Keine Entschädigung für nicht-binäre Person aufgrund von Ungleichbehandlung bei der Stellenbesetzung

Das Landesarbeitsgericht (LAG) entschied mit seinem Urteil vom Februar 2023, dass bei einer Stellenausschreibung, die sich ausschließlich an Personen weiblichen Geschlechts richtet, kein Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot vorliegen muss. Die Hochschule, die eine Stelle als Gleichstellungsbeauftragte ausschrieb, berief sich auf das Niedersächsische Hochschulgesetz (NHG), welches vorschreibt, dass eine Frau dieses Amt besetzen soll. Eine Ungleichbehandlung bei der Stellenbesetzung wurde nicht festgestellt.

Der Kläger, der sich selbst als nicht-binär identifiziert, reichte seine Bewerbung ein, doch die Hochschule berücksichtigte ihn nicht für die Stellenbesetzung. Das Arbeitsgericht in Braunschweig lehnte seine Forderung nach Entschädigung ab. Sein Versuch, vor dem Landesarbeitsgericht Berufung einzulegen, scheiterte ebenfalls. Der Kläger wurde gegenüber weiblichen Bewerberinnen nicht ungleich behandelt, so die Richter.

Stellenausschreibung, die sich ausschließlich an Personen weiblichen Geschlechts richtet, muss keine Ungleichbehandlung bedeuten!Die gesetzliche Beschränkung (NHG) auf das weibliche Geschlecht führt grundsätzlich nicht automatisch zur Rechtfertigung einer darauf begründeten Maßnahme. Eine unterschiedliche Behandlung ist im Gegenteil auch nur dann zulässig, wenn das Geschlecht eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung darstellt. Dies trifft im vorliegenden Fall jedoch aufgrund des Stellen- und Aufgabenzuschnitts der Hochschule eindeutig und unverkennbar zu. Das weibliche Geschlecht ist für einen Teil der Aufgaben der Gleichstellungsbeauftragten unverzichtbar.

Die Gleichstellungsbeauftragte berät beispielsweise Hochschulangehörige in Fragen der Gleichstellung und unterstützt insbesondere als Ansprechpartnerin bei sexuellen Belästigungen, von denen hauptsächlich Frauen betroffen sind. Hier sind Erwartungen Dritter und die Notwendigkeit einer bestimmten Geschlechtszugehörigkeit zur Authentizität der Aufgabenwahrnehmung legitim und nicht diskriminierend. Eine Revision gegen das Urteil wurde denn auch nicht zugelassen.

Ähnliches gilt im Übrigen, wenn ein Vertrauensverhältnis zu einer bestimmten Gruppe erforderlich ist, wie bei der Beratung und Betreuung von Diskriminierungsopfern. Daher konnte die Hochschule den Bewerberkreis für das Amt der Gleichstellungsbeauftragten auch problemlos auf Frauen beschränken und eine Ungleichbehandlung verneinen.

Landesarbeitsgericht Niedersachsen, Urteil vom 24.2.2023; AZ – 16 Sa 671/22 –

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Zulässigkeit der Benutzung eines fremden Markenname im Rahmen des Keyword-Advertising

Beim „Keyword-Advertising“ buchen Werbetreibende bei einem Suchmaschinenbetreiber so genannte Keywords, bei deren Eingabe die von ihnen gekauften Werbeanzeigen in der Trefferliste angezeigt werden. Verwendet der Werbende dabei eine fremde Marke oder ein fremdes Kennzeichen als Schlüsselwort für seine Anzeige, stellt sich häufig die Frage, ob darin eine Marken- oder Kennzeichenverletzung vorliegt. Mit dieser Fragestellung zur Nutzung eines solchen „fremden“ Markenname hatte sich das Oberlandesgericht Braunschweig in einem Urteil vom Februar 2023 zu befassen.

Die Beklagte, Betreiberin eines Portals für Kreditvergleiche, verwendete den Begriff „smava“ als Keyword unter anderem bei der Suchmaschine Google. Ihre Werbeanzeige erschien daraufhin in der Liste der Suchergebnisse an zweiter Stelle nach einer Anzeige der Klägerin, die Inhaberin der Wortmarke „smava“ ist und unter ihrer Firma „smava GmbH“ ebenfalls ein Online-Vergleichsportal für Ratenkredite betreibt. Die Klägerin sah darin eine Verletzung ihrer Markenrechte und eine unlautere Werbung. Das Landgericht Braunschweig hat ihrer auf Unterlassung und Feststellung der Verpflichtung zur Zahlung von Schadensersatz gerichteten Klage im Wesentlichen stattgegeben. Die dagegen gerichtete Berufung der Beklagten hatte dann jedoch Erfolg.Der „fremde“ Markenname tauchte im Werbetext selbst auch nicht auf, sondern wurde lediglich als Werbe-Keyword benutzt.

