Vorrang und Spurwahl: Regelung für Abbiegevorgängen bei mehrspurigen Straßen

In der Praxis des Straßenverkehrs kommt es häufig zu Situationen, in denen Verkehrsteilnehmende vor der Herausforderung stehen, die Regeln des Vorrangs – insbesondere beim Abbiegen – richtig zu interpretieren. Ein Fall, der vor dem Oberlandesgericht Saarbrücken verhandelt wurde, beleuchtet die Komplexität der Vorrangregelungen von Abbiegevorgängen bei mehrspurigen Straßen. Das Urteil vom Oktober 2023 wirft Licht auf die Bedeutung der genauen Kenntnis und Einhaltung der Straßenverkehrsordnung (StVO) für alle Verkehrsteilnehmer.

Im April 2021 ereignete sich in Saarbrücken ein Verkehrsunfall an einer Kreuzung, bei dem zwei Fahrzeuge beteiligt waren. Ein Autofahrer beabsichtigte nach rechts abzubiegen und wählte für seine Weiterfahrt die linke von mehreren Fahrspuren. Gleichzeitig unternahm ein entgegenkommender Verkehrsteilnehmer einen Linksabbiegevorgang in die gleiche Fahrspur – in der irrigen Annahme, der rechts Abbiegende würde sich für die rechte Fahrspur entscheiden. Diese Fehleinschätzung in schwieriger Situation führte zu einem Zusammenstoß, der dann später rechtlich zu beurteilen war.

Vorrangregelungen von Abbiegevorgängen bei mehrspurigen Straßen. Das Landgericht Saarbrücken wies die Schadensersatzforderung des Linksabbiegers ab, eine Entscheidung, die durch die Berufung beim Oberlandesgericht Saarbrücken bestätigt wurde. Die Richter stellten klar, dass der Linksabbieger eine bestehende Wartepflicht verletzt hatte. Die entscheidende Erkenntnis aus dem Urteil ist, dass beim Abbiegen in Straßen mit mehreren Fahrspuren kein Verlass darauf besteht, dass ein entgegenkommender Abbieger die für ihn vermeintlich „richtige“ Spur wählt. Tatsächlich umfasse der Vorrang des Rechtsabbiegers auch die Freiheit, zwischen mehreren Fahrspuren zu wählen, ohne dass dies als Fahrstreifenwechsel im Sinne eines Verstoßes gegen die StVO angesehen wird, so das Saarbrücker Gericht.

Einschränkend wurde dem Rechtsabbieger ein Sorgfaltsverstoß angelastet, da er den Zusammenstoß hätte vorhersehen und hätte auf typischen mehrspurigen Straßen seine Fahrweise anpassen müssen. Trotzdem fiel die Haftungsverteilung überwiegend zu Ungunsten des Linksabbiegers aus, was die Bedeutung der Vorrangregelungen und die Notwendigkeit einer umsichtigen Fahrweise unterstreicht.

Der Fall verdeutlicht erneut, dass im Straßenverkehr eine hohe Aufmerksamkeit und Kenntnis der geltenden Vorschriften essentiell sind. Es zeigt sich, dass die Annahmen über das Verhalten anderer Verkehrsteilnehmender jederzeit kritisch zu hinterfragen sind und stets eine defensive Fahrweise angewendet werden sollte, um Unfälle zu vermeiden.

Oberlandesgericht Saarbrücken, Urteil vom 20.10.2023; AZ – 3 U 49/23 –

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Umfassendes Radfahrverbot bei Alkoholmissbrauch möglich: Rechtsgrundlagen und Konsequenzen

In Deutschland regelt bekanntlich die Straßenverkehrsordnung (StVO) das Verhalten aller Verkehrsteilnehmer, einschließlich der Radfahrer. Obwohl für das Fahrradfahren keine spezifische Fahrerlaubnis erforderlich ist, können Radfahrer unter bestimmten Umständen mit einem Fahrverbot belegt werden. Ein Radfahrverbot tritt vor allem dann in Kraft, wenn durch das Verhalten des Radfahrers die Verkehrssicherheit gefährdet wird.

Ein solches Verbot wird meist bei gravierenden Verstößen gegen die StVO ausgesprochen. Zu diesen Verstößen gehören unter anderem Trunkenheitsfahrten, das Missachten von Ampelsignalen oder das Befahren der falschen Fahrbahnseite. Ebenso kann die Benutzung eines technisch nicht verkehrssicheren Fahrrads ein Fahrverbot nach sich ziehen.

