Geschwindigkeitsüberschreitung: Verwirrungs-Argument scheitert vor Gericht

Ein Autofahrer überschritt auf der Autobahn A7 Richtung Kassel die zulässige Höchstgeschwindigkeit um 86 km/h. Bei einer temporären Geschwindigkeitsbegrenzung von 60 km/h wurde er mit 146 km/h gemessen. Als Begründung führte er vor dem Oberlandesgericht Frankfurt am Main an, die Beschilderung sei „völlig verwirrend“ gewesen. Diese Begrenzung wurde im Bereich einer LKW-Kontrolle mittels ausklappbarer Verkehrsschilder aus Sicherheitsgründen eingerichtet. Die Richter folgten dieser Argumentation nicht. Mit Beschluss vom Januar 2025 bestätigte das OLG nicht nur die für die Geschwindigkeitsüberschreitung vom Amtsgericht Fulda verhängte Geldbuße und das Fahrverbot, sondern stufte die Tat sogar von fahrlässig zu vorsätzlich hoch.

Das Amtsgericht Fulda hatte den Fahrer ursprünglich wegen fahrlässiger Geschwindigkeitsüberschreitung zu einer Geldbuße von 900 Euro sowie einem dreimonatigen Fahrverbot verurteilt. Der 2. Strafsenat des OLG Frankfurt verwarf diese Beschwerde vollständig und stufte die Tat sogar als vorsätzlich ein. In der Urteilsbegründung stellten die Richter klar, dass die Beschilderung mit Klappschildern eindeutig dokumentiert und keineswegs verwirrend war. Die Anordnungen zur Geschwindigkeitsreduzierung und zum Überholverbot für LKW und Busse waren laut Gericht klar erkennbar und verständlich.

Eine behauptete Unklarheit bei der Beschilderung ist nicht ausreicht, um eine erhebliche Geschwindigkeitsüberschreitung zu rechtfertigen.Bemerkenswert ist die deutliche Formulierung des Gerichts zur behaupteten Verwirrung: Wenn ein Verkehrsteilnehmer eine einfache und klar verständliche Verkehrsanordnung nicht versteht, begründet dies keinen Verbotsirrtum, der entlasten könnte. Vielmehr stelle sich dann die Frage, ob die betreffende Person kognitiv überhaupt in der Lage sei, am Straßenverkehr teilzunehmen.

Das Gericht wies zudem darauf hin, dass nach der Straßenverkehrsordnung jeder, der sich in einer unsicheren Verkehrssituation befindet, zu besonderer Vorsicht und Rücksichtnahme verpflichtet ist. Wer Verkehrsschilder nicht versteht oder bewusst ignoriert und statt der erlaubten 60 km/h mit 146 km/h fährt, handelt vorsätzlich und stellt sich damit bewusst gegen die Rechtsordnung.

Die Entscheidung des OLG Frankfurt verdeutlicht, dass eine behauptete Unklarheit bei der Beschilderung nicht ausreicht, um eine erhebliche Geschwindigkeitsüberschreitung zu rechtfertigen. Vielmehr müssen dafür konkrete und nachvollziehbare Gründe vorliegen, warum die Verkehrszeichen tatsächlich missverständlich waren. Dies konnte der Betroffene jedoch nicht darlegen.

Die Gerichte verlangen bei derart erheblichen Überschreitungen – in diesem Fall 86 km/h über dem Limit – nachvollziehbare Erklärungen. Die bloße Behauptung einer verwirrenden Beschilderung reicht nicht aus, um ein Bußgeld oder Fahrverbot abzuwenden. Stattdessen betonte das OLG, dass eine Überschreitung in diesem Ausmaß sogar auf vorsätzliches Handeln hindeutet und nicht auf ein bloßes Missverständnis.

Das Urteil ist rechtskräftig, da keine weiteren Rechtsmittel möglich sind.