Eine Verletzung der Marke oder des Unternehmenskennzeichens liege nicht vor. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs könne der Markeninhaber der Benutzung eines mit der Marke identischen Zeichens nur widersprechen, wenn diese Benutzung eine der Markenfunktionen beeinträchtige. Eine der wichtigsten Funktionen ist, dass sie den Verbraucher auf die Herkunft der gekennzeichneten Ware oder Leistung hinweist, so dass er die Waren verschiedener Unternehmen auseinander halten kann. Eine solche Beeinträchtigung liege hier aber gar nicht vor.

Der verständige Internet-Nutzer könne anhand der Werbeanzeige erkennen, dass die von der Beklagten angebotene Dienstleistung – nämlich die Vermittlung von Kreditangeboten – nicht von der Markeninhaberin stamme. Dass es sich um eine bezahlte Werbeanzeige handele, ergebe sich zudem aus der Kennzeichnung als „Anzeige“ oberhalb des Textes. Wichtig: Der „fremde“ Markenname tauchte im Werbetext selbst auch nicht auf, sondern wurde lediglich als Werbe-Keyword benutzt. Ein unlauterer Wettbewerb sei daher nicht zu erkennen, so die Braunschweiger Richter.

Oberlandesgericht Braunschweig, Urteil vom 9.2.2023; AZ – 2 U 1/22 –

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Gilt eine Kündigung durch mündliche Information über Einwurf in den Briefkasten?

Die mündliche Mitteilung über den Einwurf der Kündigung in den Briefkasten des Empfängers führt nicht gleichzeitig zum Zugang der Kündigung. Eine um 22.30 Uhr in den Briefkasten eingeworfene Kündigung geht – auch unter Berücksichtigung der mündlichen Benachrichtigung – erst am nächsten Tag zu. Dies entschied das Landgericht Krefeld mit seinem Urteil vom September 2022.

Wie kam es zu dieser Situation und was war der Hintergrund? Am 4. Februar 2020 warf die Mieterin einer Wohnung um 22.30 Uhr die Kündigung über das Mietverhältnis in den Briefkasten des Vermieters. Zudem teilte sie dem Vermieter über die Gegensprechanlage mit, dass sie die Kündigung in den Briefkasten geworfen habe. Der Vermieter nahm jedoch das Kündigungsschreiben erst am Folgetag aus den Briefkasten. Nachfolgend bestand  daher der Streit, wann die Kündigung dem Vermieter tatsächlich zugegangen war. Darüber hatten dann die Gerichte zu entscheiden.

Ein mündlicher Avis einer Kündigung ist noch keine Zustellung einer Kündigung.Da der 4. Februar 2020 der dritte Werktag des Monats war, wäre die Kündigung zum Ende des Monats April 2020 wirksam gewesen – wenn denn der Zugang an diesem Tag erfolgt wäre. Für den Fall, dass das Kündigungsschreiben erst am darauf folgenden Tag zugegangen sein sollte, wäre die Kündigung erst zum Ende des Monats Mai wirksam geworden. Letztlich hat der Vermieter das Schreiben tatsächlich erst am Folgetag gesehen.

Das Landgericht Krefeld entschied denn auch, dass die Kündigung erst am 5. Februar 2020 dem Vermieter zugegangen sei. Alleine die mündliche Information über den Einwurf des Kündigungsschreibens in den Briefkasten bewirke noch keinen Zugang. Dabei sei es auch vollkommen unerheblich, ob der Mieter dem Vermieter den Inhalt  vollständig mitgeteilt hat oder nicht. Eine solche mündliche Kündigung wäre wegen Nichteinhaltung der Schriftform denn auch unwirksam.

Ein um 22.30 Uhr in den Briefkasten des Vermieters geworfenes Kündigungsschreiben gehe erst am Folgetag zu, so das Krefelder Landgericht. Es ist unter normalen Umständen nicht zumutbar um 22.30 Uhr den Briefkasten zu kontrollieren, um festzustellen, ob wie mündlich angekündigt rechtserhebliche Erklärungen eingeworfen worden sind. Die Information der Mieterin über den Einwurf ändere daran nichts. Dem Empfänger sei zuzugestehen, dass er sich während der Nachtzeit der Möglichkeit entzieht, vom Inhalt eines Schreibens Kenntnis zu nehmen.