Die Folgen eines Fahrverbots sind erheblich. Es bedeutet, dass die betroffene Person temporär nicht am Straßenverkehr teilnehmen darf. Wer ein Radfahrverbot ignoriert, riskiert Bußgelder bis zu 1.000 Euro und weitere rechtliche Konsequenzen.

Radfahrverbot bei Alkoholmissbrauch möglich: RechtsgrundlagenEin Urteil aus Niedersachsen vom August 2023 illustriert die Ernsthaftigkeit solcher Bestimmungen. Ein Radfahrer wurde mit einer Blutalkoholkonzentration von 1,95 Promille aufgegriffen. Ein daraufhin erstelltes medizinisch-psychologisches Gutachten bestätigte eine hohe Wahrscheinlichkeit der Wiederholung ähnlicher Vorfälle. Daraufhin verhängten die Behörden ein sofortiges Fahrverbot. Die rechtliche Grundlage für dieses Verbot findet sich in § 3 FeV (Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr).

Das Oberverwaltungsgericht Lüneburg bestätigte die Rechtmäßigkeit des Verbots und betrachtete es als angemessene Maßnahme. Die Richter stellten fest, dass Radfahrer mit einer Blutalkoholkonzentration über 1,6 Promille als nicht fahrtüchtig gelten. Das Gericht unterstrich, dass das Verbot eine geringe Eingriffsintensität aufweist, da die betroffene Person generell weniger auf das Fahrrad als auf ein Kraftfahrzeug angewiesen ist.

Das Urteil zeigt ganz deutlich, dass auch Radfahrer bei nicht konformer Verkehrsteilnahme mit ernsthaften rechtlichen Folgen rechnen müssen. Es verdeutlicht zudem, dass die Verantwortung für die Verkehrssicherheit nicht nur bei Autofahrern, sondern auch bei Fahrradfahrern liegt. Um Punkte in Flensburg oder mit dem Fahrrad ein Fahrverbot zu erhalten, muss kein Führerschein vorliegen. Selbst Radfahrer ohne eine Fahrerlaubnis können ein Fahrverbot erhalten.

Das Radfahrverbot ist eine wichtige Maßnahme zur Sicherstellung der Verkehrssicherheit, das allzu oft eher leichtfertig als „sicher“ bei Alkoholgenuss interpretiert wird. Das Urteil betont jedoch erkennbar, dass das Verkehrsrecht eben alle Verkehrsteilnehmer umfasst und auch vermeintlich „schwache“ durchaus nicht von Strafen, Bußgeldern und Fahrverboten ausgenommen sind.

Urteil des Oberverwaltungsgericht Lüneburg vom 23.8.2023; AZ– 12 ME 93/23 –

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Entzug der Fahrerlaubnis: Neue Maßstäbe bei der Bewertung von Schäden nach Unfallflucht

Unfallflucht, ein Verhalten, das oftmals schwerwiegende rechtliche Konsequenzen nach sich zieht, wird in der Rechtspraxis kontinuierlich diskutiert und neu bewertet. Insbesondere die Frage, wann ein Schaden als „bedeutend“ einzustufen ist und somit den Entzug der Fahrerlaubnis rechtfertigt, steht im Mittelpunkt gerichtlicher Entscheidungen.

Ein kürzlich verhandelter Fall in Hamburg veranschaulicht die Komplexität dieser Thematik. Hierbei verursachte eine PKW-Fahrerin auf einem Parkplatz einen Schaden an einem anderen Fahrzeug und verließ den Unfallort, obwohl sie den Vorfall bemerkt hatte. Die Reparaturkosten wurden auf etwa 1.600 Euro geschätzt. Das Amtsgericht Hamburg entzog der Fahrerin vorläufig die Fahrerlaubnis, woraufhin sie Beschwerde einlegte.

Bewertung von Schäden nach Unfallflucht.In seiner Entscheidung vom August 2023 hob das Landgericht Hamburg die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis auf, da es den Schaden nicht als „bedeutend“ im Sinne der rechtlichen Vorschriften ansah. Hierbei ist zu beachten, dass die Definition eines „bedeutenden Schadens“ bei Unfallflucht variabel und von der aktuellen Rechtsprechung abhängig ist. Während früher Schäden ab etwa 1.300 Euro oder 1.500 Euro als bedeutend angesehen wurden, hat sich die Wertgrenze durch die fortschreitende Entwicklung der Reparaturkosten und die Einkommensentwicklung nach oben verschoben. Das Landgericht Hamburg setzte diese Grenze nun bei mindestens 1.800 Euro an.