Beschluss des OLG Frankfurt vom 24.02.2025; AZ – 2 Orbs 4/25 –

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Alkoholfahrt mit Fahrrad: Behördliche Fahrverbote unzulässig

Eine weitreichende Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen vom Dezember 2024 sorgt für mehr Rechtssicherheit im Bereich der Mobilität nach einer Alkoholfahrt. Das Gericht stellte fest, dass die Fahrerlaubnis-Verordnung keine rechtliche Grundlage für eine behördliche Untersagung des Führens von fahrerlaubnisfreien Fahrzeugen bietet. Zu diesen Fahrzeugen zählen unter anderem Fahrräder, Mofas und E-Scooter.

Der Sachverhalt betraf zwei Fälle aus Duisburg und Schwerte. In einem Fall fuhr eine Person unter dem Einfluss von Amphetamin einen E-Scooter, im anderen Fall ging es um eine klassische Alkoholfahrt mit dem Fahrrad, bei der eine Blutalkoholkonzentration von über zwei Promille festgestellt wurde. Beide Personen besaßen keine Fahrerlaubnis für Kraftfahrzeuge wie PKW. Die zuständigen Fahrerlaubnisbehörden untersagten ihnen daraufhin das Führen von fahrerlaubnisfreien Fahrzeugen. Nach Ablehnung ihrer Eilanträge durch die Verwaltungsgerichte Düsseldorf und Gelsenkirchen legten die Betroffenen erfolgreich Beschwerde beim Oberverwaltungsgericht ein.

Der Senat des Oberverwaltungsgerichts begründete seine Entscheidung damit, dass die entsprechende Vorschrift der Fahrerlaubnisverordnung nicht hinreichend bestimmt und verhältnismäßig sei. Die Richter betonten, dass ein solches Verbot nach einer Alkoholfahrt die grundrechtlich geschützte Fortbewegungsmöglichkeit der Betroffenen erheblich einschränke. Außerdem wurde berücksichtigt, dass fahrerlaubnisfreie Fahrzeuge im Vergleich zu Kraftfahrzeugen in der Regel weniger gefährlich sind. Für Personen, denen das Führen fahrerlaubnisfreier Fahrzeuge nach einer Alkoholfahrt untersagt wurde, eröffnet diese Rechtsprechung die Möglichkeit, gegen solche Verwaltungsakte vorzugehen.

Das Gericht kritisierte besonders, dass die bisherige Vorschrift nicht hinreichend klar regelt, in welchen Fällen jemand als ungeeignet oder bedingt geeignet zum Führen fahrerlaubnisfreier Fahrzeuge einzustufen ist und wann Eignungszweifel bestehen. Diese Unbestimmtheit der Norm führte letztlich dazu, dass die behördlichen Untersagungen nach einer Alkoholfahrt für rechtswidrig erklärt wurden.

Mit dieser Rechtsprechung folgt das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen einer Linie, die bereits vom Bayerischen Verwaltungsgerichtshof im April 2023 und vom Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz im März 2024 etabliert wurde. Die Beschlüsse des Oberverwaltungsgerichts sind unanfechtbar, was bedeutet, dass die betroffenen Personen aus Duisburg und Schwerte nun vorläufig wieder berechtigt sind, mit fahrerlaubnisfreien Fahrzeugen am Straßenverkehr teilzunehmen, obwohl sie zuvor eine Alkoholfahrt begangen hatten.

Diese Entscheidung verdeutlicht eine wichtige rechtliche Differenzierung zwischen dem Führen von fahrerlaubnispflichtigen und fahrerlaubnisfreien Fahrzeugen. Während bei ersteren ein umfassendes Regelwerk zur Eignungsfeststellung existiert, fehlt es bei letzteren an einer entsprechend klaren gesetzlichen Grundlage. Der Gesetzgeber müsste nun tätig werden, wenn er die Möglichkeit einer behördlichen Untersagung auch für fahrerlaubnisfreie Fahrzeuge nach einer Alkoholfahrt schaffen möchte.