Landgericht Krefeld, Urteil vom 21.9.2022; AZ – 2 S 27/21 –

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Kein Widerspruchsrecht von Lebensversicherungen bei geringfügigen Belehrungsfehlern

Werden Versicherungsnehmer unrichtig über die Form ihrer Widerspruchserklärung belehrt, so ist ein entsprechender Vertrag nicht automatisch oder notwendigerweise ungültig noch muss es zwangsläufig zu einer Rückabwicklung kommen. Den Versicherungsnehmern ist nämlich durch den im Streitfall möglicherweise nur geringfügigen Belehrungsfehler nicht die Möglichkeit genommen worden, ihr Widerspruchsrecht im Wesentlichen unter denselben Bedingungen wie bei voll zutreffender Belehrung auszuüben. Das entschied der Bundesgerichtshof in einem Urteil vom Februar 2023.

Die Klägerin machte im vorliegenden Fall Ansprüche auf bereicherungsrechtliche Rückabwicklung fondsgebundener Lebens- und Rentenversicherungsverträge geltend. Diese Verträge dazu wurden im November und Dezember 2002 nach dem sogenannten Policen-Modell  abgeschlossen. Die Versicherungsnehmer kündigten die Verträge 2016 und 2017 und erklärten jeweils 2018 den Widerspruch.

In den Vorinstanzen war die Klage erfolglos, wobei das Berufungsgericht besonders darauf abhob, dass der Geltendmachung des Rückabwicklungsanspruchs der Grundsatz von Treu und Glauben entgegen stehe. Ein schutzwürdiges Vertrauen des Versicherers in den Fortbestand des Vertrags komme in Betracht, wenn Umstände vorlägen, die den Schluss zuließen, dass der Versicherungsnehmer auch in Kenntnis seines Aufhebungsrechts an diesem festgehalten hätte. Der Fehler der Belehrung über die einzuhaltende Schriftform – anstelle der eigentlich ausreichenden Textform – für die Widerspruchserklärung, könne die Versicherungsnehmer nicht ernsthaft von der Ausübung des Widerspruchsrechts abgehalten haben. Hiergegen richtete sich die Revision der Klägerin.Geringfüge Beleherungsfehler: Kein Widerspruchsrecht per se

Der Bundesgerichtshof bejahte den Verstoß gegen Treu und Glauben und entschied, dass wenn nur ein geringfügiger Belehrungsfehler vorliegt, damit dem Versicherungsnehmer nicht die Möglichkeit genommen wird, sein Widerspruchsrecht im Wesentlichen unter denselben Bedingungen wie bei zutreffender Belehrung auszuüben. Denn dies stelle, so die Richter,  im Ergebnis eine folgenlose Verletzung der Pflicht des Versicherers zur ordnungsgemäßen Belehrung dar.

Die Annahme einer rechtsmissbräuchlichen Ausübung des Widerspruchsrechts stehe auch in Einklang mit der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH), so dass eine Vorlage an diesen nicht in Frage kommt. Ob das Policen-Modell mit den Lebensversicherungsrichtlinien der Europäischen Union eventuell unvereinbar sei, sei zudem nicht erheblich für diese Entscheidung. Auch im Fall einer unterstellten Unions-Widrigkeit (also gegen EU-Recht) sei es den Versicherungsnehmern nach Treu und Glauben eindeutig verwehrt, sich nach jahrelanger Durchführung des Vertrages dann plötzlich auf dessen angebliche Unwirksamkeit zu berufen – und daraus gar Bereicherungsansprüche herzuleiten.

Im Übrigen komme es auf den allgemeinen Grundsatz des Unions-Rechts zum Rechtsmissbrauch und dessen Voraussetzungen hier nicht an. Im Bereich der Lebensversicherungsrichtlinien sei ein Rückgriff auf den nationalen Grundsatz von Treu und Glauben durchaus zulässig, soweit die praktische Wirksamkeit der Richtlinien – wie im vorliegenden Fall – nicht beeinträchtigt wird.

