Gesundheitsdaten bei Medizinischen Diensten: Prüfung eigener Mitarbeiter zulässig

Eine durchaus wegweisend zu nennende Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom Juni 2024 hat die rechtliche Situation zur Verarbeitung von Gesundheitsdaten durch Medizinische Dienste erheblich konkretisiert. Der Fall eines IT-Mitarbeiters beim Medizinischen Dienst Nordrhein brachte grundlegende Fragen zur Handhabung sensibler Gesundheitsinformationen zur Klärung.

Nach der aktuellen Rechtsprechung dürfen Medizinische Dienste die Arbeitsunfähigkeit ihrer eigenen Mitarbeiter prüfen und entsprechende Gutachten erstellen. Die Besonderheit liegt darin, dass der beauftragte Medizinische Dienst dabei die Gesundheitsdaten des eigenen Personals verarbeiten darf. Diese Befugnis besteht auch dann, wenn einzelne Mitarbeiter des Dienstes im Rahmen ihrer Tätigkeit Zugang zu den entsprechenden Daten erhalten.

Der konkrete Fall verdeutlicht die praktische Umsetzung: Ein langzeiterkrankter Systemadministrator des Medizinischen Dienstes wurde durch eine Gutachterin des eigenen Arbeitgebers begutachtet. Die rechtliche Bewertung ergab, dass die getroffenen Schutzmaßnahmen ausreichend waren. Diese umfassten die Einrichtung spezieller Organisationseinheiten, ein IT-gestütztes Berechtigungskonzept sowie die Beschränkung der Zugriffsrechte auf einen eng begrenzten Personenkreis. Medizinische Dienste dürfen Gesundheitsdaten eigener Mitarbeiter prüfen.

Bemerkenswert ist die Feststellung, dass ein Arbeitgeber in der Position eines Medizinischen Dienstes nicht garantieren muss, dass keinerlei andere Beschäftigte Zugang zu den Gesundheitsdaten haben. Entscheidend ist vielmehr die Implementierung angemessener Schutzmaßnahmen. Dazu gehören die Einrichtung gesonderter Organisationseinheiten, die Verwendung personalisierter Softwarezertifikate und die strikte Begrenzung der Zugriffsrechte nach dem Erforderlichkeitsprinzip.

Die Rechtmäßigkeit der Datenverarbeitung stützt sich auf die berufliche Schweigepflicht und das Sozialgeheimnis, dem alle beteiligten Mitarbeiter unterliegen. Diese Verpflichtungen gelten auch im internen Verhältnis zwischen den Mitarbeitern des Medizinischen Dienstes. Die getroffenen organisatorischen und technischen Maßnahmen zum Schutz der Gesundheitsdaten erfüllen dabei die rechtlichen Anforderungen an Integrität und Vertraulichkeit.

Ein spezieller Aspekt des Falls betrifft die Kommunikation zwischen den beteiligten Ärzten. Die Gutachterin holte telefonisch Auskünfte beim behandelnden Arzt des Mitarbeiters ein. Diese Vorgehensweise wurde vom Gericht als rechtmäßig eingestuft und gehört zum erforderlichen Umfang der Datenverarbeitung bei der Gutachtenerstellung. Selbst der Umstand, dass die IT-Abteilung des Medizinischen Dienstes standortübergreifend Zugriffsmöglichkeiten hatte, wurde nicht als problematisch eingestuft, solange die Zugriffe ausschließlich zur Erfüllung der dienstlichen Aufgaben erfolgten.

Die Entscheidung schafft Rechtssicherheit für die organisatorische Gestaltung der Begutachtungsprozesse in Medizinischen Diensten. Sie bestätigt die Zulässigkeit der internen Begutachtung bei ausreichenden Schutzmaßnahmen und verdeutlicht die Grenzen der erforderlichen Datenschutzvorkehrungen. Bemerkenswert ist auch die Feststellung des Gerichts, dass der einzige nachgewiesene Fall eines unberechtigten Zugriffs auf die Initiative des betroffenen Mitarbeiters selbst zurückging, was die Wirksamkeit der implementierten Schutzmaßnahmen zusätzlich unterstreicht.

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 20.06.2024; AZ– 8 ARZ 253/20 –

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Bundesgerichtshof bestätigt: Mietüberzahlungen fallen an Sozialleistungsträger

In einem Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) vom Juni 2024 wurde der gesetzliche Anspruchsübergang auf Sozialleistungsträger bei Mietüberzahlungen (im Zusammenhang mit dem Bezug von Sozialleistungen) bestätigt. Hintergrund des Verfahrens war ein Fall, in dem ein Mieter, der Arbeitslosengeld II bezog, die Rückerstattung überzahlter Miete verlangte. Die Miete für die vom Kläger bewohnte Wohnung in Berlin war überhöht und teilweise aufgrund eines Wasserschadens gemindert. Der Mieter machte geltend, dass ihm eine Rückerstattung der überzahlten Beträge zustehe.

