Sicherheitsabstand im Autoverkehr unterschreiten – doppeltes Bußgeld möglich

In dem zu entscheidenden Fall ging es um einen Mann, der ohne ordnungsgemäßen Sicherheitsabstand mit seinem Auto auf der Autobahn fuhr. Eine Abstandsmessung ergab nach dem üblichen Toleranz-Abzug, dass er bei 131 km/h weniger als drei Zehntel des halben Tachowerts Abstand zum Vordermann hielt. Der Fahrer erhielt daraufhin einen Bußgeldbescheid über 530 Euro sowie zusätzlich einen Monat Fahrverbot.

Nun kann in gewissen außergewöhnlichen Situationen (bei einem Einscheren oder Abbremsen des Vordermanns) eine Unterschreitung des Mindestabstands „nur“ als fahrlässig bewertet werden. Gibt es dagegen keine solche Sondersituation, kann das Unterschreiten auch als Billigung oder Vorsatz gewertet werden. Das zeigt ein Urteil des Amtsgericht Landstuhl vom April 2021.

Ohne Vorliegen konkreter, dagegen sprechender Anhaltspunkte muss davon ausgegangen werden, dass Autofahrern das Unterschreiten des Sicherheitsabstandes bewusst ist und sie dies zumindest billigend in Kauf nehmen.

eine Einschränkung der „nicht nur ganz vorübergehenden Abstandsunterschreitung“ dem § 4 StVO nicht zu entnehmen.Da die Behörden dem Mann vorsätzliches Verhalten vorwarfen, war das Bußgeld doppelt so hoch wie üblich. Dagegen legte der Mann Einspruch ein – und nachdem er Einsicht in die Messakte hatte, bemängelte er die gemessene Strecke als zu kurz. Im Messbereich habe sich sein Abstand zum Vorausfahrenden nur ganz kurz verringert und sei dann wieder größer geworden. Daher sei ihm kein Vorsatz zu unterstellen.

Das Argument zog beim Amtsgericht in Landsberg allerdings gar nicht. Nach dessen Ansicht reichte es für den Vorwurf des Vorsatzes aus, dass der Abstand zu irgendeinem Zeitpunkt unterschritten war. Denn es habe keine außergewöhnliche Situation durch Abbremsen oder Einscheren des Vordermannes gegeben. Der Fahrer habe also mit Absicht gehandelt.

In einem Zeitraum von mehr als zwei Sekunden hatte der Fahrer zu wenig Sicherheitsabstand – er hätte diesen aber ohne Probleme durch leichtes Abbremsen vergrößern können, was er aber nicht tat. Das wertete das Gericht nicht mehr als Fahrlässigkeit, sondern ging davon aus, dass der Kläger sich der Unterschreitung bewusst war oder diese zumindest billigte.

Der ADAC kommentierte dies, in dem er darauf hinwies, dass es dem Gericht hier darauf ankam, dass der Mann früher hätte reagieren müssen. Es gebe zwar in Deutschland auch Gerichte, die eine gewisse Dauer der Unterschreitung voraussetzen – was im Gesetz nicht ausdrücklich vorgesehen sei. Tatsächlich ist eine Einschränkung der „nicht nur ganz vorübergehenden Abstandsunterschreitung“ dem § 4 StVO nicht zu entnehmen.

Amtsgericht Landstuhl, Urteil vom 20.4.2021; AZ – 2 OWi 4211 Js 1233/21 –

Foto:  Stefan Weis

Zur Definition eines „Shitstorm“: Ein paar Kommentare und Emoticons reichen nicht

Bei dem Begriff „Shitstorm“ handelt es sich nach dem Verständnis eines durchschnittlichen Lesers um einen Sturm der Entrüstung. Es bezeichnet im Deutschen das lawinenartige Auftreten negativer Kritik bis hin zur Schmähkritik im Rahmen von sozialen Netzwerken, Blogs oder Kommentarfunktionen von Internetseiten. Nur wenige negative Stellungnahmen reichen nicht aus, um sie als „riesigen Shitstorm“ zusammenzufassen. Da es lediglich zu wenigen kritischen Einzelstimmen gekommen war, hat das Oberlandesgericht Frankfurt am Main (OLG) im Mai 2021 einem Presse-Portal die Äußerung, dass die Antragstellerin einen „riesigen Shitstorm geerntet“ habe, untersagt. Wird der Begriff zu Unrecht gegen einen Influencer oder Social-Media-User verwendet, so begründet dies einen Unterlassungsanspruch.