Bundesgerichtshof, Urteil vom 15.2.2023; AZ – IV ZR 353/21 –

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Tierhalterhaftung erfasst auch durch helfendes Eingreifen verursachte Schäden

Tierhaltung bedeutet Verantwortung. Halter eines Tieres haften für Schäden, die durch deren Tiere entstehen – sei es, dass das Tier direkt andere Tiere oder Menschen verletzt oder Gegenstände beschädigt werden. Doch nicht nur für unmittelbar durch das Tier verursachte Verletzungen gilt die Tierhalterhaftung. Es erfasst auch Fälle, in denen Personen sich aufgrund der vom Tier herbeigeführten Gefahr zu helfendem Eingreifen veranlasst sehen. Das hat Oberlandesgericht Frankfurt am Main im Januar 2023 entschieden. Es den Halter eines Hundes zur Zahlung von Schmerzensgeld verurteilt, da dieser den Kater der Klägerin angegriffen hatte. Beim Versuch, die Tiere zu trennen, stürzte die Klägerin (vermutlich wegen Glatteis unter dem Schnee) und verletzte sich.

Was war passiert? Die Parteien sind Nachbarn und räumten im Januar 2017 gleichzeitig Schnee von ihren Grundstücken. Der Hütehund des Beklagten gelangte während der Räumarbeiten auf das Grundstück der Klägerin. Ob die Klägerin nachfolgend stürzte, da der Hund den Kater der Klägerin angegriffen hatte, ist zwischen den Parteien streitig. Das Landgericht hatte daher nach der Beweisaufnahme die auf Schmerzensgeld und Feststellung der Einstandspflicht für weitere Schäden gerichtete Klage abgewiesen. In der Berufung stellte das Oberlandesgericht dagegen fest, dass der Klägerin in jedem Fall ein Anspruch auf Schmerzensgeld und Schadensersatz zustehe, dei Tierhalterhaftung voll greife. Tierhalterhaftung besteht bereits, wenn eine Verletzung „kausal auf ein Tierverhalten zurückzuführen ist“

Nach der Beweisaufnahme sei davon auszugehen, dass die Klägerin gestürzt sei, da sich der Hund auf ihren Kater gestürzt und diesen am Kopf gepackt habe, so die Frankfurter Richter. Sie habe die Tiere mit ihrem Besen trennen wollen, was bis dahin sowohl die Angaben der Klägerin als auch die des Beklagten bestätigten. Der Beklagte hatte aber klargestellt, dass er lediglich gesehen habe, „dass sein Hund Schläge bezogen habe“. Die Sicht auf das weitere Geschehen sei dagegen verdeckt gewesen. Die Klägerin habe den Hund sicher nicht ohne jeden Grund geschlagen. Sie kannte den Hund vielmehr schon lange und hatte in der Vergangenheit regelmäßig mit ihm gespielt. Diese Angaben der Klägerin seien auch von Zeuginnen bestätigt worden. Aus der ärztlichen Stellungnahme ergebe sich zudem zweifelsfrei, dass die Klägerin in der fraglichen Zeit Verletzungen am Hand- und Kniegelenk erlitten habe.

Als Halter des Hundes habe der Beklagte damit für die erlittenen Schäden einzustehen, entschied das Gericht. Die verschuldensunabhängige Tierhalterhaftung bestehe bereits, wenn eine Verletzung „kausal auf ein Tierverhalten zurückzuführen ist“. Es komme nicht auf eine unmittelbar durch das Tier bewirkte Verletzung an. Ausreichend sei, „wenn sich ein Mensch durch die von dem Tier herbeigeführte Gefahr zu helfendem Eingreifen veranlasst sieht“, so die Frankfurter Richter. Die Klägerin habe sich durch den Angriff des Hundes konkret veranlasst gesehen, dem Kater zur Hilfe zu eilen. Auch wenn es angesichts der winterlichen Verhältnisse aus objektiver Sicht unklug gewesen sei, sich schnell auf die Tiere zuzubewegen, sei es doch eine völlig naheliegende Reaktion gewesen.

Oberlandesgericht Frankfurt am Main, Urteil vom 18.1.2023; AZ – 4 U 249/21 –

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Beseitigungspflicht von Hindernissen auf einem Privatweg

Verfügungen, Gesetze, behördliche Anweisungen darüber was man wie und wann zu tun hat oder zu lassen hat, sind immer ein großes Thema für Grundstücksbesitzer. Dazu gab es im Januar diesen Jahres ein Urteil des Verwaltungsgericht Trier, das darüber zu entscheiden hatte, inwieweit eine Gemeinde Weisungsrecht bei Privatwegen hat – in diesem Fall ein sogenannter Wirtschaftsweg. Tatsächlich hat das Gericht Verfügungen der beklagten Verbandsgemeinde Thalfang aufgehoben, mit denen sie den beiden Klägern aufgegeben hatte, Hindernisse auf einem Privatweg zu beseitigen.