Diese Entscheidung verdeutlicht, wie sich wirtschaftliche Entwicklungen auf die Rechtsprechung auswirken können. Die Anhebung der Wertgrenze für einen bedeutenden Schaden spiegelt die die allgemeine wirtschaftliche Situation wider. Dies war der herausstechende Grund die Fahrerlaubnis der betroffenen PKW-Fahrerin nicht zu entziehen, da die geschätzten Reparaturkosten von 1.600 Euro die neu festgesetzte Grenze nicht überschritten. Folgt man den Richtern, so wird grundsätzlich deutlich, dass die Beurteilung der Schadensbedeutung sich an den Reparaturkosten- und der allgemeinen Einkommensentwicklung orientiert und auch orientieren soll.

Für Betroffene und ihre Rechtsbeistände ist es daher essenziell, stets die aktuellsten Entscheidungen und deren Auswirkungen im Blick zu haben.

Landgericht Hamburg, Beschluss vom 9.8.2023; AZ – 612 Qs 75/23 –

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Fahrradsturz durch losgerissenen Hund: Schmerzensgeld ist angemessen

„Der tut nix!“ „Der will nur spielen“ – Aussagen wie diese, hört man immer wieder, wenn es zu Begegnungen mit Hundebesitzern kommt. Leider überschätzen sich aber immer wieder Menschen, die denken, dass sie wissen, wie sich ihr Hund verhält. Die Realität ist leider oft anders. Verursacht etwa ein sich losreißender Hund den Sturz eines Fahrradfahrers, haftet der Halter des Hundes aus Gründen der sogenannten Tiergefahr für die erlittenen Schäden. Das Oberlandesgericht Frankfurt am Main bestätigte in einem Beschluss vom Dezember 2022 die Verurteilung zu einem Schmerzensgeld in Höhe von 7.000 Euro angesichts von ärztlich bestätigten Beeinträchtigungen.

Der betroffene Fahrradfahrer befuhr neben seiner Lebensgefährtin nachmittags einen Rad- und Fußweg zwischen Frankfurt am Main und Hanau. Der Beklagte befand sich mit seiner Hündin oberhalb dieses Weges, als dieser sich losriss und von rechts auf den Rad- und Fußweg rannte. Der Kläger stürzte und verletzte sich am rechten Arm und der rechten Hand. Er verlangte daraufhin vom Hundebesitzer Schmerzensgeld in Höhe von mindestens 15.000 Euro sowie Erstattung entstandener Kosten. Das Landgericht hatte nach Zeugenvernehmung und Einholung eines Sachverständigengutachtens den Beklagten zur Zahlung eines Schmerzensgelds in Höhe von 7.000 Euro verurteilt sowie teilweiser Erstattung der geltend gemachten Kosten. Ein Halter eines Hundes haftete aus Gründen der sogenannten Tiergefahr für die erlittenen Schäden und muss u.U. ein entsprechendes Schmerzensgeld zahlen.

Das war dem Kläger jedoch nicht ausreichend und er versuchte – ohne Erfolg – vor dem Oberlandesgericht weiteres Schmerzensgeld in Höhe von 8.000 Euro zu bekommen. Das Landgericht habe hier zu Recht auf Basis der durch Sachverständige bestätigten Beeinträchtigungen das Schmerzensgeld richtig bemessen. Die geltend gemachten, nicht unerheblichen Beeinträchtigungen der Beweglichkeit am rechten Ellbogen waren von Ärzten nicht bestätigt worden. Daher seien die vom Kläger angeführten Schmerzen bei alltäglichen Abläufen wie dem An- und Ausziehen nicht nachvollziehbar.

Der Kläger sei durch die erlittenen Beeinträchtigungen in seinen Aktivitäten und seiner Lebensführung stellenweise auf Dauer eingeschränkt, so die Richter. Durch den Sturz sei daher durchaus ein erheblicher Verlust an Lebensqualität eingetreten, da der Kläger nicht mehr seine Freizeitsportarten, insbesondere Motorrad- und sportliches Fahrradfahren, ausüben könne. Dies habe das Landgericht bei der Bemessung des Schmerzensgeldes aber angemessen berücksichtigt.