Ein Shitstorm ist mehr als ein paar Kommentare und Emojis.Die Antragstellerin im zu verhandelnden Fall ist Sängerin und Gründungsmitglied einer Band. Sie ist auch verantwortlich für die Inhalte einer Presseseite. Sie berichtete in einem Artikel über einen ehemaligen Bandkollegen, der „in seiner Erinnerungskiste“ gekramt und Videos der Antragstellerin gefunden hatte. Dies hatte er auch auf seinem Instagram-Account thematisiert. Die Antragstellerin hatte den Post mit den Worten: „Kennst du die Choreo noch ganz? Krieg die nicht mehr zusammen!!! Mann mann mann, Demenz“ kommentiert. In dem Artikel heißt es u.a. dazu: „Auch seine ehemalige Bandkollegin … kommentiert, spricht von Demenz und erntet einen riesigen Shitstorm“. Die Antragstellerin wendet sich unter anderem speziell gegen diese Äußerung.

Das vorab zuständige Landgericht hatte den auf Unterlassung gerichteten Eilantrag zurückgewiesen. Die hiergegen gerichtete Beschwerde hatte vor dem OLG zumindest teilweise Erfolg. In der Äußerung, dass die Antragstellerin einen riesigen Shitstorm geerntet habe, liege eine unwahre Tatsachenbehauptung. Wenige negative Stellungnahmen reichten nicht aus, um sie als „riesigen Shitstorm“ zusammenzufassen. Es habe sich zwar ein User kritisch geäußert; zudem gebe es einen kritischen Bericht auf einem anderen Portal, ebenfalls mit Kommentar – darin erschöpften sich allerdings die negativen Reaktionen, abgesehen von einem weinenden und zwei erstaunten Smileys, deren Konnotation allerdings nicht zweifelsfrei zugeordnet werden könne.

Auch wenn die Äußerung der Antragstellerin möglicherweise unüberlegt gewesen sei, lasse sich die geschilderte Reaktion im Netz, die sich auf wenige Stimmen erstrecke, nicht als „Shitstorm“ oder gar „riesigen Shitstorm“ bezeichnen. Darunter verstehen normale Leser eine Reaktion ganz anderen Ausmaßes.

Urteil des Oberlandesgericht Frankfurt am Main, Beschluss vom 11.5.2021; AZ  –16 W 8/21 –

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Änderung der Geschäftsbedingungen (AGB) von Banken – ist Schweigen schon wie eine Zustimmung?

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat mit Urteil vom April 2021 bestimmte Klauseln in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) von Banken für unwirksam erklärt. Grund war die Klage des Bundesverbands der Verbraucherzentralen und Verbraucherverbände gegen Klauseln in den AGB, in denen bestimmt wird, dass Änderungen dem Kunden grundsätzlich zwei Monate vor dem Zeitpunkt, an dem sie wirksam werden sollen, angeboten werden müssen. Jedoch soll zum Wirksamwerden dieser Klauseln die ausdrückliche Zustimmung des Kunden nicht erforderlich sein.

Gegen die Verwendung solcher Klauseln erhoben die Kläger Unterlassungsklage (konkret gegen die Postbank). Nachdem sie erfolglos alle Instanzen durchlaufen hatten, wandten sie sich mit ihrem Begehren, die Bank zur Unterlassung der Verwendung dieser Klauseln zu verpflichten, an den BGH. Das Ergebnis war eindeutig: Einfach mal so die Kontogebühren erhöhen, ist nicht möglich, auch wenn die Banken vermeintlich bisher schon den Verbrauchern und Kunden Möglichkeiten angeboten hatten zu reagieren.

AGB-Änderungen bedürfen mehr als Schweigen der KundenDem Bundesverband der Verbraucherzentralen und Verbraucherverbände ging es vor allem um Transparenz für die Bankkunden. „Für sie muss klar sein, unter welchen Umständen und in welchen Grenzen eine Änderung des Vertrages überhaupt erfolgen darf“, so deren Vertreter. So sah es auch der BGH in seinem Urteil. Die beanstandeten Klauseln in den Geschäftsbedingungen benachteiligten die Kunden in unangemessener Weise, so die Richter. Diese müssten tätig werden, um eine Änderung zu verhindern. Ohne inhaltliche Einschränkung seien die Folgen zudem auch viel zu weitreichend. So würden die Klauseln für alle Verträge zwischen Bank und Kunde gelten – neben dem Zahlungsverkehr etwa auch für das Wertpapier- oder Kreditgeschäft.