Warum ging es dabei im Detail? Die Kläger sind Eigentümer eines Grundstücks im Gebiet der Verbandsgemeinde. Über dieses Grundstück verläuft ein Teilstück eines Wirtschaftswegs, der in seinem weiteren Verlauf an ein Jagdhaus grenzt. Diesen Weg haben die Kläger mit verschiedenen Gegenständen wie Baumstämmen und Ketten versperrt und Schilder unter anderem mit der Aufschrift „Privatgrundstück. Unbefugten ist das Betreten und Befahren verboten“ angebracht. Die beklagte Gemeinde forderte beide Kläger durch Verfügungen auf, die Funktionsfähigkeit des Wirtschaftsweges zu prüfen und die Hindernisse zu beseitigen. Grund sei, dass die Sperrung des Weges ein Verstoß gegen das naturschutzrechtliche Betretungsrecht darstelle und eine Benutzung des Weges für die Allgemeinheit, Forstwirtschaft, Rettungsketten der Feuerwehr und den Katastrophenschutz nicht möglich sei.

Hindernisse auf einem PrivatwegDa die Widersprüche bei der Gemeinde keine Reaktion brachten, hatten die Kläger im Oktober 2022 Klage gegen die Verfügungen erhoben. Zur Begründung machen sie im Wesentlichen geltend, dass für den Erlass der Verfügungen keine Rechtsgrundlage ersichtlich sei. Bei dem betreffenden Privatweg, von dem keine Gefahren ausgingen, handele es sich um einen privaten, nicht um einen öffentlichen Wirtschaftsweg.

Das Verwaltungsgericht hat denn auch der Klage stattgegeben und zur Begründung ausgeführt, dass die angefochtenen Verfügungen rechtswidrig seien, da keine Grundlage ersichtlich sei, auf die sich die Gemeinde stützen könne. Eine „Ermächtigungsgrundlage“ für die Verbandsgemeinde ergebe sich auch nicht aus dem Naturschutzrecht, da die in Betracht kommende naturschutzrechtliche Eingriffsklausel lediglich die Kreisverwaltung ermächtige.

Im Übrigen könne sie die Verfügung nicht auf Vorschriften des Landesstraßengesetzes stützen, da es sich bei dem Weg eben nicht um eine öffentliche Straße handele. Ferner könne die Gemeinde auch nicht die Vorschriften der Straßenverkehrs-Ordnung als Rechtsgrundlage heranziehen, da sie für den Erlass einer hierauf gestützten Verfügung ebenfalls nicht zuständig sei, sondern dies in den Zuständigkeitsbereich der Straßenverkehrsbehörde der Kreisverwaltung falle.

Die ebenfalls angeführte polizeiliche Generalklausel gelte genauso wenig, da dieser Rückgriff wegen der Spezialität der naturschutz- sowie der straßenverkehrsrechtlichen Eingriffsbefugnis der Kreisverwaltung gesperrt sei. Daraus, dass der Privatweg nicht mehr für Feuerwehr und Rettungskräfte befahrbar sei, ergebe sich ebenfalls keine Ermächtigungsgrundlage, da dies allenfalls im Rahmen einer straßen- oder straßenverkehrsrechtlichen Ordnungsverfügung relevant werden könne. Und schlussendlich sei auch keine öffentlich-rechtliche Verpflichtung der Kläger ersichtlich, wonach diese für die Erschließung land- und forstwirtschaftlicher Grundstücke Dritter zu sorgen hätten.

Verwaltungsgericht Trier, Urteil vom 25.1.2023; AZ – 9 K 2995/22.TR –

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Fahrradsturz durch losgerissenen Hund: Schmerzensgeld ist angemessen

„Der tut nix!“ „Der will nur spielen“ – Aussagen wie diese, hört man immer wieder, wenn es zu Begegnungen mit Hundebesitzern kommt. Leider überschätzen sich aber immer wieder Menschen, die denken, dass sie wissen, wie sich ihr Hund verhält. Die Realität ist leider oft anders. Verursacht etwa ein sich losreißender Hund den Sturz eines Fahrradfahrers, haftet der Halter des Hundes aus Gründen der sogenannten Tiergefahr für die erlittenen Schäden. Das Oberlandesgericht Frankfurt am Main bestätigte in einem Beschluss vom Dezember 2022 die Verurteilung zu einem Schmerzensgeld in Höhe von 7.000 Euro angesichts von ärztlich bestätigten Beeinträchtigungen.