Das Amtsgericht hatte der Klage zunächst teilweise stattgegeben und dem Kläger eine Erstattung von rund 11.000 Euro zugesprochen. Im Berufungsverfahren änderte das Landgericht jedoch das Urteil ab und wies die Klage ab. Der BGH bestätigte diese Entscheidung und stellte klar, dass Rückerstattungsansprüche, die sich während des Bezugs von Sozialleistungen ergeben, auf den Sozialleistungsträger übergehen. In diesem Fall handelte es sich um das Jobcenter, das die Miete für den Kläger übernommen hatte. BGH-Urteil: Gesetzlicher Anspruchsübergang auf Sozialleistungsträger bei Mietüberzahlungen.

Der gesetzliche Forderungsübergang basiert auf dem Grundsatz des Nachrangs der Sozialleistungen. Dieser Grundsatz soll verhindern, dass Sozialleistungen erbracht werden, wenn andere Mittel zur Bedarfsdeckung vorhanden sind. Im vorliegenden Fall wären die Sozialleistungen bei einer rechtzeitigen Rückerstattung der Mietüberzahlungen in nicht unbeträchtlicher Höhe durch die Vermieterin nicht erbracht worden. Das bedeutet, dass dem Kläger die Rückerstattungsansprüche nicht selbst zustehen, da sie in Höhe der geleisteten Aufwendungen auf das Jobcenter übergegangen sind.

Selbst wenn das Jobcenter diese Ansprüche nicht selbst geltend macht, bleibt der Anspruchsübergang bestehen. Der BGH stellte klar, dass die Übertragung auf den Sozialleistungsträger auch dann wirksam ist, wenn dieser die Ansprüche nicht selbst realisiert oder auf den Kläger zurücküberträgt. Dies betrifft lediglich den Verwaltungsvollzug und ändert nichts an den rechtlichen Voraussetzungen des Anspruchsübergangs.

Bundesgerichtshof, Urteil vom 5.6.2024; AZ – VIII ZR 150/23 –

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Teilzeit-Rentner: Beiträge des Arbeitgebers ohne Wirkung auf Rente

Rentner, die weiterhin berufstätig sind, genießen in der Regel Versicherungsfreiheit in der gesetzlichen Rentenversicherung. Diese Regelung bedeutet, dass weder der Rentner selbst noch sein Arbeitgeber Beiträge zur Rentenversicherung leisten müssen. Dennoch entscheiden sich manche Arbeitgeber freiwillig dazu, Rentenbeiträge abzuführen. Diese zusätzlichen Zahlungen führen jedoch nicht zu einer Erhöhung der Rentenzahlungen für die Teilzeit-Rentner.

Ein Fall aus Darmstadt verdeutlicht dies: Ein 1949 geborener Rentner bezog bereits eine Altersrente, als er weiterhin in Teilzeit arbeitete. Sein Arbeitgeber entrichtete Beiträge zur Rentenversicherung, was jedoch keine Auswirkungen auf die Rentenhöhe des Beschäftigten hatte. Der Rentner argumentierte, dass diese Regelung seine Grundrechte verletze, da die geleisteten Beiträge seiner Meinung nach seine Rente erhöhen sollten.

Teilzeit-Rentner können nicht auf Erhöhung ihres Rentenbezugs pochen!Das Hessische Landessozialgericht stellte jedoch klar, dass die Regelungen des Gesetzgebers verfassungsgemäß seien. Rentner, die nach Erreichen der Regelaltersgrenze weiterhin eine Vollrente beziehen, sind versicherungsfrei, es sei denn, sie verzichten aktiv auf diese Versicherungsfreiheit. Nur in diesem Fall werden die Beiträge zur Rentenversicherung sowohl vom Arbeitgeber als auch vom Rentner selbst geleistet und bei der Berechnung der Rentenhöhe berücksichtigt.

Im beschriebenen Fall hatte der Rentner jedoch keinen Verzicht auf die Versicherungsfreiheit erklärt. Folglich zahlte der Arbeitgeber zwar Beiträge, diese wurden jedoch nicht dem Versicherungskonto des Rentners zugeordnet und führten auch nicht zu einer Rentenerhöhung. Dies entspricht der Intention des Gesetzgebers, welcher mit dieser Regelung verhindern wollte, dass versicherungsfreie Altersrentner Beschäftigungen blockieren und dadurch den Zugang für andere Arbeitnehmer behindern.