So wie die Klauseln im Moment formuliert sind, könne eine Bank Kunden etwa mit kostenlosen Depots anwerben und dann später mittels der Klauseln Gebühren einführen. Das komme dann aber einem neuen Vertrag gleich, so die Richter. Oder die Bank könnte das Vertragsgefüge so umgestalten, dass aus einem Sparvertrag ein „schließfachähnlicher“ Vertrag wird, für den der Verbraucher plötzlich zahlen muss … statt Zinsen zu bekommen.

Experten gehen davon aus, dass weite Teile der Branche betroffen sind. Die beanstandeten Klauseln bei der Postbank entsprechen im Wesentlichen den Muster-AGB aller Banken und auch denen der Sparkassen. Ein Sprecher der Deutschen Kreditwirtschaft bestätigte, dass viele Kreditinstitute im sogenannten Massengeschäft den fraglichen Mechanismus verwendeten. Zu bedenken ist für Kunden aber auch der Umstand, dass bei einem Widerspruch gegen Änderungen die Kündigung durch die Bank droht. Übrigens: Die Entscheidung kann sich auch auf Zahlungsdienstleister wie PayPal auswirken.

Urteil des Bundesgerichtshof vom 27.4.2021; AZ – XI ZR 26/20 –

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Verzögerte Reparatur durch Lieferschwierigkeiten – Nutzungsausfall geht zu Lasten des Unfallverursachers

Kommt es zu einem Verkehrsunfall mit einem erheblichen Schaden oder handelt es sich um ein seltenes Modell mit schwieriger Ersatzteilversorgung, so besteht zwar grundsätzlich die Schadensminderungspflicht des Unfallopfers. Doch es besteht umgekehrt auch kein Verstoß durch unterlassene Nachforschung, ob eventuell hinreichend Ersatzteile zur Verfügung stehen. Das bedeutet auch, dass der Nutzungsausfall dadurch möglicherweise sehr viel umfangreicher wird – was aber ganz zu Lasten des Unfallverursachers geht, wie das Oberlandesgericht Düsseldorf im März 2021 entschied.

Was war passiert? Wegen eines Rotlichtverstoßes kam es zu einer Kollision. Das Fahrzeug der Unfallgeschädigten musste in der Folgezeit wegen der dabei entstandenen Unfallschäden repariert werden. Wegen Schwierigkeiten bei der Lieferung eines neuen Airbag-Moduls für die Beifahrerseite verzögerte sich die Reparatur erheblich. So entstand zwischen der Unfallgeschädigten und der Haftpflichtversicherung des Unfallverursachers Streit darüber, ob auch für die ungewöhnlich lange Reparaturzeit des Nutzungsausfall eine Entschädigung gezahlt werden müsse.

Nutzungsausfall wird verlängert, wenn es zu Lieferproblemen bei Ersatzteilen kommt.Das zunächst zuständige Landgericht Düsseldorf wies die Klage ab. Dessen Auffassung nach habe die Klägerin gegen ihre Pflicht zur Schadensminderung verstoßen, weil sie für eine zeitnahe Reparatur habe sorgen müssen. Einen erhöhten Nutzungsausfall käme somit auch nicht in frage.

Das Oberlandesgericht hingegen bejahte einen Nutzungsausfall für den gesamten Zeitraum der Reparatur. Es bestehe ein Anspruch auch für die Zeit der verzögerten Reparatur wegen der Lieferschwierigkeiten beim Airbag-Modul. Für sie habe es zum Zeitpunkt der Beauftragung der Werkstatt keine Anhaltspunkte gegeben, dass die durch sie gewählte Firma nicht in der Lage sein würde, die Reparatur zügig durchzuführen. Allein der Umstand, dass sich die Werkstatt auf kostengünstige Reparaturen spezialisiert hat, sei kein hinreichender Anhaltspunkt.

Die Klägerin sei nach Ansicht des Oberlandesgerichts auch nicht verpflichtet gewesen, selbständig bei anderen Werkstätten oder bei Fahrzeugherstellern nach der Verfügbarkeit des Ersatzteils zu fragen. Für sie habe kein Anlass zur Vermutung bestanden, dass die Lieferschwierigkeiten auf die beauftragte Werkstatt beschränkt sein könnte.

