Was bedeutet „komplette Dacherneuerung“ bei einem Hausverkauf?

Wird beim Verkauf einer Immobilie angegeben, das Dach sei „komplett erneuert“ worden, stellt sich die Frage, welche Arbeiten damit gemeint sind. Der Bundesgerichtshof stellte im Dezember 2024 klar, dass eine komplette Dacherneuerung nicht automatisch nur die Erneuerung der obersten Dachschicht bedeutet. Die genaue Bedeutung dieser Angabe richtet sich nach den Umständen des jeweiligen Einzelfalls.

Der zugrunde liegende Sachverhalt entwickelte sich im Januar 2021, als Käufer ein 1974 erbautes Einfamilienhaus in Sachsen erwarben. Das Maklerexposé führte auf, dass im Jahr 2009 das Dach komplett erneuert wurde. Die damaligen Arbeiten bestanden aus dem Verkleben und Verschweißen einer neuen Bitumenbahn. Die Käufer vertraten die Ansicht, diese Maßnahme stelle keine komplette Erneuerung dar, da weder die Dämmung noch die Unterkonstruktion erneuert wurden. Daraufhin forderten sie Schadensersatz und argumentierten, das erworbene Haus weise einen Mangel auf.

Das Landgericht Leipzig gab der Klage in erster Instanz statt. Das Oberlandesgericht Dresden entschied jedoch gegenteilig und wies die Klage ab. Nach Auffassung des Oberlandesgerichts lag kein Mangel vor. Die Richter begründeten dies damit, dass der Begriff „Dach“ nach allgemeinem Sprachgebrauch lediglich die oberste Dachschicht umfasse, nicht jedoch die Dämmung und Unterkonstruktion. Da 2009 alte Bitumenbahnen durch neue ersetzt wurden, betrachtete das Gericht dies als vollständige Ausbesserung. Die unterlegenen Käufer legten Revision beim Bundesgerichtshof ein. Der Bundesgerichtshof betonte, dass sich keine allgemeingültige Definition für eine Komplettererneuerung eines Daches aufstellen lässt.

Der Bundesgerichtshof gab den Käufern recht und korrigierte die Rechtsauffassung des Oberlandesgerichts. Nach dem allgemeinen Sprachgebrauch meint „Dach“ nicht stets ausschließlich die äußere Dachschicht. Folglich bedeutet eine „komplette Erneuerung“ auch nicht generell nur die Erneuerung der obersten Schicht.

Der Bundesgerichtshof betonte, dass sich keine allgemeingültige Definition für eine Komplettererneuerung eines Daches aufstellen lässt. Das Verständnis hängt vom jeweiligen Dachtyp und den einzelnen Bestandteilen des Dachaufbaus ab. Verschiedene Dächer bestehen aus unterschiedlich vielen Schichten mit verschiedenen Funktionen. Zudem können die zum Zeitpunkt der Dacherneuerung geltenden baulichen Vorschriften das Verständnis einer Komplettererneuerung beeinflussen. Die Anforderungen an eine fachgerechte Dacherneuerung ändern sich im Laufe der Zeit durch neue technische Regelwerke und energetische Standards.

Die Entscheidung verdeutlicht, dass beim Verkauf von Immobilien präzise Angaben über den Umfang durchgeführter Baumaßnahmen erforderlich sind. Vage Formulierungen wie „komplette Erneuerung“ bergen Konfliktpotenzial, wenn die Vorstellungen über den tatsächlichen Leistungsumfang auseinandergehen. Käufer sollten bei solchen Angaben konkret nachfragen, welche Arbeiten tatsächlich durchgeführt wurden.

Urteil des Bundesgerichtshof vom 6.12.2024; AZ –V ZR 229/23 –

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Scheinselbstständigkeit im Baugewerbe: Urteile des Hessischen Landessozialgerichts 2025

Das Hessische Landessozialgericht hat 2025 in drei Entscheidungen die Grenzen zwischen echter Selbstständigkeit und abhängiger Beschäftigung im Baugewerbe präzisiert. Die Urteile betreffen Bauarbeiter, die formal als selbstständige Werkunternehmer angemeldet waren, tatsächlich jedoch als abhängig Beschäftigte einzustufen sind. Die Konsequenzen für betroffene Bauunternehmen reichen von fünfstelligen Nachzahlungen bis zu grundlegenden Änderungen in der Vertragsgestaltung.

Die vom Gericht untersuchten Fälle wiesen charakteristische Gemeinsamkeiten auf: Ausländische Staatsangehörige mit geringen Deutschkenntnissen verrichteten einfache Tätigkeiten wie Abbrucharbeiten, Maurern, Pflastern, Badsanierungen oder Trockenbau. Diese Arbeiten erfolgten ohne schriftliche Verträge für verschiedene Baufirmen im Rhein-Main-Gebiet. Der Stundenlohn bewegte sich zwischen 10 und 15 Euro, die Abrechnung basierte ausschließlich auf den geleisteten Stunden.

Ein entscheidendes Kriterium bildete die Bereitstellung von Werkzeug und Material durch die Baufirmen. Bis auf Kleinwerkzeuge stellten die Auftraggeber nahezu sämtliche Betriebsmittel zur Verfügung. Die Bauarbeiter verfügten weder über eigene Betriebsmittel noch traten sie als Unternehmer am Markt auf. Vertragsfreiheit, ein typisches Merkmal selbstständiger Tätigkeit, existierte faktisch nicht.