Für Personen, denen das Führen fahrerlaubnisfreier Fahrzeuge nach einer Alkoholfahrt untersagt wurde, eröffnet diese Rechtsprechung die Möglichkeit, gegen solche Verwaltungsakte vorzugehen. Gleichzeitig bleibt zu beachten, dass Alkohol- und Drogenkonsum beim Führen jeglicher Fahrzeuge weiterhin strafbar sein kann und erhebliche Gefahren für alle Verkehrsteilnehmer mit sich bringt. Eine Alkoholfahrt mit dem Fahrrad oder E-Scooter ist also keineswegs straffrei, lediglich die behördliche Untersagung des Führens dieser Fahrzeuge ist nach aktueller Rechtsprechung nicht zulässig.

Urteil des Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen vom 5.12.2024; AZ – 16 B 175/23 –

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Sicherung im Linienbus und Haftung bei Unfällen

Ein Fall aus München verdeutlicht die Bewertung von Unfällen der Sicherung im Linienbus und in anderen öffentlichen Verkehrsmitteln. Im April 2023 ereignete sich ein Zwischenfall in einem Linienbus, bei dem ein 76-jähriger Fahrgast während einer Vollbremsung zu Fall kam. Der Bus musste stark abbremsen, nachdem ein PKW kurzfristig die Spur gewechselt hatte. Durch den Sturz erlitt der Fahrgast Verletzungen an der Brustwirbelsäule, dem Becken sowie eine Überdehnung des Daumensattelgelenks. Die Folgen der Verletzungen führten zu einer vierwöchigen Schmerzperiode mit anhaltenden Beschwerden.

Die Aufarbeitung des Falls im Oktober 2024 beim Amtsgericht München brachte eine eindeutige Entscheidung. Die Richter erkannten zwar die Mitverantwortung des PKW-Fahrers durch seinen plötzlichen Spurwechsel an, schloss jedoch dessen Haftung aufgrund des erheblichen Mitverschuldens des Fahrgasts aus. Die Begründung umfasste mehrere entscheidende Aspekte: Die vom Fahrgast gewählte stehende Position bot keine ausreichende Sicherung bei Bremssituationen. Seine Stabilisierung mit nur einer Hand erwies sich als unzureichend, während der mitgeführte Trolley ein zusätzliches Sicherheitsrisiko darstellte.

Die Entscheidung verdeutlicht die Eigenverantwortung der Fahrgäste für ihre Sicherheit in öffentlichen Verkehrsmitteln.Besonders schwerwiegend wertete das Gericht die Tatsache, dass zum Unfallzeitpunkt freie Sitzplätze verfügbar waren – der Kläger also die (Eigen-) Sicherung im Linienbus nicht ernst nahm. Ein Sitzplatz direkt hinter der Position des Fahrgasts hätte nicht nur eine sichere Sitzgelegenheit, sondern auch eine zusätzliche Haltestange geboten. Im Stadtverkehr muss grundsätzlich mit plötzlichen Bremsmanövern gerechnet werden. Eine vorausgehende leichte Bremsung des Busses etwa 50 Meter vor dem eigentlichen Vorfall hätte dem Fahrgast bereits signalisieren können, dass seine Position keinen ausreichenden Halt bot.

Die Entscheidung verdeutlicht die Eigenverantwortung der Fahrgäste für ihre Sicherheit in öffentlichen Verkehrsmitteln. Insbesondere ältere Menschen oder Personen mit Gepäck sollten verfügbare Sitzplätze nutzen und sich ausreichend absichern. Die Tatsache, dass keine weiteren Fahrgäste während der Vollbremsung zu Fall kamen, untermauerte die gerichtliche Einschätzung zur unzureichenden Eigensicherung des Klägers.