Doch es geht noch weiter: Die Düsseldorfer Richter sahen keine Verpflichtung die beklagte Versicherung über die Reparaturverzögerung zu unterrichten. Denn zum einen habe diese zuvor die Regulierung des Unfallschadens abgelehnt, zum anderen sei nicht ersichtlich, dass eine Information zu einer Reduzierung der Reparaturzeit geführt hätte.

Und last but not least könne aus Sicht des Gerichts der Klägerin auch nicht vorgeworfen werden, sich nicht mit einer Teilreparatur ohne das fehlende Airbag-Modul zufrieden gegeben zu haben. Da sie technisch als Laie zu sehen sei, müsse man nicht davon ausgehen, dass sie im Falle der Beschädigung eines sicherheitsrelevanten Komponente des Fahrzeugs (Airbag!) etwa auf dessen Reparatur verzichten könne. Zudem könne es ja auch zu rechtlichen Nachteile im Fall einer Überprüfung des Fahrzeugs oder eines weiteren Unfalls kommen – bei dem unter Umständen eine Beifahrerin oder ein Beifahrer ohne die Schutzwirkung des Airbags zu Schaden kommen kann. Dies könne der Klägerin nicht zugemutet werden.

Oberlandesgericht Düsseldorf, Urteil vom 9.3.2021; AZ – 1 U 77/20 –

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Auch nicht im EU-Ausland beantragte Familienleistungen werden auf deutsches Kindergeld angerechnet

Nehmen Bezieher von Kindergeld eine Erwerbstätigkeit im EU-Ausland auf, ohne die Familienkasse darüber zu informieren, so haben sie nur Anspruch auf Familienleistungen nach dem Recht des ausländischen EU-Mitgliedstaats. Aufgrund der Erwerbstätigkeit ist dieser vorrangig zuständig zur Gewährung von Familienleistungen geworden. Dies bedeutet auch, dass solche Leistungen nachträglich auf das nach deutschem Recht gewährte Kindergeld anzurechnen sind, auch wenn der Kindergeldberechtigte die ihm im Auslandsstaat zustehenden Familienleistungen dort nicht beantragt und bezogen hat.

Der Bundesfinanzhof (BFH) hat mit Urteil im Dezember 2020 hat entschieden, dass der Anspruch auf Kindergeld nach deutschem Recht tatsächlich auch dann in Höhe des Anspruchs auf vergleichbare Familienleistungen im EU-Ausland zu mindern sein kann, wenn im Ausland Erwerbstätige die dort vorgesehenen Leistungen nicht beantragen.

Kindergeld muss immer in dem Land beantragt werden, in dem man arbeitet – FamilienrechtIm vorliegenden Fall lebte der Kläger mit seiner Familie in Deutschland. Er bezog für seine beiden Kinder Kindergeld nach deutschem Recht. Die Ehefrau war nicht erwerbstätig. Dann nahm er eine Arbeit in den Niederlanden auf, ohne die ihm dort für seine Kinder zustehenden Familienleistungen zu beantragen. Auch machte er der Familienkasse davon keine Mitteilung, so dass diese das Kindergeld weiterhin ungemindert auszahlte. Erst ganze 16 Jahre später erfuhr die Familienkasse von der Arbeit im EU-Ausland. Sie hob dann die Festsetzung des Kindergeldes für mehrere Jahre in der Höhe auf, in der ein Anspruch auf Familienleistungen in den Niederlanden bestanden hatte.

Der Bundesfinanzhof stellte klar, dass die Koordinierung der Ansprüche des Klägers auf Familienleistungen nach deutschem und nach niederländischem Recht nach den Rechtsvorschriften der Europäischen Union (EU) vorzunehmen ist. Aus ihnen ergibt sich, dass die Niederlande vorrangig zuständig für die Gewährung von Familienleistungen seien, weil der Kläger dort eine Erwerbstätigkeit ausübte und die Ehefrau des Klägers in Deutschland nicht erwerbstätig war.

Damit sei auch deutlich, dass die deutsche Familienkasse nur die Differenz zwischen dem deutschen Kindergeld und dem Anspruch auf die (niedrigeren) niederländischen Familienleistungen zu zahlen hat. Dies gelte auch, wenn der Kläger in den Niederlanden keinen entsprechenden Antrag gestellt habe. Denn der beim nachrangigen Träger (Deutschland) gestellte Antrag auf deutsches Kindergeld ist unionsrechtlich so zu behandeln, als wäre er beim vorrangig zuständigen Staat (Niederlande) gestellt worden.