Entscheidend bleibt ausschließlich die tatsächliche Durchführung der Tätigkeit, nicht der äußere Schein oder vertragliche Formulierungen.Das Gericht bewertete die Eingliederung in die Arbeitsorganisation und den Weisungsbereich der Firmen als starke Indizien für abhängige Beschäftigung. Einfache, typische Arbeitnehmeraufgaben unter Leitung und Kontrolle des Auftraggebers sprechen gegen eine selbstständige Tätigkeit. Die Richter betonten, dass individuelle Vereinbarungen über den Status der Selbstständigkeit zwischen Firma und Arbeiter für die sozialversicherungsrechtliche Einordnung irrelevant sind und die Beitragspflicht nicht ausschließen können.

Entscheidend bleibt ausschließlich die tatsächliche Durchführung der Tätigkeit, nicht der äußere Schein oder vertragliche Formulierungen. Nach Betriebsprüfungen mussten mehrere Baufirmen im Rhein-Main-Gebiet erhebliche Beträge an Sozialversicherungsbeiträgen nachzahlen. Das Gericht ließ die Revision nicht zu, womit die Entscheidungen rechtskräftig sind.

Für Bauunternehmen ergeben sich daraus praktische Konsequenzen: Das tatsächliche Abhängigkeitsverhältnis und die Eingliederung in den Betrieb entscheiden über die sozialversicherungsrechtliche Einordnung. Speziell die Beschäftigung ausländischer Arbeitskräfte mit geringen Deutschkenntnissen erfordert besondere Sorgfalt, um Scheinselbstständigkeit zu vermeiden.

Rechtssichere Vertragsgestaltung verlangt klare Unterscheidungen zwischen Werkvertrag, Dienstvertrag und Arbeitsvertrag. Beim Werkvertrag steht der konkrete Leistungserfolg im Vordergrund, der Unternehmer trägt das eigene Risiko und verwendet eigene Betriebsmittel. Beim Arbeitsvertrag erfolgt die Einbindung in die Organisation des Bauunternehmens, die Arbeit nach dessen Weisungen und die Lohnzahlung unabhängig vom Erfolg.

Verträge müssen eindeutig regeln, wer die Projektverantwortung trägt, wer das Unternehmerrisiko übernimmt und ob eigene Betriebsmittel gestellt werden. Die Abrechnung sollte beim Werkvertrag erfolgsbasiert erfolgen, während beim Arbeits- oder Dienstvertrag die stundenbasierte Vergütung unabhängig vom Ergebnis charakteristisch ist. Klare Definitionen der Aufgaben, Verantwortlichkeiten und Weisungsrechte bilden die Grundlage rechtssicherer Gestaltung.

Weisungsrechte müssen begrenzt und dokumentiert sein. Der Werkunternehmer muss selbstständig und ohne Eingliederung in die Abläufe des Auftraggebers arbeiten, ansonsten droht die Einstufung als abhängig Beschäftigter mit entsprechenden Nachforderungen.

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Versteckte Indexmiete führt zur Unwirksamkeit der Mietvereinbarung

Das Landgericht Berlin hat in einer Entscheidung vom Januar 2025 erklärt, dass eine versteckte Indexmiete unwirksam ist, wenn diese als unscheinbarer Unterpunkt unter „sonstige Vereinbarungen“ im Mietvertrag platziert wird. Diese Entscheidung zeigt deutlich, wie wichtig die richtige Platzierung und transparente Gestaltung von Mietklauseln ist.

Der konkrete Fall betraf eine Wohnung in Berlin, bei der die Vermieterin im Mai 2023 eine Mieterhöhung auf Basis einer Indexmieten-Vereinbarung durchsetzen wollte. Die Mieter waren jedoch völlig überrascht von dieser Regelung, da sie im Mietvertrag versteckt unter dem letzten Punkt „sonstige Vereinbarungen“ stand. Die entsprechende Formulierung lautete lediglich „Mieter und Vermieter vereinbaren eine Indexmiete“. Die überraschten Mieter erhoben daraufhin Klage, um festzustellen, dass sich die Miete nicht wie von der Vermieterin gefordert erhöht hat.

Eine Indexmiete bedeutet, dass sich die Miete automatisch an die Entwicklung der allgemeinen Lebenshaltungskosten anpasst. Dabei orientiert sie sich am Verbraucherpreisindex, den das Statistische Bundesamt regelmäßig ermittelt. Dieser Index spiegelt wider, wie sich die Preise für Konsumgüter und Dienstleistungen entwickeln. Steigt der Index aufgrund der Inflation, darf auch die Miete um denselben Prozentsatz erhöht werden. Umgekehrt kann die Miete sinken, wenn der Index fällt. Allerdings muss der Vermieter jede Anpassung ausdrücklich ankündigen – die Miete erhöht sich nicht automatisch. e Vereinbarung verwies lediglich auf die entsprechende Gesetzesvorschrift, ohne zu erläutern, was eine Indexmiete konkret bedeutet und welche Auswirkungen sie für die Mieter hat.