Dabei habe das Landgericht allerdings auch zu Recht auch in die Bewertung einfließen lassen, dass kein vorsätzliches Handeln des beklagten Hundebesitzer vorgelegen habe.

Oberlandesgericht Frankfurt am Main, Urteil vom 20.12.2022; AZ – 11 U 89/21 –

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Räum- und Streupflicht bei ernsthafter lokaler Glättegefahr

Wann genau gilt eine Pflicht für einen Winterdienst mit Räumen und Streuen? Ist auch eine lokale Glätte bereits ein Kriterium und kann eine Missachtung mit Folgen für daraufhin durch Stürze verletzte Bürger gar zu Schmerzensgeldansprüchen führen? Eine allgemeine Glättegefahr sei nicht Voraussetzung für Winterdienstpflicht, befand jedenfalls das Berliner Kammergericht im Dezember 2022.

Die winterliche Räum- und Streupflicht gelte nicht erst dann, wenn eine allgemeine Glätte vorliegt, sondern bereits bei einer ernsthaften lokalen Glätte. Dies gelte auch für einen Dritten, der die Winterdienstpflicht für den primär Verantwortlichen übernommen hat, so die Entscheidung des Kammergericht.

Wie kam es zu diesem Urteil? Gegen 11 Uhr an einem Tag im Dezember 2020 kam eine etwa 69-jährige Frau auf einem Klinikgelände in Berlin wegen Glatteises zu Fall und verletzte sich. Das gesamte Gelände war wegen Glätte rutschig und nicht gestreut worden, wobei die Winterdienstpflicht war auf eine Firma übertragen worden war. Die Frau klagte gegen die Trägerin der Klinik und die Winterdienstfirma auf Zahlung von Schmerzensgeld in Höhe von 20.000 Euro.

Auch bei lokaler Glättegefahr besteht die Pflicht für einen angemessenen WinterdienstDas zunächst angerufene Landgericht Berlin wies die Klage ab. Seiner Auffassung nach komme allein eine Haftung der Winterdienstfirma in Betracht. Eine Haftung sei aber ausgeschlossen, da die Klägerin nicht dargelegt habe, dass am Unfalltag allgemeine Glättegefahr in Berlin herrschte und für die Beklagte konkrete Anhaltspunkte für eine Gefahr aufgrund einzelner Glättestellen bestanden habe.

Das Kammergericht in der nächsten Instanz erkannte, dass der Frau ein Anspruch auf Schmerzensgeld zustehe. Die beklagte Winterdienstfirma habe die Verkehrssicherungspflicht verletzt. Es komme dabei nicht darauf an, ob eine allgemeine Glätte herrschte. Denn die Beweisaufnahme habe gezeigt, dass seit gut 9 Uhr an diesem Tag bis zum Unfallzeitpunkt das Gelände der Klinik verreist und deshalb sehr rutschig war. Die Beklagte hätte daher spätestens um 10 Uhr streuen müssen.

Von dem beklagten Winterdienst könne sicher nicht verlangt werden, an einem Tag, an dem keine allgemeine Glätte herrscht, sämtliche Flächen in ihrem Winterdienstgebiet vorsorglich auf ernsthafte lokale Glättegefahren hin zu kontrollieren. Dies sei für den vorliegenden Fall aber unerheblich. Denn die primär Streupflichtige vor Ort hätte spätestens um 10 Uhr auf die ernsthafte Glättegefahr reagieren müssen und die Firma benachrichtigen.

Das Kammergericht erkannte darüber hinaus ein Schmerzensgeld in Höhe von 5.000 € für angemessen, da die Klägerin für mehrere Tage über Weihnachten in ambulanter Behandlung war, sich operieren lassen musste und danach über mehrere Monate einen schwierigen Heilungsverlauf erdulden musste. Sie musste sich zudem Reha-Maßnahmen unterziehen und war über mehrere Wochen auf eine Gehhilfe angewiesen.