Urteil des Bundesfinanzhof vom 9.12.2020; AZ – III R 73/18 –

Foto: Marcus Klepper

Uneinig über Schutzimpfung der Kinder? Entscheidungsbefugnis liegt beim der STIKO zustimmenden Elternteil

Ganz grundsätzlich muss bei der Entscheidung über die allgemeine Impffähigkeit eines Kindes kein Sachverständigengutachten unabhängig von einer konkreten Impfung eingeholt werden Die Entscheidung über die Durchführung einer Schutzimpfung für ein gemeinsames Kind kann bei Uneinigkeit der Eltern auf den Elternteil übertragen werden, der seine Haltung an den Empfehlungen der „Ständigen Impfkommission“ (STIKO) orientiert. Das hat das Oberlandesgericht Frankfurt am Main (OLG) im März 2021 entschieden und wies damit die Klage eines Vaters ab, da nach den Empfehlungen der STIKO die Impffähigkeit in der konkreten Impfsituation in jedem Fall sowieso ärztlich zu prüfen ist. Bei einer dabei festgestellten Kontraindikation würde die entsprechende Impfung eh unterbleiben.

Die Eltern eines 2018 geborenen Kindes übten gemeinsam die elterliche Sorge aus. Die Mutter wollte das Kind gemäß den Empfehlungen der STIKO impfen lassen. Damit war der aber Vater nicht einverstanden und verlangte eine gerichtliche Prüfung über die grundsätzliche („theoretische“) Impffähigkeit des Kindes. Die Mutter hatte deshalb vor dem Amtsgericht beantragt, ihr die Entscheidungsbefugnis über Standardimpfungen zu übertragen. Dem wurde auch stattgegeben.

Schutzimpfungen orientieren sich immer an Empfehlungen der Ständigen Impfkommission STIKO.Das daraufhin vom Vater angerufene OLG entschied ebenfalls im Sinne der Mutter. Wenn sich Eltern bei gemeinsamer elterlicher Sorge in einer einzelnen Angelegenheit, die für das Kind von erheblicher Bedeutung ist, nicht einigen können, kann auf Antrag die Entscheidung einem Elternteil übertragen werden. Dabei sei die Entscheidungskompetenz dem Elternteil zu übertragen, „dessen Lösungsvorschlag dem Wohl des Kindes besser gerecht wird“ – wie etwa bei der Gesundheitssorge, insoweit dieses das für das Kindeswohl bessere Konzept verfolge.

Bei der Abwägung zwischen Risiken im Fall einer Impfung und Risiken bei unterbleibender Schutzimpfung, könne die Entscheidung auf den Elternteil übertragen werden, der den fachlichen Empfehlungen der STIKO folge, so die Frankfurter Richter. Es könne daher auch davon ausgegangen werden, „dass eine an den Empfehlungen der STIKO orientierte Entscheidung der Kindesmutter über vorzunehmende Impfungen im Ausgangspunkt das für das Kindeswohl bessere Konzept im Sinne der Rechtsprechung darstellt.“

Der Sorge des Vaters um die körperliche Unversehrtheit des Kindes im Hinblick auf den Impfvorgang selbst würden die Empfehlungen der STIKO ebenfalls Rechnung tragen. Für den Impfvorgang werde von dort eine am Kindeswohl orientierte Vorgehensweise mit detailliert dargestellten Handlungsvorschlägen empfohlen. Dass diese Empfehlungen vorliegend unzureichend seien, sei weder vom Kläger vorgetragen worden noch anderweitig ersichtlich.

Urteil des Oberlandesgericht Frankfurt am Main vom 8.3.2021; AZ – 6 UF 3/21 –

Foto: Alik Mulikov

Fahrzeug-Leasing: Wer muss wen entschädigen? Und wer bekommt das Geld?

Gleich zweimal hat der Bundesgerichtshof (BGH) im September 2020 zum Thema Fahrzeug-Leasing entschieden. In dem einen Urteil ging es um das Thema Neuwert und dem von der Versicherung gezahlten Summen über den Wiederbeschaffungs- und Ablösewert hinaus. Das zweite Urteil hatte dieses Thema ebenfalls zum Anlass, dabei ging es jedoch Geld, dass nach Ablauf des Vertrages fällig wird. Auch hier hatten Leasingnehmer die besseren Karten, sofern es um Versicherungsleistungen geht.