Das Landgericht Berlin bestätigte die Entscheidung des Amtsgerichts und erklärte die Indexmieten-Vereinbarung für unwirksam. Das Gericht begründete dies damit, dass die Regelung eine überraschende Klausel darstellt. Die Indexmieten-Vereinbarung befand sich nicht an der erwartbaren Stelle im Mietvertrag, etwa bei den Bestimmungen zu Miete und Nebenkosten, sondern versteckt unter einem Paragrafen namens „sonstige Vereinbarungen“. In diesem Abschnitt behandelte der Mietvertrag eigentlich formelle Aspekte wie die Wirksamkeit des Vertrags und die Kommunikation zwischen den Parteien.

Nach Auffassung des Gerichts passt eine so wichtige Regelung wie die Indexmiete nicht zu der Überschrift „sonstige Vereinbarungen“. Mieter erwarten solche bedeutsamen Bestimmungen zur Miethöhe an prominenter Stelle im Vertrag und nicht versteckt am Ende zwischen formellen Regelungen. Selbst der Umstand, dass die Mietparteien den Vertrag gelesen und unterschrieben hatten, änderte nichts an der Unwirksamkeit der überraschenden Klausel.

Zusätzlich kritisierte das Landgericht Berlin, dass die Klausel gegen das Transparenzgebot verstößt. Die Vereinbarung verwies lediglich auf die entsprechende Gesetzesvorschrift, ohne zu erläutern, was eine Indexmiete konkret bedeutet und welche Auswirkungen sie für die Mieter hat. Solche Verweisungen auf Gesetze ohne weitere Erklärung genügen nicht den Anforderungen an eine verständliche Vertragsgestaltung.

Diese Entscheidung zeigt, dass Vermieter bei der Gestaltung von Mietverträgen besondere Sorgfalt walten lassen müssen. Wichtige Bestimmungen wie Indexmieten müssen an der richtigen Stelle im Vertrag stehen und transparent formuliert sein, damit sie rechtswirksam sind.

Urteil des Landgericht Berlin vom 13.1.2025; AZ – 63 S 138/24 –

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Nutzungsuntersagung für eine Wohnung: Mieterrechte und Räumungsfristen erklärt

Das Oberverwaltungsgericht Niedersachsen hat in einer Entscheidung vom Januar 2025 klargestellt, welche Fristen bei einer Nutzungsuntersagung für eine Wohnung gelten. Die Richter entschieden, dass Mieter grundsätzlich drei Monate Zeit erhalten, um eine baurechtswidrige Wohnung zu verlassen.

Der konkrete Fall betraf ein neu errichtetes Gebäude, das gegen die baulichen Grenzabstandsvorschriften verstieß. Die zuständige Behörde hatte den Mietern im Oktober 2024 die weitere Nutzung der Wohnung untersagt und eine dreimonatige Befolgungsfrist eingeräumt. Die Mieter, die erst seit knapp zwei Jahren in der Wohnung lebten, wehrten sich gegen diese Anordnung und argumentierten, eine Alternativwohnung im gleichen Preissegment und mit vergleichbarer Ausstattung sei schwer zu finden.

Das Gericht wies den Eilantrag der Mieter ab und bestätigte die Rechtmäßigkeit der Nutzungsuntersagung samt der gesetzten Frist. Die Richter orientierten sich dabei an den allgemeinen Kündigungsfristen für Wohnraum. Bei Mietverhältnissen, die weniger als fünf Jahre bestehen, beträgt diese Frist üblicherweise drei Monate. Diese Zeitspanne hielt das Gericht für ausreichend und angemessen.

Mieter, die von einer Nutzungsuntersagung betroffen sind, sollten die gewährte Frist ernst nehmen und frühzeitig mit der Wohnungssuche beginnen.Die Entscheidung macht deutlich, dass Behörden bei baurechtswidrigen Zuständen sofort einschreiten können und müssen. Gleichzeitig schützt die Rechtsprechung Mieter vor unvermittelten Zwangsräumungen, indem eine angemessene Übergangsfrist gewährt wird. Diese Frist soll Mietern genügend Zeit verschaffen, eine neue Wohnung zu finden und den Umzug zu organisieren.

Besonders bemerkenswert ist die klare Abgrenzung des Gerichts zu möglichen Ausnahmefällen. Zwar können in besonderen Situationen längere Räumungsfristen gerechtfertigt sein, jedoch nur dann, wenn außergewöhnliche Umstände vorliegen, die es dem Mieter unzumutbar machen, innerhalb der Standardfrist auszuziehen. Normale Schwierigkeiten bei der Wohnungssuche, wie sie in angespannten Wohnungsmärkten üblich sind, genügen hierfür nicht.

Diese Rechtsprechung hat erhebliche praktische Auswirkungen. Mieter müssen auch dann ausziehen, wenn sie von der Baurechtswidrigkeit ihrer Wohnung nichts wussten. Die Unkenntnis schützt nicht vor der Räumungspflicht. Allerdings können sich unter Umständen Schadensersatzansprüche gegen den Vermieter ergeben, insbesondere wenn dieser bereits vor Vertragsschluss von den baulichen Mängeln wusste.

Die Entscheidung zeigt auch, dass Behörden bei baurechtswidrigen Zuständen nicht untätig bleiben dürfen, sondern zum Handeln verpflichtet sind. Gleichzeitig wird aber ein ausgewogener Interessenausgleich zwischen dem öffentlichen Interesse an der Einhaltung des Baurechts und dem Schutz der Mieter vor plötzlicher Obdachlosigkeit geschaffen.