Kammergericht Berlin, Urteil vom 6.12.2022; AZ – 21 U 56/22 –

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Radfahrer muss vor dem Linksabbiegen ein deutliches Handzeichnen geben

Möchte ein Radfahrer nach links in ein Grundstück einbiegen, so muss er sich gemäß der StVO zur Fahrbahnmitte einordnen und eine zweite Rückschau vornehmen. Gibt er dabei zwar kein erkennbares Handzeichen, so liegt für einen zur Überholung ansetzenden Autofahrer trotzdem keine unklare Verkehrslage vor. Im vorliegend Fall war die Sachlage jedoch uneindeutig. Dies hat das Oberlandesgericht Düsseldorf im Dezember 2021 zu Ungunsten des klagenden Radfahrer entschieden.

Das Landgericht Duisburg entschied zunächst, dass die Beklagten (Autofahrer und dessen Versicherung) zu zwei Dritteln für die Unfallfolgen haften. Die Beweisaufnahme habe ergeben, dass sich der Kläger vor dem Abbiegen zwar nicht zur Fahrbahnmitte eingeordnet und keine zweite Rückschau vorgenommen habe, er aber ein Handzeichen gegeben habe. Radfahrer steht kein Anspruch auf Schadensersatz zuAus diesem Grund habe für den Beklagten eine klare Situation vorgelegen, so dass er nicht zum Überholen des Radfahrers hätte ansetzen dürfen. Gegen diese Entscheidung richtete sich die Berufung der Beklagten beim OLG.

Was war passiert? 2018 kam es in einer Stadt in Nordrhein-Westfalen zu einem Verkehrsunfall zwischen einem Radfahrer und einem Autofahrer. Der Radfahrer befuhr eine Straße (kein Radweg!) und wollte nach links auf den Parkplatz eines Baumarktes abbiegen. Zur gleichen Zeit setzte ein von hinten kommender Autofahrer zum Überholen an. Es kam zu einer Kollision. Der Radfahrer klagte gegen den Autofahrer und dessen Haftpflichtversicherung auf Zahlung von Schadensersatz.

Das Oberlandesgericht verneinte den Schadensersatzanspruch des Klägers und entschied zu Gunsten der Beklagten. Dem Kläger stehe kein Anspruch auf Schadensersatz zu, da er den Unfall allein verschuldet habe. Entgegen der Entscheidung in der ersten Instanz habe keine unklare Verkehrslage vorgelegen, so die Düsseldorfer Richter. Es sei nicht nachgewiesen worden, dass der Kläger vor dem Abbiegen ein Handzeichen gegeben habe. Die entsprechende Behauptung wurde von den Beklagten bestritten. Der fehlende Nachweis gehe daher zu Lasten des Klägers.

Oberlandesgericht Düsseldorf, Urteil vom 7.12.2021; AZ – 1 U 216/20 –

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Mitverschulden der Radfahrer: Sturz über quer zum Radweg liegendes gut erkennbares Erdkabel

Radfahrer können sich nicht darauf verlassen, dass jegliche Hindernisse für sie beseitigt werden oder alle Gefahren ausgeräumt werden. Für alle Radfahrer gilt zudem das Sichtfahrgebot. Der Klägerin sei daher vorzuwerfen, dass sie trotz dessen, dass das Kabel weder schwer erkennbar noch überraschend war, mit unverminderter Geschwindigkeit weiterfuhr. Das geht aus einem Urteil des Oberlandesgericht Hamm vom Juni 2021 hervor.

In aller Konsequenz bedeutet es dann auch, wenn ein Radfahrer über ein gut erkennbares quer zum Radweg liegendes Erdkabel stürzt, dieses ein Mitverschulden von 50 Prozent begründet.

Was genau führte zu diesem Urteil des OLG Hamm? 2018 stürzte eine Radfahrerin über ein quer zum Radweg liegendes 4 cm dickes Erdkabel. Das Kabel wurde unter Einsatz eines Baggers aus dem Boden gezogen. Befand sich das Kabel zunächst einige Meter am Rad des Radwegs, so lag es später 20 m quer über den Rad- und Gehweg. Eine Warnung durch einen Mitarbeiter oder ein Hinweisschild gab es nicht. Für alle Radfahrer gilt das Sichtfahrgebot.

Aufgrund der durch den Sturz erlittenen Verletzungen klagte die Radfahrerin auf Zahlung von Schmerzensgeld. Die Radfahrerin erlitt einen handgelenksnahen Speichenbruch, Prellungen an beiden Knie sowie trotz getragenen Helms Prellungen am Kopf und der Halswirbelsäule. Durch die Verletzungen verblieb eine posttraumatische Arthrose am linken Handgelenk. Zudem hatte sie anschließend beim Bewältigen längerer Strecken zu Fuß Probleme.