Wird ein geleastes Auto gestohlen, steht die Neupreis-Entschädigung aus einer Vollkaskoversicherung dem Kunden und nicht der Leasingfirma zu. Alles andere wäre unbillig, entschied der BGH. Tatsächlich war bisher umstritten, wem das Geld in so einem Fall zusteht. Einige Experten meinten, dass allein die Leasingfirma als Eigentümer des Autos darauf Anspruch habe – selbst, wenn sie dadurch Gewinn mache.

Im vorliegenden Fall hatte die Kundin vertragsgemäß eine Vollkaskoversicherung abgeschlossen, aus freien Stücken zum Neuwert von gut 70.000 Euro. Nach dem Diebstahl erstattete die Versicherung der BMW Bank als Leasinggeber den Ablösewert – also den Betrag, der zur vollen Amortisation des Finanzierungsaufwands einschließlich des kalkulierten Gewinns notwendig ist. Der Ablösewert betrug rund 50.000 Euro. Die Kundin forderte nun die übrigen 20.000 Euro, aber die Bank stellte sich quer und gab bei der Versicherung die Zahlung nicht frei.

Fahrzeug-Leasing: Wer muss wen entschädigen?Der BGH stellte klar, dass ein Autokäufer eine Neuwert-Versicherung  ja deswegen abschließe, um sich bei Verlust einen gleichwertigen Neuwagen anschaffen zu können und nicht auf einen Gebrauchten ausweichen zu müssen. Beim Leasing sei die Interessenlage nicht anders.

Das zweite Urteil bestätigt diese Denkweise, nämlich, dass Leasingnehmer durchaus von Versicherungsleistungen profitieren müssen und nicht die Leasinggeber. Wenn das Fahrzeug nach Ablauf eines Leasingvertrags weniger Wert ist, als ursprünglich vereinbart, muss die Differenz vom Leasingnehmer ausgeglichen werden. Zahlungen von Versicherungen müssen diesem aber zugutekommen, so die Richter am Bundesgerichtshof.

Eine Anwältin und eine Leasingfirma einen Restwert von gut 56.000 Euro für das Fahrzeug-Leasing vereinbart. In den drei Jahren hatte das Auto allerdings zwei Unfälle. Daher war es tatsächlich nicht einmal mehr 40.000 Euro wert und wurde auch für diesen Betrag verkauft. Die Differenz forderte die Leasingfirma von der Anwältin. Grundsätzlich zu Recht, denn das Risiko für den Wertverlust liegt bei diesem Leasing-Modell beim Kunden. Vor dem BGH ging es aber noch um 5.500 Euro, die die Leasingfirma nach dem ersten Unfall von der Haftpflichtversicherung für die Wertminderung des Autos nach der Reparatur bekommen hatte.

Die Karlsruher Richter entschieden ganz klar, dass das Geld von der Versicherung grundsätzlich dem Leasingnehmer zugute kommen muss. Fließt es nicht in die Reparatur des Autos, mindert es zum Vertragsende zumindest den Restwert-Anspruch. Die Klägerin muss also nur den um 5.500 Euro geminderten Differenzbetrag zahlen.

Urteil des BGH vom 30.9.2020; AZ – VIII ZR 48/18 –
Urteil des BGH vom 9.9.2020; AZ – VIII ZR 389/18 –

Foto: Denis Rozhnovsky

Keine Eigentümer-„Geisterversammlungen“ während einer Virus-Pandemie!

Im April 2020 sollte während der Corona-Pandemie in den Büroräumen der Hausverwaltung eine Eigentümerversammlung (EV) stattfinden. Die Hausverwaltung wies in ihrer Einladung darauf hin, dass die Versammlung nur in Anwesenheit des Verwalters und maximal eines weiteren Eigentümers abgehalten werden kann. Das Einladungsschreiben enthielt folgenden fett gedruckten und unterstrichenen Hinweis: „Wir können zur Zeit keine EV abhalten, in der mehr als zwei Personen sich im Raum aufhalten. Bitte übersenden Sie deshalb eine Vollmacht. Sollten Eigentümer zum Termin erscheinen, müssen wir die Versammlung abbrechen und auf unbestimmte Zeit verschieben.“

Es wurde daher um Erteilung von Vollmachten gebeten. Zudem wurde in Aussicht gestellt, dass die Versammlung abgebrochen und auf einen unbestimmten Zeitpunkt verschoben wird, sollten weitere Eigentümer erscheinen. Auf der Versammlung wurden verschiedenen Beschlüsse getroffen, die daraufhin von mehreren Wohnungseigentümern wegen der Art und Weise der Durchführung der Versammlung gerichtlich angegriffen wurden.