Mieter, die von einer Nutzungsuntersagung betroffen sind, sollten die gewährte Frist ernst nehmen und frühzeitig mit der Wohnungssuche beginnen. Rechtliche Beratung kann helfen, mögliche Ansprüche gegen den Vermieter zu prüfen und durchzusetzen.

Urteil des Oberverwaltungsgericht Niedersachsen vom 20.1.2025; AZ – 1 ME 158/24 –

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Lüftungspflicht nach Fenstertausch: Neue Fenster erfordern angepasstes Wohnverhalten

Das Landgericht Landshut stellte in einem Urteil vom Januar 2025 klar, dass die Lüftungspflicht nach Fenstertausch eine zentrale Mieterverantwortung darstellt. Der Fall zeigt eindrücklich, wie bauliche Veränderungen die Pflichten von Mietern beeinflussen können und welche Konsequenzen unzureichendes Lüften haben kann.

Der Streitfall entwickelte sich über mehrere Jahre. Nach dem Austausch der Fenster in einer bayerischen Mietwohnung bildete sich bereits 2010 erstmals Schimmel. Die Vermieterin machte die Mieterin auf die Notwendigkeit verstärkten Lüftens aufmerksam. Als 2019 erneut Schimmel auftrat, klagte die Mieterin auf Schimmelbeseitigung und forderte eine Mietminderung. Ihre Argumentation stützte sich darauf, dass vor dem Fenstertausch kein regelmäßiges Lüften erforderlich gewesen sei.

Das zunächst zuständige Amtsgericht Landshut bewertete die Schimmelbildung als Mietmangel und sprach der Mieterin eine Mietminderung von 15 Prozent zu. Gleichzeitig verpflichtete es die Vermieterin zur Schimmelbeseitigung. Diese Entscheidung wurde jedoch in der Berufungsinstanz vollständig aufgehoben. Das Landgericht Landshut kam zu einem anderen Ergebnis. Die richterliche Bewertung ergab, dass kein Mietmangel vorlag, sondern die Schimmelbildung auf unzureichendes Lüftungsverhalten zurückzuführen war. Ein Sachverständigengutachten belegte, dass sowohl Stoßlüften als auch Querlüften in der Wohnung möglich war und die Schimmelbildung dadurch hätte verhindert werden können.

Die Beweisaufnahme vor Gericht machte deutlich, dass Mieter durchaus zu angemessenem Lüftungsaufwand verpflichtet sein können.Die Beweisaufnahme machte deutlich, dass Mieter durchaus zu angemessenem Lüftungsaufwand verpflichtet sind. Konkret bedeutet dies zweimal täglich für jeweils zehn Minuten zu lüften und dabei Feuchtigkeitsspitzen gezielt abzuführen. Diese Anforderung gilt als zumutbar und entspricht allgemeinen Wohnstandards. Besonders bemerkenswert ist die gerichtliche Klarstellung zur Anpassungspflicht bei baulichen Veränderungen. Das Argument der Mieterin, vor dem Fenstertausch nicht lüften zu müssen, fand keine rechtliche Anerkennung. Das Gericht betonte, dass Mieter verpflichtet sind, ihr Nutzungsverhalten an veränderte bauliche Gegebenheiten anzupassen. Diese Anpassung gilt als allgemein übliche Praxis im Mietverhältnis.

Moderne Fenster weisen typischerweise eine höhere Dichtigkeit auf als ältere Modelle. Diese verbesserte Isolation führt zu reduziertem natürlichen Luftaustausch, weshalb bewusstes Lüften noch wichtiger wird. Mieter können nicht erwarten, nach baulichen Modernisierungen ihr bisheriges Verhalten unverändert beibehalten zu können. Die Entscheidung unterstreicht die Bedeutung der „Verkehrssitte“ bei Lüftungspflichten. Mieter müssen nur in dem Umfang lüften, der allgemein üblich ist. Ein Verschulden liegt nicht vor, wenn innerhalb dieser üblichen Standards gelüftet wird. Spezielles technisches Fachwissen zur Schimmelprävention kann von Mietern nicht verlangt werden.

Das Urteil hatte für die Mieterin erhebliche finanzielle Konsequenzen. Sie musste sämtliche Prozesskosten tragen, wobei der Streitwert auf mehr als 6.500 Euro festgesetzt wurde. Sowohl der Anspruch auf Schimmelbeseitigung als auch die Mietminderung wurden vollständig abgelehnt. Diese Rechtsprechung verdeutlicht die Grenzen zwischen Vermieter- und Mieterverantwortung bei Schimmelbildung.

Während bauliche Mängel in den Verantwortungsbereich des Vermieters fallen, liegt die ordnungsgemäße Nutzung der Wohnung beim Mieter. Dazu gehört insbesondere angemessenes Lüftungsverhalten, das sich an veränderte bauliche Gegebenheiten anpassen muss.

