kam.

Ordentliche Kündigung wegen erheblicher Verspätungen

Die Angestellte war in der Poststelle eingesetzt und an ihren Arbeitstagen dort die einzige Mitarbeiterin. Sie begründete die Verspätungen unter anderem mit Schlafmangel. Sie empfand dies als hinreichenden Grund für ihre Verspätungen und erhob Klage gegen die Kündigung. Das Arbeitsgericht Flensburg wies die Klage ab. Das wollte sie nicht hinnehmen und ging in die Berufung.

Das zuständige Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein bestätigte jedoch die Entscheidung des Arbeitsgerichts. Die wiederholten Verspätungen der Klägerin bei der Arbeitsaufnahme rechtfertige in jedem Fall eine ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses. Sie habe klar ihre Verpflichtung zum pünktlichen Arbeitsantritt verletzt. Soweit die Klägerin einen Schlafmangel anführte, sei dies ihren privaten Lebensumständen zuzurechnen und könne die Pflichtverletzung nicht beseitigen.

Auch eine ins Spiel gebrachte  Abmahnung habe es nach Ansicht des Landesarbeitsgerichts nicht bedurft. Denn die Klägerin sei ersichtlich nicht ernsthaft gewillt gewesen, sich ihrem Arbeitsvertrag gemäß zu verhalten. Dafür sprächen die massiven Verspätungen der Klägerin an vier aufeinanderfolgenden Arbeitstagen. Denn obwohl sie bereits nach der ersten Verspätung in einem Gespräch auf die Pflichtverletzung hingewiesen wurde, habe sie keine Maßnahmen ergriffen, um ein erneutes Verschlafen zu verhindern. Zudem habe sie in der mündlichen Verhandlung ausgeführt, es sei nicht so schlimm und führe nicht zu betrieblichen Störungen, wenn die Post einmal liegen bleibe. Dies zeige erkennbar fehlendes Unrechtsbewusstsein.

Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein, Urteil vom 31.8.2021; AZ – 1 Sa 70 öD/21 –

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Auch ohne Abmahnung: Kündigung wegen Diebstahl von Desinfektionsmittel rechtmäßig

Das Landesarbeitsgericht Düsseldorf hat mit einem Urteil vom Januar 2021 die fristlose Kündigung eines Mitarbeiters, der einen Liter Desinfektionsmittel entwendet hatte, auch ohne vorherige Abmahnung als rechtmäßig angesehen. Bei der stichprobenartigen Ausfahrtkontrolle fand der Werkschutz im Kofferraum des Klägers eine nicht angebrochene Plastikflasche mit einem Liter Desinfektionsmittel und eine Handtuchrolle. Der Wert des Desinfektionsmittels betrug zum damaligen Zeitpunkt etwa 40 Euro. Hintergrund: Es kam in dem beklagten Unternehmen immer wieder vor, dass Desinfektionsmittel aus den Waschräumen entwendet wurde.

Im konkreten Fall stimmte am Ende sogar der Personalausschuss der fristlosen Kündigung (nach Befragung von Zeugen) zu. Der Kläger stellte dem entgegen, er habe sich während der Arbeit jede Stunde zu seinem Fahrzeug begeben, um die Hände zu desinfizieren und abzutrocknen. Er habe das Mittel für sich und eventuell seine Kollegen verwenden wollen, zumal dieses in den Waschräumen nicht immer verfügbar gewesen sei. Bei der Ausfahrt habe er an die Sachen im Kofferraum nicht mehr gedacht. Er müsse kein Desinfektionsmittel stehlen, weil seine Frau in der Pflege arbeite und die Familie über sie ausreichend versorgt sei.

Das Gericht hat mit Urteil vom Januar 2021 die fristlose Kündigung eines Mitarbeiters auch ohne vorherige Abmahnung als rechtmäßig angesehen.Die Arbeitgeberin führte an, dass der Kläger dem Werkschutz gesagt habe, dass er das Desinfektionsmittelhabe mitnehmen dürfe, um sich unterwegs die Hände zu desinfizieren. Sie habe jedoch mit Aushängen im Sanitärbereich darauf hingewiesen, dass das Mitnehmen von Desinfektionsmittel eine fristlose Kündigung und Anzeige zur Folge habe. Eine zusätzliche Abmahnung war schon an dieser Stelle seitens des Arbeitgeber ausgenommen.