Eigentümer-Versammlungen müssen auch in der Pandemie normal stattfinden.Weist die Einladung zu einer Eigentümerversammlung darauf hin, dass sie aufgrund einer Virus-Pandemie nur in Anwesenheit des Verwalters und maximal eines weiteren Wohnungseigentümers durchgeführt werden kann – und bei Erscheinens weiterer Eigentümer abgebrochen und auf unbestimmte Zeit verschoben wird – so sind die dort mit Hilfe von Vollmachten gefassten Beschlüsse unwirksam. Dies hat das Amtsgericht Bad Schwalbach im Oktober 2020 entschieden.

Die Gründe für die Entscheidung zugunsten der Kläger seien im Wesentlichen, dass diese an der persönlichen Teilnahme und Stimmabgabe gehindert wurden, wodurch ihnen die Mitwirkungsrechte entzogen worden seien. Die Einladung zur Eigentümerversammlung habe eine klare Aufforderung enthalten, der Versammlung fernzubleiben und der Hausverwaltung Stimmrechtsvollmacht zu erteilen. Eine bloße Bitte oder ein Appell habe nicht vorgelegen. Aus der Einladung habe sich klar und deutlich ergeben, dass keiner der Eigentümer an der Versammlung persönlich teilnehmen dürfe, da die Versammlung anderenfalls aufgelöst werde.

Nach Auffassung des Amtsgerichts würde auch keine Pandemie eine Ausnahme von der eklatanten Einschränkung der Teilnahme- und Stimmrechte der Wohnungseigentümer rechtfertigen. Eine Eigentümerversammlung hätte unter Beachtung der geltenden Hygiene- und Abstandsregeln durchgeführt werden können. Gegebenenfalls hätte die Hausverwaltung einen geeigneten größeren Saal anmieten oder von vorneherein die Versammlung verschieben müssen, bis eine Besserung der COVID19-Lage eintritt.

Amtsgericht Bad Schwalbach, Urteil vom 26.10.2020; AZ – 3 C 268/20 (1) –

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Darf ein Vermieter eine Wohnung einfach so besichtigen?

Will sich ein Vermieter einen Eindruck vom Zustand der Wohnung verschaffen, kann der Mieter unter Umständen durchaus den Zutritt verweigern. Eine daraufhin ausgesprochene Kündigung ist unwirksam, wie das Berliner Landgericht entschied. Der Vermieter wollte die Wohnung der Mieter auch besichtigen, um sie auszumessen. Die Mieter entdeckten jedoch, dass die Wohnung zum Verkauf stand, woraufhin sie den Zutritt verweigerten.

Tatsächlich handelt es sich um eine Frage, über die es oft Streit gibt: Dürfen Vermieter einfach die Wohnung ihrer Mieter besichtigen? Was selbstverständlich klingt, ist nicht immer selbstverständlich. Denn das Besichtigungs- und Zutrittsrecht des Vermieters ist gesetzlich nicht umfassend geregelt. Daher gibt es auch eine ganze Reihe von Urteilen zu verschiedensten Situationen.

So hatte auch das zuvor zuständige Amtsgericht der Räumungsklage stattgegeben und der Vermieter erhielt außerdem Zutritt zur Besichtigung der Wohnung mit einem Kaufinteressenten. Das Landgericht hingegen hob die Kündigung auf, da ein Verstoß gegen die vertraglichen Pflichten des Mieters nicht zu identifizieren sei.

Das kann der Vermieter nicht: Ein Verstoß gegen die vertraglichen Pflichten des Mieters lägen nicht vor.Sind Wohnungsbesichtigungen nicht im Mietvertrag geregelt, kann ein Vermieter die Wohnung in einigen Fällen dennoch betreten. Ohne vertragliche Regelung erkennen die Gerichte vor allem in den folgenden Fällen das Recht auf eine Wohnungsbesichtigung durch den Vermieter an:

  • eine Wohnungsbesichtigung zur Abwehr drohender Gefahren
  • eine Wohnungsbesichtigung zur Begutachtung von Mängeln, die der Mieter behauptet oder von denen der Vermieter durch Wohnungsnachbarn oder auf andere Weise Kenntnis erlangt hat
  • eine Wohnungsbesichtigung zur Durchführung von Reparaturen oder Modernisierungsmaßnahmen in der Wohnung
  • eine Wohnungsbesichtigung, um Kaufinteressenten das Mietobjekt zu zeigen
  • eine Wohnungsbesichtigung, wenn der Mietvertrag gekündigt ist und der Vermieter Mietinteressenten die Wohnung zeigen will.