Urteil des Landgericht Landshut vom 8.1.2025; AZ – 15 S 339/23 –

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Bundesgerichtshof stärkt Maklercourtage Halbteilung bei Immobilienkäufen

Die Maklercourtage Halbteilung zwischen Verkäufer und Käufer beim Immobilienerwerb hat durch eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom März 2025 eine bedeutsame Stärkung erfahren. Das Gericht stellte unmissverständlich klar, dass Umgehungsversuche des Halbteilungsgrundsatzes zur vollständigen Unwirksamkeit entsprechender Vereinbarungen führen. Der konkrete Fall zeigt exemplarisch, wie Makler und Verkäufer gemeinsam versucht hatten, die gesetzlichen Vorgaben zu umgehen.

Ein Maklerunternehmen war ausschließlich von der Verkäuferin einer Doppelhaushälfte mit der Vermarktung beauftragt worden. Obwohl nur ein Auftragsverhältnis zum Verkäufer bestand, sollten die Käufer letztendlich die kompletten Maklerkosten tragen. Das verwendete Schema war raffiniert konstruiert: Der ursprünglich im Exposé ausgewiesene Kaufpreis wurde um exakt 25.000 Euro reduziert – genau jenen Betrag, den die Verkäuferin dem Makler als Provision schulden würde. Parallel dazu verpflichteten sich die Käufer gegenüber dem Makler zur Zahlung einer Gebühr in identischer Höhe von 25.000 Euro. Nach der notariellen Beurkundung des Kaufvertrags zahlten die Käufer diesen Betrag tatsächlich an das Maklerunternehmen, während die Verkäuferin keine Maklerprovision entrichtete.

Das Urteil sendet ein klares Signal an die Immobilienbranche, dass kreative Umgehungskonstruktionen des Halbteilungsgrundsatzes nicht geduldet werden.Diese Konstruktion führte dazu, dass die Käufer faktisch die gesamten Maklerkosten trugen, obwohl sie keinen eigenen Maklervertrag abgeschlossen hatten. Der Verkäufer blieb vollständig von jeglicher Zahlungsverpflichtung befreit, obwohl er den Makler beauftragt hatte. Die Käufer erkannten die Problematik dieser Vereinbarung und forderten das gezahlte Geld zurück. Während das Landgericht ihrer Klage vollumfänglich stattgab, reduzierte das Oberlandesgericht den Rückzahlungsanspruch auf die Hälfte des gezahlten Betrags, also 12.500 Euro.

Der Bundesgerichtshof korrigierte diese Entscheidung und stellte die ursprüngliche landgerichtliche Entscheidung wieder her. Die Richter betonten, dass die gesetzlichen Regelungen zur Maklercourtage nicht nur direkte Vereinbarungen zwischen Käufer und Verkäufer erfassen, sondern sämtliche Konstruktionen, durch die mittelbar oder unmittelbar Zahlungspflichten gegenüber Maklern begründet werden.

Besonders bedeutsam ist die Klarstellung, dass auch Vereinbarungen zwischen Maklern und Käufern unter die gesetzlichen Bestimmungen fallen, wenn diese nicht Vertragspartner des ursprünglichen Maklervertrags sind. Der Umstand, dass die Verkäuferin formal weiterhin zur Zahlung der Maklerprovision verpflichtet blieb, änderte nichts an der Bewertung, da sie im Innenverhältnis zu den Käufern vollständig entlastet wurde.

Die Entscheidung macht deutlich, dass Verstöße gegen den Halbteilungsgrundsatz zur kompletten Unwirksamkeit der gesamten Vereinbarung führen. Eine teilweise Aufrechterhaltung gibt es nicht. Käufer, die in vergleichbare Situationen geraten sind, können daher die vollständige Rückzahlung der geleisteten Maklergebühren verlangen. Das Urteil sendet ein klares Signal an die Immobilienbranche, dass kreative Umgehungskonstruktionen des Halbteilungsgrundsatzes nicht geduldet werden. Makler und Verkäufer müssen sich darauf einstellen, dass die gesetzlichen Vorgaben zur Kostenteilung strikt eingehalten werden müssen.

Urteil des Bundesgerichtshof vom 6.3.2025; AZ – I ZR 138/24 –

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Abfindung im Zugewinnausgleich: OLG Saarland stärkt Ausgleichsansprüche

Das Oberlandesgericht des Saarlandes hat mit seiner Entscheidung vom Januar 2022 eine wichtige Klarstellung zur Behandlung von Abfindungen im Zugewinnausgleich getroffen. Die Richter entschieden, dass eine Abfindung grundsätzlich bei der Vermögensaufteilung zwischen geschiedenen Ehepartnern berücksichtigt werden muss, wenn der Empfänger theoretisch einer Erwerbstätigkeit nachgehen könnte.

Der Fall aus dem Saarland verdeutlicht die komplexen Bewertungsfragen, die bei Scheidungsverfahren auftreten können. Ein Ehepaar hatte sich im Juli 2018 getrennt, nachdem der Ehemann bereits ein Jahr zuvor eine Abfindung von 90.000 Euro nach einem Aufhebungsvertrag mit seinem früheren Arbeitgeber erhalten hatte. Dieses Geld hatte er in einem Depot angelegt und lebte nach dem Auslauf seines Arbeitslosengeldes davon, ohne eine neue Beschäftigung aufzunehmen. Seine Planung sah vor, bis zu seinem Renteneintritt im Dezember 2023 von diesem Vermögen zu leben.