Nach Auffassung des Düsseldorfer Landesarbeitsgerichts liegt ganz deutlich ein wichtiger Grund für eine fristlose Kündigung vor. Die Einlassungen des Klägers seien nicht glaubhaft. Das Landesarbeitsgericht geht davon aus, dass der Kläger das Desinfektionsmittel genommen habe, um es selbst zu verbrauchen. Wenn er es während der Schicht habe benutzen wollen, hätte es nahe gelegen, das Desinfektionsmittel auf einen Materialwagen am Arbeitsplatz zu stellen. Es sei zudem nicht nachvollziehbar, dass er das Desinfektionsmittel auch für die Kollegen verwenden wollte, denn weder hatte er ihnen gesagt, wo er das Desinfektionsmittel aufbewahrt noch ihnen den Autoschlüssel gegeben, damit sie es hätten benutzen können. Und last but not least sei die aufgefundene Flasche nicht angebrochen gewesen.

Tatsächlich ist im vorliegenden Fall eine sonst übliche vorherige Abmahnung nicht erforderlich, so die Düsseldorfer Richter. Auch angesichts der langen Beschäftigungszeit des Arbeitnehmers. Der Kläger habe in einer Zeit der Pandemie, als Desinfektionsmittel Mangelware war und in Kenntnis davon, dass auch die Beklagte mit Versorgungsengpässen zu kämpfen hatte, eine nicht geringe Menge Desinfektionsmittel entwendet. Damit habe er darüber hinaus in Kauf genommen, dass seine Kollegen leer ausgingen.

Angesichts dieser Umstände habe dem Kläger klar sein müssen, dass er mit seiner Handlungsweise den Bestand seines Arbeitsverhältnisses gefährdete.

Landesarbeitsgericht Düsseldorf, Urteil vom 14.1.2021; AZ – 5 Sa 483/20 –

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Sind Überstunden pauschal mit Lohn und Gehalt abgegolten?

Oft enthalten Arbeitsverträge Klauseln, nach denen anfallende Überstunden mit dem Gehalt abgegolten sind. Solche Klauseln sind nur wirksam, wenn der Arbeitnehmer aus der Klausel zweifelsfrei ersehen kann, in welchem Umfang diese zu leisten sind. Dies ist insbesondere dann nicht der Fall, wenn die Klausel besagt, dass „erforderliche Überstunden“ oder schlicht und einfach jedwede Überstunden mit dem normalen Gehalt abgegolten sein sollen.

Zulässig ist hingegen eine vertragliche Abgeltung zeitlich konkret eingegrenzter Überstunden (beispielsweise mit „10 Stunden pro Monat“ benannt). Auch eine Abgeltung einer größeren Zahl von Überstunden in den Grenzen des Arbeitszeitgesetzes ist möglich. Das heißt diese können umgangssprachlich „abgefeiert“ werden, es findet also ein echter Ausgleich statt. In dem Fall gilt es allerdings zu beachten, dass Überstunden bis zur Höchstarbeitsgrenze des Arbeitszeitgesetzes von 48 Stunden wöchentlich bereits mit dem normalen Entgelt abgegolten sind.

Überstunden und deren wie immer gestalteter Ausglieich müssen klar geregelt sein!Bei Diensten höherer Art (zum Beispiel bei angestellten Rechtsanwälten in der Rechtsabteilungen von Konzernen) oder bei Arbeitnehmern mit Führungsaufgaben, die nicht unter das Arbeitszeitgesetz fallen (zum Beispiel Chefärzte und leitende Angestellte) muss der Entgeltanspruch für Überstunden nicht zwangsweise gültig sein. Eine weitere wichtige Grenze hat dazu das Bundesarbeitsgericht in einer Entscheidung vom Februar 2012 gezogen: Bei Zahlung einer deutlich hervorgehobenen Vergütung – gekennzeichnet etwa durch die Überschreitung der Beitragsbemessungsgrenze in der Rentenversicherung – besteht keine objektive Vergütungserwartung für Überstunden. Diese sind dann in der Tat mit dem herausgehobenen Gehalt bereits abgegolten.

Nach statistischen Erhebungen werden in Deutschland jährlich tatsächlich mehrere Milliarden Überstunden erbracht. Deren Ableistung dürfte also in der Praxis der Regelfall sein. Sofern Arbeitnehmer hinreichend genaue Aufzeichnungen über die von ihnen geleistete Überstunden geführt haben, können bei längeren Zeiträumen durchaus beträchtliche Zahlungsansprüche anwachsen. Die gesetzliche Verjährungsfrist beträgt dabei übrigens drei Jahre. Danach können also grundsätzlich auch rückwirkend keine Vergütungsansprüche mehr geltend gemacht werden. Bevor man als Arbeitnehmer aber allzu optimistisch hohe zusätzliche Einkünfte aus einem Überstundenguthaben einkalkuliert, lohnt sich der Blick in den Arbeitsvertrag.