Der betroffene Fahrradfahrer befuhr neben seiner Lebensgefährtin nachmittags einen Rad- und Fußweg zwischen Frankfurt am Main und Hanau. Der Beklagte befand sich mit seiner Hündin oberhalb dieses Weges, als dieser sich losriss und von rechts auf den Rad- und Fußweg rannte. Der Kläger stürzte und verletzte sich am rechten Arm und der rechten Hand. Er verlangte daraufhin vom Hundebesitzer Schmerzensgeld in Höhe von mindestens 15.000 Euro sowie Erstattung entstandener Kosten. Das Landgericht hatte nach Zeugenvernehmung und Einholung eines Sachverständigengutachtens den Beklagten zur Zahlung eines Schmerzensgelds in Höhe von 7.000 Euro verurteilt sowie teilweiser Erstattung der geltend gemachten Kosten. Ein Halter eines Hundes haftete aus Gründen der sogenannten Tiergefahr für die erlittenen Schäden und muss u.U. ein entsprechendes Schmerzensgeld zahlen.

Das war dem Kläger jedoch nicht ausreichend und er versuchte – ohne Erfolg – vor dem Oberlandesgericht weiteres Schmerzensgeld in Höhe von 8.000 Euro zu bekommen. Das Landgericht habe hier zu Recht auf Basis der durch Sachverständige bestätigten Beeinträchtigungen das Schmerzensgeld richtig bemessen. Die geltend gemachten, nicht unerheblichen Beeinträchtigungen der Beweglichkeit am rechten Ellbogen waren von Ärzten nicht bestätigt worden. Daher seien die vom Kläger angeführten Schmerzen bei alltäglichen Abläufen wie dem An- und Ausziehen nicht nachvollziehbar.

Der Kläger sei durch die erlittenen Beeinträchtigungen in seinen Aktivitäten und seiner Lebensführung stellenweise auf Dauer eingeschränkt, so die Richter. Durch den Sturz sei daher durchaus ein erheblicher Verlust an Lebensqualität eingetreten, da der Kläger nicht mehr seine Freizeitsportarten, insbesondere Motorrad- und sportliches Fahrradfahren, ausüben könne. Dies habe das Landgericht bei der Bemessung des Schmerzensgeldes aber angemessen berücksichtigt.

Dabei habe das Landgericht allerdings auch zu Recht auch in die Bewertung einfließen lassen, dass kein vorsätzliches Handeln des beklagten Hundebesitzer vorgelegen habe.

Oberlandesgericht Frankfurt am Main, Urteil vom 20.12.2022; AZ – 11 U 89/21 –

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Räum- und Streupflicht bei ernsthafter lokaler Glättegefahr

Wann genau gilt eine Pflicht für einen Winterdienst mit Räumen und Streuen? Ist auch eine lokale Glätte bereits ein Kriterium und kann eine Missachtung mit Folgen für daraufhin durch Stürze verletzte Bürger gar zu Schmerzensgeldansprüchen führen? Eine allgemeine Glättegefahr sei nicht Voraussetzung für Winterdienstpflicht, befand jedenfalls das Berliner Kammergericht im Dezember 2022.

Die winterliche Räum- und Streupflicht gelte nicht erst dann, wenn eine allgemeine Glätte vorliegt, sondern bereits bei einer ernsthaften lokalen Glätte. Dies gelte auch für einen Dritten, der die Winterdienstpflicht für den primär Verantwortlichen übernommen hat, so die Entscheidung des Kammergericht.

Wie kam es zu diesem Urteil? Gegen 11 Uhr an einem Tag im Dezember 2020 kam eine etwa 69-jährige Frau auf einem Klinikgelände in Berlin wegen Glatteises zu Fall und verletzte sich. Das gesamte Gelände war wegen Glätte rutschig und nicht gestreut worden, wobei die Winterdienstpflicht war auf eine Firma übertragen worden war. Die Frau klagte gegen die Trägerin der Klinik und die Winterdienstfirma auf Zahlung von Schmerzensgeld in Höhe von 20.000 Euro.

Auch bei lokaler Glättegefahr besteht die Pflicht für einen angemessenen WinterdienstDas zunächst angerufene Landgericht Berlin wies die Klage ab. Seiner Auffassung nach komme allein eine Haftung der Winterdienstfirma in Betracht. Eine Haftung sei aber ausgeschlossen, da die Klägerin nicht dargelegt habe, dass am Unfalltag allgemeine Glättegefahr in Berlin herrschte und für die Beklagte konkrete Anhaltspunkte für eine Gefahr aufgrund einzelner Glättestellen bestanden habe.