Als die Ehefrau im April 2019 beim Amtsgericht Neunkirchen den Zugewinnausgleich beantragte, stellte sich die entscheidende Frage: Muss das aus der Abfindung stammende Depot-Guthaben bei der Vermögensaufteilung berücksichtigt werden? Der Ehemann argumentierte, er benötige das gesamte Geld für seinen Lebensunterhalt und es stehe daher nicht für den Ausgleich zur Verfügung.

Zugewinn kann Vieles heißenDas Amtsgericht Neunkirchen sah dies anders und bezog das Guthaben in die Berechnung ein. Gegen diese Entscheidung legte der Ehemann Beschwerde beim Oberlandesgericht ein, jedoch ohne Erfolg. Die Richter bestätigten die erstinstanzliche Entscheidung und entwickelten dabei eine klare Rechtslinie für vergleichbare Fälle.

Die Kernaussage des Urteils lautet: Eine Abfindung fließt dann in den Zugewinnausgleich ein, wenn der Empfänger nicht zwingend auf dieses Geld angewiesen ist, um seinen Lebensunterhalt zu bestreiten. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn ihm die Möglichkeit offensteht, durch eigene Erwerbstätigkeit für seinen Unterhalt zu sorgen. Das Gericht stellte fest, dass der Ehemann durchaus hätte arbeiten können und ihm dies auch zumutbar gewesen wäre.

Besonders bedeutsam ist die zeitliche Komponente der Entscheidung. Das Oberlandesgericht betonte, dass spätestens nach Ablauf des Trennungsjahres eine Verpflichtung zur Erwerbstätigkeit besteht. Etwaige anders lautende Absprachen zwischen den Ehepartnern aus der Zeit vor der Trennung verlieren mit der Trennung ihre Wirkung. Die Trennung stellt insofern einen Wendepunkt dar, nach dem neue Maßstäbe gelten.

Diese Rechtsprechung hat weitreichende Folgen für die Praxis. Wer eine Abfindung erhält und gleichzeitig eine Scheidung durchlebt, kann nicht automatisch davon ausgehen, dass das gesamte Geld dem Zugriff des anderen Ehepartners entzogen bleibt. Entscheidend wird vielmehr die individuelle Prüfung sein: Ist eine Erwerbstätigkeit möglich und zumutbar? Wie hoch ist der tatsächliche Lebensbedarf? Welche Zeiträume sind realistisch zu betrachten?

Die Entscheidung zeigt auch, dass Gerichte genau hinschauen, wenn jemand behauptet, eine größere Geldsumme vollständig für den Lebensunterhalt zu benötigen. Die bloße Behauptung reicht nicht aus – es muss nachvollziehbar dargelegt werden, warum keine anderen Einkommensquellen erschlossen werden können.

Für Betroffene bedeutet dies: Eine frühzeitige rechtliche Beratung ist unerlässlich, um die Auswirkungen von Abfindungen auf spätere Scheidungsverfahren richtig einschätzen zu können. Sowohl die zeitliche Planung als auch die Verwendung solcher Gelder sollten wohlüberlegt erfolgen, da nachträgliche Korrekturen oft schwierig oder unmöglich sind.

Urteil des Oberverwaltungsgericht Saarland 11.01.2022; AZ – 6 UF 91/21 –

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Tierarzt schuldet Behandlung, aber keinen Behandlungserfolg

Das Amtsgericht München hat in einem Urteil vom November 2024 klargestellt, dass ein Tierarzt keinen Behandlungserfolg garantieren muss. Die Entscheidung vom November 2024 verdeutlicht die rechtliche Natur tierärztlicher Behandlungsverträge und zeigt, welche Pflichten Tierärzte gegenüber Tierhaltern haben.

Der Fall begann im März 2022, als eine fränkische Tierarztpraxis die beiden Pferde „Monty“ und „Striezi“ wegen akuter Lahmheiten behandelte. Die Praxis diagnostizierte bei beiden Tieren einen strukturellen Fesselträgerschaden und führte entsprechende Therapiemaßnahmen durch. Die Behandlungskosten beliefen sich auf insgesamt 1.741,97 Euro.

Der Pferdehalter aus München weigerte sich jedoch, die Rechnung zu bezahlen. Er argumentierte, die Diagnose sei falsch gewesen. Bei seinen Pferden habe kein Fesselträgerschaden vorgelegen, sondern lediglich eine leichte Flüssigkeitsansammlung um die Sehne – ein typischer Überlastungsschaden. Aufgrund dieser angeblichen Fehldiagnose sei auch die Behandlung nicht korrekt gewesen.

Bei einem tierärztlichen Behandlungsvertrag handelt es sich rechtlich um einen Dienstvertrag. Das bedeutet, dass der Tierarzt die fachgerechte Durchführung der medizinischen Behandlung schuldet – nicht aber einen bestimmten Heilungserfolg.Die Tierarztpraxis sah sich gezwungen, die offene Forderung gerichtlich geltend zu machen. Im Verfahren vor dem Amtsgericht München führte die Praxis aus, dass alle Leistungen fachgerecht erbracht worden seien. Das Gericht führte eine umfangreiche Beweisaufnahme durch, vernahm Zeugen und beauftragte einen Sachverständigen mit der Begutachtung des Falls.