Das zuvor angerufene Landgericht Essen sprach der Klägerin unter Berücksichtigung eines Mitverschuldens in Höhe von 50 Prozent ein Schmerzensgeld von 3.000 Euro zu. Gegen diese Entscheidung legte die Radfahrerin Berufung ein. Sie wollte ein höheres Schmerzensgeld. Das Oberlandesgericht bestätigte jedoch die Entscheidung des Landgerichts. Der Klägerin stehe kein höheres Schmerzensgeld zu, der Betrag sei angemessen.

Das beklagte Bauunternehmen hafte wegen des Unfalls ebenfalls zu 50 Prozent, denn dessen Mitarbeiter hätten die Sicherstellung des seitlichen Kabelverlaufs oder zumindest eine Warnung herannahender Radfahrer pflichtwidrig unterlassen. Sie hätten nicht darauf vertrauen dürfen, dass Radfahrer jegliche von dem losen und daher potenziell rollenden Kabel ausgehende Gefahren selbst rechtzeitig begegnen können. So sei letztlich die  50:50-Haftung angemessen.

Oberlandesgericht Hamm, Urteil vom 25.6.2021; AZ – 7 U 89/20 –

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Haftung bei Unfall auf Parkplatz eines Baumarktes auf 50:50 festgelegt

In den Fahrgassen eines Parkplatzes, die vor allem der Parkplatzsuche dienen und wo man nicht von fließendem Verkehr sprechen kann, gilt nicht die Vorfahrtsregel „rechts vor links“. Die Fahrer auf einem Baumarktparkplatz sind vielmehr verpflichtet, defensiv zu fahren und die Verständigung mit dem anderen Fahrer zu suchen. Das Oberlandesgericht Frankfurt am Main (OLG) hat mit einem Urteil vom Juni 2022 daher eine Haftung für Unfallfolgen von 50:50 festgelegt.

Der Betreiber eines Baumarkts hatte für seinen Parkplatz die Geltung der StVO angeordnet. Auf die zur Ausfahrt des Parkplatzgeländes führende Fahrgasse münden von rechts mehrere Fahrgassen ein. Der Beklagte befuhr eine davon, an deren beiden Seiten sich im rechten Winkel angeordnete Parkboxen befanden. Auch die zur Ausfahrt führende Fahrgasse verfügte im linken Bereich über Parkboxen. Im Einmündungsbereich der Fahrgassen kam es zum Zusammenstoß.

Eine Haftung für Unfallfolgen beträgt 50:50Das Landgericht hatte der Klage auf Basis einer Haftung des Beklagten von 25 Prozent stattgegeben. Die Berufung des Klägers führte zu einer Abänderung der Haftungsquote auf 50 Prozent Maßgeblich für die Höhe der Schadensersatzverpflichtung des Beklagten sei, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder anderen Teil verursacht worden sei, betonte das OLG. So  seien hier die Anteile als gleichgewichtig anzusehen und der durch den Unfall verursachte Schaden daher zu teilen.

Der Beklagte könne nicht geltend machen, dass sein Vorfahrtsrecht verletzt wurde. Zwar seien die Regeln der Straßenverkehrsordnung auf öffentlich zugänglichen Privatparkplätzen grundsätzlich anwendbar – Fahrgassen auf Parkplätzen jedoch keine dem fließenden Verkehr dienenden Straßen. „Kreuzen sich zwei dem Parkplatzsuchverkehr dienende Fahrgassen eines Parkplatzes…, gilt für die herannahenden Fahrzeugführer das Prinzip der gegenseitigen Rücksichtnahme…, d.h. jeder Fahrzeugführer ist verpflichtet, defensiv zu fahren und die Verständigung mit dem jemals anderen Fahrzeugführer zu suchen“, so ganz unmissverständlich die Entscheidung des Frankfurter OLG.

Etwas Anderes gelte nur, wenn die angelegten Fahrspuren eindeutig und unmissverständlich Straßencharakter hätten und sich bereits aus ihrer baulichen Anlage ergebe, dass sie nicht der Suche von freien Parkplätzen dienten, sondern der Zu- und Abfahrt der Fahrzeuge. Für einen solchen Straßencharakter könne etwa die Breite der Fahrgassen sprechen oder auch bauliche Merkmale einer Straße wie Bürgersteige, Randstreifen oder Gräben. Derartige straßentypische Merkmale fehlten hier.