Das Kammergericht in der nächsten Instanz erkannte, dass der Frau ein Anspruch auf Schmerzensgeld zustehe. Die beklagte Winterdienstfirma habe die Verkehrssicherungspflicht verletzt. Es komme dabei nicht darauf an, ob eine allgemeine Glätte herrschte. Denn die Beweisaufnahme habe gezeigt, dass seit gut 9 Uhr an diesem Tag bis zum Unfallzeitpunkt das Gelände der Klinik verreist und deshalb sehr rutschig war. Die Beklagte hätte daher spätestens um 10 Uhr streuen müssen.

Von dem beklagten Winterdienst könne sicher nicht verlangt werden, an einem Tag, an dem keine allgemeine Glätte herrscht, sämtliche Flächen in ihrem Winterdienstgebiet vorsorglich auf ernsthafte lokale Glättegefahren hin zu kontrollieren. Dies sei für den vorliegenden Fall aber unerheblich. Denn die primär Streupflichtige vor Ort hätte spätestens um 10 Uhr auf die ernsthafte Glättegefahr reagieren müssen und die Firma benachrichtigen.

Das Kammergericht erkannte darüber hinaus ein Schmerzensgeld in Höhe von 5.000 € für angemessen, da die Klägerin für mehrere Tage über Weihnachten in ambulanter Behandlung war, sich operieren lassen musste und danach über mehrere Monate einen schwierigen Heilungsverlauf erdulden musste. Sie musste sich zudem Reha-Maßnahmen unterziehen und war über mehrere Wochen auf eine Gehhilfe angewiesen.

Kammergericht Berlin, Urteil vom 6.12.2022; AZ – 21 U 56/22 –

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BGH: Kontrolle und Nachsortierung bei der Mülltrennung können Nebenkosten sein

Wenn ein Vermieter die Mülltrennung von einem externen Dienstleister kontrollieren lässt, darf er die Kosten dafür  auch auf die Mieterinnen und Mieter umlegen. Geklagt hatten Mieter aus Berlin, die für dieses „Behältermanagement“ etwas mehr als zwölf Euro im Jahr zahlen sollten. Der Dienstleister hatte den Auftrag, die Restmülltonnen der Anlage mit rund 100 Wohnungen regelmäßig zu kontrollieren und falsch eingeworfenen Abfall bei Bedarf von Hand nachzusortieren. Mit einem Urteil vom Oktober 2022 hat der Bundesgerichtshof entschieden, dass es sich hier in der Tat um Nebenkosten handelt, die auch weitergegeben werden können.

Wenn Mieter es mit der Mülltrennung nicht so genau nehmen, kann der Vermieter dagegen vorgehen, indem dieser etwa einen Dienstleister damit beauftragt, die Mülltrennung im Objekt zu überwachen. Wie auch bei dem verhandelten Fall aus Berlin. Die Betriebskostenverordnung erlaube es ganz klar, die Kosten der Müllbeseitigung auf die Mieter umzulegen. Der Begriff „Müllbeseitigung“ sei dabei in der Verordnung nicht weiter definiert, aber weit auszulegen, wie die Karlsruher Richter dazu feststellten. Das in diesem Fall zusätzlich beauftragte Behältermanagement falle denn auch darunter. Dabei kommt es nicht einmal darauf an, ob dieser Dienst nur eine Reaktion auf ein Fehlverhalten der Mieter beauftragt worden war oder nicht. Kontrolle und Nachsortierung kann Nebenkosten für die Mieter bedeuten.

Im vorliegenden Fall wies die Betriebskostenabrechnung der beklagten Immobiliengesellschaft für das Jahr 2018 jeweils anteilig nach der Wohnfläche auf die Mieter umgelegte Kosten für die Wartung von Rauchwarnmeldern sowie für ein Behältermanagement aus. Auf die Kläger entfiel dabei in dem betreffenden Jahr ein Betrag von 13,66 Euro für die Anmietung und von 8,02 Euro für die Wartung der Rauchwarnmelder sowie ein Betrag von 12,09 Euro für  das  besagte Behältermanagement. Die Beklagte zog den sich aus der Betriebskostenabrechnung ergebenden Nachzahlungsbetrag vom Konto der Kläger ein. Die Kläger widersprachen der Betriebskostenabrechnung fristgemäß.

Der Bundesgerichtshof bestätigte letztlich die weitgehend gleich lautenden Entscheidungen der Vorinstanzen. Die Kosten für das Behältermanagement können auf die Mieter umgelegt werden. Sie entstehen der Vermieterin regelmäßig und wiederkehrend durch die Mietnutzung und seien insbesondere nicht den durch die Grundmiete abgedeckten Verwaltungskosten zuzuordnen.