Häufig sind nämlich im Arbeitsvertrag Ausschlussfristen enthalten (also beispielsweise eine Bestimmung, dass alle Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis innerhalb einer Frist von drei Monaten schriftlich geltend zu machen sind – und ansonsten schlicht verfallen). Eine wichtige Besonderheit hinsichtlich der  Ausschlussfristen verdient jedoch Erwähnung: Führt nämlich der Arbeitgeber ein Arbeitszeitkonto und nimmt er in dieses die Überstunden von Arbeitnehmern auf, stellt dies eine klare Anerkennung dar. Die Folge ist, dass sich ein Arbeitgeber damit nicht mehr auf eine arbeitsvertragliche Ausschlussfrist berufen kann.

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Mikrojobs: Ein Crowdworker ist im Einzelfall durchaus als Arbeitnehmer zu sehen

Für ein klares Arbeitsverhältnis spricht es, wenn ein Auftraggeber die Zusammenarbeit über die von ihm betriebene Online-Plattform so steuert, dass ein Auftragnehmer infolge dessen seine Tätigkeit nach Ort, Zeit und Inhalt nicht frei gestalten kann.

Der spätere Kläger war eine Zeit lang regelmäßig für das Online-Unternehmen im Einsatz war und bekam dann die Information, dass ihm keine weiteren Aufträge mehr angeboten würden. Mit seiner daraufhin einlegten Klage hatte er zunächst die Feststellung beantragt, dass inzwischen ein unbefristetes Arbeitsverhältnis bestände. Im Verlauf des Rechtsstreits kündigte das Unternehmen vorsorglich ein etwaig bestehendes Arbeitsverhältnis. Daraufhin hatte der Mann seine Klage – mit der er außerdem Vergütungsansprüche verfolgte – um einen Kündigungsschutzantrag erweitert.

Das Bundesarbeitsgereicht hat Anfang Dezember 2020 entschieden, dass die tatsächliche Durchführung von Kleinstaufträgen („Mikrojobs“) durch Nutzer einer Online-Plattform (er wird damit zum sogenannten „Crowdworker“) auf der Grundlage einer mit deren Betreiber (“Crowdsourcer”) getroffenen Rahmenvereinbarung ergeben kann, dass die rechtliche Beziehung zwischen beiden als Arbeitsverhältnis zu qualifizieren ist. Die zuvor damit befassten Gerichte hatten noch im Sinne der Online-Plattform entschieden.

Mikrojobs können auch reguläre Arbeitsverhältnisse darstellen!Wie siehen diese Mikrojobs aus? Über einen persönlich eingerichteten Account kann jeder Nutzer der Online-Plattform auf bestimmte Verkaufsstellen bezogene Aufträge annehmen – ohne dazu vertraglich verpflichtet zu sein. Übernehmen Crowdworker einen Auftrag, müssen diese regelmäßig binnen zwei Stunden nach detaillierten Vorgaben der Plattform, des „Crowdsourcers“, erledigen. Für erledigte Aufträge werden auf dem Nutzerkonto Erfahrungspunkte gutgeschrieben. Das System erhöht mit der Anzahl erledigter Aufträge das Level und gestattet die gleichzeitige Annahme mehrerer Aufträge. Der Kläger selbst führte so für die Beklagte 2.978 Aufträge in einem Zeitraum von elf Monaten aus.

Das BAG sah die Argumente klar im Sinne des Klägers: Dieser leistete in arbeitnehmertypischer Weise weisungsgebundene und fremdbestimmte Arbeit in persönlicher Abhängigkeit. Zwar war er vertraglich nicht zur Annahme von Angeboten der beklagten Plattform verpflichtet. Die Organisationsstruktur des Crowdsourcing-Unternehmens war aber klar darauf ausgerichtet, dass über einen Account angemeldete und eingearbeitete Nutzer kontinuierlich, Schritt für Schritt, vertraglich vorgegebener Kleinstaufträge annehmen, um diese persönlich zu erledigen.

Einschränkend hat das Gericht allerdings auch festgestellt, dass der Kläger nicht ohne weiteres eine Gehaltszahlung in Höhe einer bisher als vermeintlich freie Mitarbeiter bezogene Honorare verlangen kann. Stellt sich ein solches freies Dienstverhältnis im Nachhinein als Arbeitsverhältnis dar, kann in der Regel nicht davon ausgegangen werden, dass die für den freien Mitarbeiter vereinbarte Vergütung der Höhe nach auch für eine Beschäftigung als Arbeitnehmer verabredet sei.

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 1.12.2020; AZ – 9 AZR 102/70 –

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