Oberlandesgericht Frankfurt am Main, Urteil vom 22.6.2022; AZ – 17 U 21/22 –

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„Nachtrunk“ bei Verkehrsunfällen befreit Versicherung von der Pflicht zu zahlen

Die Geschichte kommt einem sehr bekannt vor – und tatsächlich ist das Thema „Nachtrunk“ kein neues. Immer wieder stellt sich die Frage, wie die damit verbundenen Aussagen zu bewerten sind, und dies nicht nur nach dem Verkehrsrecht, sondern auch vor allem in Hinsicht auf Ausgleichszahlungen der haftenden Versicherung.

Kommt es zu einem Unfall, ist eine KFZ-Versicherung darauf angewiesen, von ihrem Versicherungsnehmer umfassend über den Hergang informiert zu werden. Verstößt der Versicherungsnehmer dagegen, kann dies im Einzelfall dazu führen, dass die Versicherung von ihrer Leistungspflicht befreit ist. Dies hat das Oberlandesgericht Braunschweig im April 2022 entschieden.

Der Kläger fuhr im zu entscheidenden Fall mit seinem Auto mit 20 km/h gegen eine Laterne. Er wartete nicht an der Unfallstelle, sondern begab sich zu dem nahegelegenen Haus seiner Eltern. Die Eltern nahmen die Polizeibeamten am Unfallort in Empfang. Der Kläger behauptete, nach dem Unfall 0,7 l Wodka getrunken und sich schlafen gelegt zu haben. Die von der Polizei etwa 1,5 Stunden nach dem Unfall entnommene Blutprobe wies 2,79 Promille auf. Mit seiner Klage wollte er den Ersatz der an seinem Fahrzeug entstandenen Schäden sowie die Zahlung der Reparaturkosten für die Laterne erreichen. Die beklagte Versicherung lehnte dies aufgrund der erheblichen Alkoholisierung des Klägers ab. Den behaupteten „Nachtrunk“ erachtete sie nicht als plausibel und hinreichenden Grund für eine entsprechende Zahlung.„Nachtrunk“ bei Verkehrsunfällen

Im Landgericht Braunschweig sah man die Lage ähnlich: Es sei aufgrund des gesamten Akteninhalts und der erhobenen Beweise von einer alkoholbedingten absoluten Fahruntüchtigkeit des Klägers im Zeitpunkt des Unfalls auszugehen. Nach den vereinbarten Versicherungsbedingungen bestehe danach kein Versicherungsschutz. Der Kläger legte gegen diese Entscheidung Berufung mit der Begründung ein, der seitens des Gerichts bestellte Gutachter habe letztendlich nicht ausschließen können, dass der Kläger im Zeitpunkt des Unfalls nüchtern gewesen sei.

Das anschließend angerufene Oberlandesgericht sah jedoch keine Veranlassung weiter aufzuklären, ob der Kläger das Fahrzeug alkoholisiert geführt habe, oder ob der hohe Blutalkoholwert auf einen „Nachtrunk“ zurückzuführen sei. Vielmehr sei zu berücksichtigen, dass der Kläger aufgrund des geltenden Versicherungsvertrages verpflichtet sei, alles zu tun, was der Aufklärung des Schadens dient. Die Auskunftspflicht erschöpft sich dabei nicht nur in der bloßen Weitergabe von Informationen, sondern erfasse auch das Verhalten am Unfallort.

So dürfe der Verkehrsteilnehmer nicht etwa den Unfallort verlassen, ohne die erforderlichen Feststellungen zum Beispiel zum Drogen- und Alkoholkonsum zu ermöglichen. Der Versicherer muss die Möglichkeit haben, sämtliche mit dem Schadensereignis zusammenhängenden Tatsachen zu überprüfen. Dies hat der Kläger mit seinem behaupteten „Nachtrunk“ vereitelt. Eine verlässliche Bestimmung der Blutalkoholkonzentration zum Unfallzeitpunkt, die in diesem Fall am Unfallort routinemäßig zu erwarten gewesen wäre, war nicht ja mehr möglich.