Bundesgerichtshof, Urteil vom 5.10.2022; AZ – VIII ZR 117/21 –

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BGH weist Klage zu Verstößen gegen LKW-Durchfahrtsverbot ab

Die Belastung mit Schadstoffen und Lärm begründet in Städten an bestimmten Stellen sogenannte Durchfahrverbote, speziell für den Schwerlastverkehr durch LKW. Oft werden diese Bereich auch allgemein als Umweltzonen bezeichnet. Vor allem in dicht bebauten Vierteln mit Wohnbebauung ist so eine Regelung nachvollziehbar – doch wieweit können die Bewohner dies auch durchsetzen, sprich LKW konkret abhalten? Der Bundesgerichtshof hat in einem Urteil vom Juni 2022 jedenfalls einen Unterlassungsanspruch von Anwohnern bei Verstößen gegen das nach dem Luftreinhalteplan der Landeshauptstadt Stuttgart bestimmte LKW-Durchfahrtsverbot verneint.

Die Kläger sind Eigentümer von innerhalb der Stuttgarter Umwelt- und LKW-Durchfahrtsverbotszone gelegenen Grundstücken. Sie machen geltend, die Beklagte, die eine Spedition betreibt, verstoße mehrmals täglich gegen das Durchfahrtsverbot, indem sie das Gebiet mit LKW befahre. Bereits das Amtsgericht hatte die Klage abgewiesen – und auch die Berufung vor dem Landgericht blieb erfolglos. Dagegen haben die Kläger die vom Landgericht zugelassene Revision eingelegt und ihr Begehren weiterverfolgt. Der Bundesgerichtshof hat die Revision jedoch zurückgewiesen. Den Klägern stehe der geltend gemachte Unterlassungsanspruch unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt zu.

BGH weist Klage zu Verstößen gegen LKW-Durchfahrtsverbot in Umweltzonen abDie Kläger wenden sich nicht gegen die Beurteilung des Landgerichts, wonach sich das Unterlassungsbegehren nicht auf eine Gesundheitsverletzung stützen lässt. Diese Beurteilung sei rechtlich auch nicht zu beanstanden. Sie nahmen auch die Annahme des Landgerichts hin, dass der beklagten Spedition keine wesentliche Beeinträchtigung der Benutzung zuzurechnen sei. Auch insoweit sind Rechtsfehler des Landgerichts nicht ersichtlich.

Letztlich bliebe daher das Argument, dass das angeordnete LKW-Durchfahrtsverbot kein Schutzgesetz zugunsten einzelner Anwohner darstellt. Das begründe nämlich für einzelne Anwohner innerhalb der Durchfahrtsverbotszone keinen Anspruch, dem Verbot Zuwiderhandelnde zivilrechtlich auf Unterlassung zu verklagen. Denn es komme eben nicht auf die Wirkung, sondern auf Inhalt, Zweck und Entstehungsgeschichte des Gesetzes an – so der BGH –, also darauf, ob der Gesetzgeber bei Erlass des Gesetzes einen Rechtsschutz zugunsten von Einzelpersonen oder bestimmten Personenkreisen gewollt oder doch zumindest mitgewollt hat.

Entscheidend sei hier, dass im Streitfall das LKW-Durchfahrtsverbot nicht für bestimmte Straßen zur Reduzierung der die dortigen Anlieger beeinträchtigenden Schadstoffkonzentrationen, sondern grundsätzlich für das gesamte Stadtgebiet angeordnet wurde. Es ginge darum allgemein die Luftqualität zu verbessern und der Überschreitung von Immissionsgrenzwerten entgegenzuwirken. Die Kläger sind insoweit nur als Teil der Allgemeinheit. Bereits dies spreche gegen die Annahme, so die Richter, ein Schutz von Einzelinteressen in der von den Klägern begehrten Weise sei Intention des Durchfahrtsverbots.

Schon angesichts der Größe der Verbotszone könne nicht angenommen werden, dass die an einer beliebigen Stelle der Verbotszone verursachte Immissionen für jeden Anlieger innerhalb dieser Zone die unmittelbare Gefahr einer Überschreitung der Immissionsgrenzwerte und damit eine potenzielle Gesundheitsbeeinträchtigung verursachen.

Bundesgerichtshof, Urteil vom 14.6.2022; – VI ZR 110/21 –

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