Jedoch war es im konkreten keine der angeführten Situationen. Der Zutritt sollte nicht der Besichtigung durch Kaufinteressenten dienen, worauf der Vermieter Anspruch gehabt hätte. Dieser wollte sich lediglich einen Eindruck von der Wohnung verschaffen, was er aber vom Mieter nicht verlangen kann. Das Gleiche gelte für die beabsichtigte Vermessung der Wohnung, so die Berliner Richter, denn die Wohnungsgröße sei schon im Mietvertrag angegeben.

Das Urteil war denn auch ganz deutlich: Das Landgericht hob die Kündigung auf. Ein Verstoß gegen die vertraglichen Pflichten des Mieters lägen nicht vor.

Urteil des Landgerichts Berlin; AZ –  65 S 194/20 –

Foto:  MyCreative

Schnelleres Fahren als Verkehr auf Ausfahrtstreifen begründet Mithaftung der Verkehrsteilnehmer

Die Situation ist fast alltägliche Realität: Fahren Verkehrsteilnehmer auf dem Ausfädelungstreifen einer Autobahn schneller als der Verkehr auf der durchgehenden Fahrbahn, so verstoßen sie gegen die StVO. Das kann dann im Fall eines Unfalls eine Mithaftung begründen. Dies geht aus einer Entscheidung des Landgerichts Saarbrücken vom Januar 2021 hervor.

In dem zugrunde liegenden Fall kam es auf einer Autobahn zwischen einem Lkw und einem Kleinlaster zu einem Verkehrsunfall. Der Fahrer des Lkw gab an, er sei infolge einer Baustelle auf die rechte Fahrspur verengten Fahrbahn gefahren, als ihn der Kleinlaster auf dem Ausfädelungsstreifen überholt und gestreift habe. Der Fahrer des Kleinlasters behauptete wiederum, er habe den Ausfädelungsstreifen befahren, um an der Ausfahrt abzubiegen. Dabei sei der Lkw auf den Ausfädelungsstreifen gewechselt und gegen sein Fahrzeug gestoßen. Ein gerichtlich bestellter Sachverständiger hatte festgestellt, dass der Kleinlaster im Kollisionszeitpunkt schneller als der Lkw gefahren sein muss.

Verkehrsteilnehmer dürfen auf Auffahrten nicht schneller als der normale Verkehr fahrenDas zunächst angerufene Amtsgericht St. Wendel nahm eine hälftige Haftungsverteilung vor, weil seiner Auffassung nach keiner Partei ein unfallursächliches Verschulden nachzuweisen sei. Gegen diese Entscheidung richtete sich die Berufung beim Landgericht in Saarbrücken. Das bejahte ganz klar den Verkehrsverstoß des Kleinlasterfahrers. Denn ohne eine höhere Geschwindigkeit auf der Standspur oder dem Einfädelungsstreifen wäre der Kleintransporter hinter dem Lkw gefahren. Ein Ausweichen des Lkw nach rechts, sei es innerhalb der eigenen Fahrspur oder durch ein Hinüberfahren auf die danebenliegende Spur, hätte dann zu keiner Kollision führen können.

Das Landgericht Saarbrücken hob die Entscheidung des Amtsgerichts auf. Es sei unzutreffend, dass keiner Partei ein Verkehrsverstoß anzulasten sei. Aufgrund des vorliegenden Verkehrsverstoßes haftet der Beklagte zu 75% für die Unfallfolgen, so das Landgericht. Die 25% Mithaftung des Klägers ergebe sich aus der Betriebsgefahr der Klägerfahrzeugs. Angepasste Geschwindigkeit auf Ausfädelungsspuren ist damit erkennbar unabdingbar – die Verkehrsteilnehmer haben eben die Autobahn o.ä. faktisch noch nicht verlassen. Auf der Autobahn darf ja zum Beispiel auch nur von rechts überholt werden, wenn auf der linken Spur eine Fahrzeugschlange im Stau steht oder besonders langsam fährt.

Landgericht Saarbrücken, Urteil vom 22.1.2021; AZ – 13 S 110/20 –

Foto:  Narayan Lazic