Entscheidung des Oberlandesgericht Braunschweig vom 26.4.2022

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Verzögerte Reparatur durch Lieferschwierigkeiten – Nutzungsausfall geht zu Lasten des Unfallverursachers

Kommt es zu einem Verkehrsunfall mit einem erheblichen Schaden oder handelt es sich um ein seltenes Modell mit schwieriger Ersatzteilversorgung, so besteht zwar grundsätzlich die Schadensminderungspflicht des Unfallopfers. Doch es besteht umgekehrt auch kein Verstoß durch unterlassene Nachforschung, ob eventuell hinreichend Ersatzteile zur Verfügung stehen. Das bedeutet auch, dass der Nutzungsausfall dadurch möglicherweise sehr viel umfangreicher wird – was aber ganz zu Lasten des Unfallverursachers geht, wie das Oberlandesgericht Düsseldorf im März 2021 entschied.

Was war passiert? Wegen eines Rotlichtverstoßes kam es zu einer Kollision. Das Fahrzeug der Unfallgeschädigten musste in der Folgezeit wegen der dabei entstandenen Unfallschäden repariert werden. Wegen Schwierigkeiten bei der Lieferung eines neuen Airbag-Moduls für die Beifahrerseite verzögerte sich die Reparatur erheblich. So entstand zwischen der Unfallgeschädigten und der Haftpflichtversicherung des Unfallverursachers Streit darüber, ob auch für die ungewöhnlich lange Reparaturzeit des Nutzungsausfall eine Entschädigung gezahlt werden müsse.

Nutzungsausfall wird verlängert, wenn es zu Lieferproblemen bei Ersatzteilen kommt.Das zunächst zuständige Landgericht Düsseldorf wies die Klage ab. Dessen Auffassung nach habe die Klägerin gegen ihre Pflicht zur Schadensminderung verstoßen, weil sie für eine zeitnahe Reparatur habe sorgen müssen. Einen erhöhten Nutzungsausfall käme somit auch nicht in frage.

Das Oberlandesgericht hingegen bejahte einen Nutzungsausfall für den gesamten Zeitraum der Reparatur. Es bestehe ein Anspruch auch für die Zeit der verzögerten Reparatur wegen der Lieferschwierigkeiten beim Airbag-Modul. Für sie habe es zum Zeitpunkt der Beauftragung der Werkstatt keine Anhaltspunkte gegeben, dass die durch sie gewählte Firma nicht in der Lage sein würde, die Reparatur zügig durchzuführen. Allein der Umstand, dass sich die Werkstatt auf kostengünstige Reparaturen spezialisiert hat, sei kein hinreichender Anhaltspunkt.

Die Klägerin sei nach Ansicht des Oberlandesgerichts auch nicht verpflichtet gewesen, selbständig bei anderen Werkstätten oder bei Fahrzeugherstellern nach der Verfügbarkeit des Ersatzteils zu fragen. Für sie habe kein Anlass zur Vermutung bestanden, dass die Lieferschwierigkeiten auf die beauftragte Werkstatt beschränkt sein könnte.

Doch es geht noch weiter: Die Düsseldorfer Richter sahen keine Verpflichtung die beklagte Versicherung über die Reparaturverzögerung zu unterrichten. Denn zum einen habe diese zuvor die Regulierung des Unfallschadens abgelehnt, zum anderen sei nicht ersichtlich, dass eine Information zu einer Reduzierung der Reparaturzeit geführt hätte.

Und last but not least könne aus Sicht des Gerichts der Klägerin auch nicht vorgeworfen werden, sich nicht mit einer Teilreparatur ohne das fehlende Airbag-Modul zufrieden gegeben zu haben. Da sie technisch als Laie zu sehen sei, müsse man nicht davon ausgehen, dass sie im Falle der Beschädigung eines sicherheitsrelevanten Komponente des Fahrzeugs (Airbag!) etwa auf dessen Reparatur verzichten könne. Zudem könne es ja auch zu rechtlichen Nachteile im Fall einer Überprüfung des Fahrzeugs oder eines weiteren Unfalls kommen – bei dem unter Umständen eine Beifahrerin oder ein Beifahrer ohne die Schutzwirkung des Airbags zu Schaden kommen kann. Dies könne der Klägerin nicht zugemutet werden.

Oberlandesgericht Düsseldorf, Urteil vom 9.3.2021; AZ – 1 U 77/20 –

Foto: Monkey Business