Der gerichtlich bestellte Sachverständige kam zu einem eindeutigen Ergebnis: Die von der Tierarztpraxis dokumentierten Ultraschallbilder und klinischen Befunde belegten, dass sowohl bei „Monty“ als auch bei „Striezi“ tatsächlich behandlungsbedürftige Schäden der Fesselträgerstrukturen vorgelegen hatten. Die Diagnose der Tierärzte war demnach korrekt.

Das Gericht betonte in seinem Urteil einen wichtigen Grundsatz des Tierarztrechts: Bei einem tierärztlichen Behandlungsvertrag handelt es sich rechtlich um einen Dienstvertrag. Das bedeutet, dass der Tierarzt die fachgerechte Durchführung der medizinischen Behandlung schuldet – nicht aber einen bestimmten Heilungserfolg. Diese Unterscheidung hat erhebliche praktische Auswirkungen für beide Vertragsparteien.

Für Tierhalter bedeutet dies: Selbst wenn die Behandlung nicht zum gewünschten Erfolg führt, muss die tierärztliche Leistung bezahlt werden, solange sie fachgerecht durchgeführt wurde. Nur wenn ein grober Behandlungsfehler vorliegt, der die gesamte Leistung wertlos macht, kann die Zahlung verweigert werden. Die Beweislast für einen solchen schwerwiegenden Fehler trägt dabei der Tierhalter.

Im vorliegenden Fall konnte der Pferdehalter einen solchen Behandlungsfehler nicht nachweisen. Im Gegenteil: Die Beweisaufnahme bestätigte die korrekte Diagnose und Behandlung durch die Tierarztpraxis. Das Gericht verurteilte den Beklagten daher zur vollständigen Zahlung der Tierarztrechnung.

Das rechtskräftige Urteil unterstreicht die besondere Natur medizinischer Dienstleistungen im Veterinärbereich. Tierärzte können und müssen keine Heilungsgarantie abgeben. Ihre vertragliche Verpflichtung besteht darin, nach bestem Wissen und Können sowie nach den anerkannten Regeln der Veterinärmedizin zu handeln. Solange diese Standards eingehalten werden, besteht der Vergütungsanspruch auch dann, wenn das erhoffte Behandlungsergebnis ausbleibt.

Urteil des Amtsgericht München vom 14.11.2024; AZ – 275 C 14738/22 –

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Abmahnung als E-Mail-Anhang: Rechtlicher Zugang erst bei tatsächlicher Öffnung

Das Oberlandesgericht Hamm stellte in einer Entscheidung vom März 2022 klar, dass eine Abmahnung als E-Mail-Anhang erst dann rechtlich wirksam wird, wenn der Empfänger den Anhang auch tatsächlich öffnet. Das Gericht betonte dabei, dass niemand verpflichtet ist, Dateianhänge von unbekannten Absendern zu öffnen.

Der konkrete Fall betraf einen Internetversandhändler, der im März 2020 eine E-Mail mit einem anwaltlichen Abmahnschreiben erhielt. Das eigentliche Schreiben befand sich ausschließlich in einer PDF-Datei namens „2020000067EU12894.pdf“, die der E-Mail angehängt war. Die E-Mail selbst enthielt lediglich ein Aktenzeichen im Betreff und einen kurzen Verweis auf die beigefügten Dokumente. Der Händler bestritt später im Rechtsstreit, die E-Mail überhaupt erhalten zu haben.

Das Oberlandesgericht Hamm entwickelte in seiner Entscheidung wichtige Grundsätze für den elektronischen Geschäftsverkehr. Demnach reicht das bloße Ankommen einer E-Mail mit Dateianhang im Posteingang nicht aus. Der rechtliche Zugang – die Zustellung – tritt erst ein, wenn der Empfänger den Anhang tatsächlich öffnet und damit die Möglichkeit erhält, vom Inhalt Kenntnis zu nehmen.

Diese Rechtsprechung berücksichtigt die berechtigten Sicherheitsbedenken im digitalen Zeitalter. Das Gericht verwies ausdrücklich auf die regelmäßigen Warnungen vor Schadsoftware, Viren und Malware, die über E-Mail-Anhänge verbreitet werden. Empfänger müssen daher nicht das Risiko eingehen, unbekannte Dateianhänge zu öffnen, nur um mögliche rechtliche Dokumente zur Kenntnis zu nehmen.

Sicherheitsbedenken bei der E-Mail-Nutzung finden zunehmend auch in der juristischen Bewertung angemessene Berücksichtigung.Die Entscheidung hatte konkrete Folgen für den vorliegenden Fall. Das Gericht hob eine zuvor erlassene einstweilige Verfügung auf, da das Abmahnschreiben dem Empfänger nie rechtswirksam zugegangen war. Der Versandhändler konnte sich erfolgreich darauf berufen, dass er den verdächtig benannten Dateianhang aus Sicherheitsgründen nicht geöffnet hatte.

Diese Rechtsprechung stärkt die Position von E-Mail-Empfängern erheblich. Unternehmen und Privatpersonen können sich darauf verlassen, dass sie nicht verpflichtet sind, jeden Dateianhang von unbekannten Absendern zu öffnen. Das bloße Vorhandensein einer E-Mail im Posteingang begründet noch keine Kenntnisnahme des Inhalts.