Die gesetzliche Grundlage für diese Regelungen wurde durch das Flexirentengesetz von 2017 angepasst, um auf die demographischen Veränderungen und den Fachkräftemangel zu reagieren. Rentner, die weiterhin arbeiten und auf die Versicherungsfreiheit verzichten, können durch die zusätzlichen Beiträge eine Erhöhung ihrer Rente bewirken. Was für den Rentner im vorliegenden Fall jedoch erkennbar nicht zutraf. Die von seinem Arbeitgeber geleisteten Beiträge blieben somit ohne Einfluss auf seine Rentenhöhe und wurden auch nicht erstattet.

Landessozialgericht Hessen, Urteil vom 23.4.2024; AZ – L 2 R 36/23 –

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Rechtsschutz im Sozialrecht: Untätigkeitsklage als Mittel zur Beschleunigung

In der Praxis des Sozialrechts stellt die Untätigkeitsklage ein wesentliches Instrument dar, um auf ausbleibende Entscheidungen der Sozialleistungsträger zu reagieren. Diese besondere Klageform ist anwendbar auf ein breites Spektrum an Streitigkeiten, die in die Zuständigkeit der Sozialgerichte fallen. Hierzu zählen Konflikte mit gesetzlichen Renten-, Kranken-, Pflege-, Arbeitslosenversicherungen, Berufsgenossenschaften, Versorgungsämtern, Jobcentern sowie Grundsicherungsämtern.

Die gesetzlich festgelegten Fristen zur Bearbeitung von Anträgen und Widersprüchen dienen in allen Fällen dazu, den Betroffenen eine zügige Bearbeitung ihrer Anliegen zu garantieren. Die Bearbeitungsfristen sind mit sechs Monaten für Anträge und drei Monaten für Widersprüche klar definiert, um so sicherzustellen, dass Anträge und Widersprüche auch wirklich zeitnah bearbeitet werden. Das ist besonders im Sozialrecht von Bedeutung, wo Verzögerungen die Lebenssituation der Antragstellenden erheblich beeinträchtigen können. So kann etwa die späte Anerkennung eines Schwerbehindertengrades dazu führen, dass Betroffene wichtige Vergünstigungen nicht nutzen können.

Eine Sachstandsanfrage bei dem Sozialleistungsträger ist nicht notwendig, bevor eine Untätigkeitsklage eingereicht wird. In bestimmten Fällen können Bearbeitungszeiten verlängert werden, etwa wenn die Behörde umfangreiche Ermittlungen durchführen muss. Allerdings sind Gründe wie Personalengpässe oder organisatorische Schwierigkeiten keine akzeptablen Rechtfertigungen für eine Überschreitung der Bearbeitungsfristen. Die Verwaltung ist angehalten, ihre Prozesse so zu gestalten, dass Entscheidungen innerhalb der gesetzlichen Fristen getroffen werden können. Verschiedene Gerichtsentscheidungen untermauern die Notwendigkeit eines effektiven Rechtsschutzes und stellen klar, dass Verzögerungen durch die Behörden nicht akzeptabel sind.

Eine Sachstandsanfrage bei dem Sozialleistungsträger ist nicht notwendig, bevor eine Untätigkeitsklage eingereicht wird. Das Hessische Landessozialgericht hat mit Beschluss vom Juni 2022 ebenfalls bestätigt, dass es vor der Erhebung der Klage wegen Untätigkeit keine Erkundungspflicht gibt. Die gesetzlichen Fristen sind eindeutig, und die Behörden tragen die Verantwortung, innerhalb dieser Zeiträume zu entscheiden. Sollten dennoch Verzögerungen auftreten, ermöglicht die Untätigkeitsklage den Betroffenen, eine Entscheidung zu erzwingen. In diesem Zusammenhang werden auch die Kosten für einen Rechtsanwalt vom Sozialleistungsträger übernommen, sofern die Klage berechtigt ist.

Die Untätigkeitsklage bietet somit einen wichtigen rechtlichen Hebel, um die Rechte der Betroffenen durchzusetzen und auf ausbleibende Entscheidungen effektiv zu reagieren. Sie unterstreicht die Bedeutung des Zugangs zu schnellem und effektivem Rechtsschutz im Sozialrecht und bietet Betroffenen eine Möglichkeit, ihre Ansprüche geltend zu machen und notwendige Leistungen zeitnah zu erhalten.

Hessisches Landessozialgericht, Urteil vom 9.6.20022; AZ – L 4 SO 17/22 B –

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