Für Versender von Abmahnungen bedeutet das Urteil, dass sie ihre Kommunikationsstrategie grundlegend überdenken müssen. Wollen sie sicherstellen, dass ihre Rechtsschreiben tatsächlich rechtswirksam werden, sollten sie wichtige Informationen bereits im E-Mail-Text selbst mitteilen oder alternative Übermittlungswege wählen.

Das Urteil macht deutlich, dass zwischen dem technischen Empfang einer E-Mail und der rechtlichen Zustellung ihrer Inhalte zu unterscheiden ist. Während die E-Mail durchaus im Postfach angekommen sein mag, entfaltet das darin enthaltene Abmahnschreiben erst dann rechtliche Wirkung, wenn der Adressat tatsächlich Kenntnis vom Inhalt erlangen konnte.

Die Entscheidung des Oberlandesgerichts Hamm zeigt exemplarisch, wie sich das Recht an die Realitäten der digitalen Kommunikation anpasst. Sicherheitsbedenken bei der E-Mail-Nutzung finden zunehmend auch in der juristischen Bewertung angemessene Berücksichtigung. Empfänger sind nicht mehr schutzlos unbekannten Dateianhängen ausgeliefert.

Beschluss des Oberlandesgericht Hamm vom 9.3.2022; AZ – 4 W 119/20 –

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Transitvisum: Informationspflicht für Online-Reiseportale

Das Oberlandesgericht Frankfurt am Main stärkt die Rechte von Reisenden gegenüber Online-Buchungsplattformen in einer bedeutsamen Entscheidung zum Thema „Transitvisum: Informationspflicht“. Die Richter entschieden, dass Reisevermittlungsportale künftig über die Notwendigkeit von Durchreisegenehmigungen informieren müssen, wenn Flüge Zwischenstopps in Drittländern vorsehen.

Der konkrete Fall verdeutlicht die praktischen Auswirkungen fehlender Informationen: Eine Familie buchte über ein Online-Portal einen Flug von Zürich nach Auckland mit einem Zwischenstopp in Los Angeles. Das Reiseportal versäumte es, die Buchenden über die erforderliche ESTA-Durchreisegenehmigung für die USA zu informieren. Am Abreisetag verweigerte die Fluggesellschaft der gesamten Familie den Zutritt zum Flugzeug, da die notwendige Autorisierung fehlte.

Die Entscheidung des Oberlandesgerichts etabliert klare Grundsätze für die Informationspflichten von Reisevermittlern. Wenn der gesamte Buchungsvorgang ausschließlich über die Internetseite des Portals abläuft, trägt der Vermittler die Verantwortung, alle wesentlichen Informationen bereitzustellen. Dazu gehören explizit Hinweise auf erforderliche Durchreisegenehmigungen bei Zwischenstopps in Drittländern.

Klare Grundsätze für die Informationspflichten von Online-Reisevermittlern Das Gericht betonte in seiner Urteilsbegründung, dass Durchschnittsreisende bei Flugbuchungen zwar an Visumserfordernisse für das Zielland denken, jedoch nicht automatisch an Transitgenehmigungen für reine Zwischenstopps. Diese Wissenslücke führt zu einem erheblichen Informationsgefälle zwischen Verbrauchern und professionellen Reisevermittlern.

Besonders gewichtig bewerteten die Richter die praktischen Konsequenzen fehlender Informationen. Die Durchführbarkeit einer Reise beeinflusst naturgemäß die Auswahlentscheidung zwischen verschiedenen Flugrouten. Reisende mit kurzfristigem Reiseantritt können möglicherweise nicht mehr rechtzeitig die erforderlichen Genehmigungen beantragen. Zusätzlich beeinflussen die Kosten für Transitvisa oft die Entscheidung für bestimmte Verbindungen.

Die rechtliche Bewertung stützt sich auf das Wettbewerbsrecht. Das Gericht klassifizierte das Verhalten des Reiseportals als wettbewerbswidrig, da es Reisedienstleistungen ohne wesentliche Informationen anbot. Transitgenehmigungen stellen keine nebensächlichen Details dar, sondern wesentliche Voraussetzungen für die Durchführung der gebuchten Reise.

Ein Verbraucherverband hatte die Klage gegen das Reiseportal eingereicht und damit stellvertretend für betroffene Reisende gehandelt. Das Landgericht hatte bereits in erster Instanz zugunsten der Verbraucherrechte entschieden. Die Berufung des Reiseportals scheiterte vor dem Oberlandesgericht.

Die Entscheidung schafft wichtige Präzedenzwirkung für die gesamte Reisebranche. Online-Buchungsplattformen müssen ihre Informationspolitik überprüfen und erweitern. Pauschale Hinweise auf mögliche Transitvisum-Erfordernisse werden künftig als Mindeststandard erwartet.

Für Reisende bedeutet das Urteil erhöhte Rechtssicherheit bei Online-Buchungen. Die Entscheidung ist allerdings noch nicht rechtskräftig, da das Reiseportal eine Nichtzulassungsbeschwerde beim Bundesgerichtshof einreichen kann. Dennoch signalisiert die Entscheidung eine klare Richtung für verbraucherfreundliche Standards in der digitalen Reisevermittlung.

Urteil des Oberlandesgericht Frankfurt am Main vom 20.1.2025; AZ – 6 U 154/24 –

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