Urteil des Amtsgericht München vom 18.10.2024; AZ – 338 C 15281/24 –

Gleichlautende Urteile: Landgericht Bonn; Urteile vom 19.9.2012

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Risiken beim Kolonnenspringen: Urteil verdeutlicht Haftungsfragen

Ein Urteil des Landgerichts Ellwangen vom März 2024 zeigt die Risiken des sogenannten Kolonnenspringen, insbesondere bei hohen Geschwindigkeiten und auf engen Straßen. Das Urteil stellt klar, dass beim Überholen in einer solchen Situation besondere Vorsicht geboten ist und Überholmanöver unter diesen Bedingungen als riskant einzustufen sind.

Im konkreten Fall ereignete sich ein Unfall auf einer engen Kreisstraße ohne Mittellinie, bei dem ein Teslafahrer eine Fahrzeugkolonne überholen wollte. Beim Versuch, mehrere Fahrzeuge gleichzeitig zu überholen, beschleunigte der Tesla auf 95 km/h und kollidierte mit einem in der Kolonne fahrenden Opel Astra. Das Gericht entschied, dass der Fahrer des Teslas allein für den Unfall verantwortlich sei, da er grob fahrlässig gehandelt habe.

Zwar darf eine Kolonne grundsätzlich überholt werden, jedoch müsse der Überholende die Verkehrsverhältnisse genau beachten. Im vorliegenden Fall war die Straße kurvig, ohne Bankett und nicht breit genug, um ein gefahrloses Überholen zu gewährleisten. Der Fahrer des Tesla hätte nicht darauf vertrauen dürfen, dass die anderen Fahrzeuge am äußersten rechten Rand der Fahrbahn fahren würden, um das Manöver („Kolonnenspringen“) zu erleichtern.

Gefahren des Kolonnenspringen und die Verantwortung des Überholenden, die Verkehrslage richtig einzuschätzenDie Ellwanger Richter stellten zudem klar, dass der Fahrer des Opels keinen Verstoß gegen das Rechtsfahrgebot begangen habe. Aufgrund der Straßenverhältnisse sei es legitim, nicht direkt am äußersten rechten Fahrbahnrand zu fahren, um einen sicheren Abstand zur Straße und möglichen Hindernissen zu halten. Die Fahrbahn selbst war an der Unfallstelle nur fünf Meter breit, und es war keine Verpflichtung gegeben, dem Teslafahrer ein riskantes Überholmanöver zu ermöglichen.

Das Urteil verdeutlicht die Notwendigkeit, die Verkehrslage sorgfältig zu beurteilen, bevor ein Überholvorgang eingeleitet wird. Eine langsame Fahrt der vorausfahrenden Fahrzeuge allein reicht nicht aus, um eine klare Überholsituation zu begründen. Weitere Faktoren wie die Breite der Straße, Kurvenverläufe und fehlende Markierungen spielen eine entscheidende Rolle bei der Einschätzung der Verkehrssituation.

Die Entscheidung des Landgerichts Ellwangen betont die Gefahren des Kolonnenspringen und die Verantwortung des Überholenden, die Verkehrslage richtig einzuschätzen. Es besteht keine Verpflichtung anderer Verkehrsteilnehmer, riskante Überholmanöver zu erleichtern, indem sie am äußersten Fahrbahnrand fahren.

Landgericht Ellwangen, Urteil vom 20.3.2024; AZ – 1 S 70/23 –

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Sicherstellung eines Fahrzeugs wegen wiederholter Verkehrsverstöße bestätigt

Das Verwaltungsgericht Neustadt an der Weinstraße hat in einem Eilverfahren vom April 2024 die Sicherstellung eines Fahrzeugs für rechtmäßig erklärt, nachdem der Sohn des Fahrzeughalters wiederholt schwere Verkehrsverstöße begangen hatte. Der Fall drehte sich um einen Mercedes GLC, der vom Sohn des Antragstellers regelmäßig genutzt wurde und in mehreren Fällen mit erheblichen Geschwindigkeitsüberschreitungen auffällig geworden war. Diese Verstöße führten zu zwei Fahrverboten, dennoch wurde der Sohn während der Dauer dieser Verbote erneut beim Fahren ohne Fahrerlaubnis erwischt. Dies löste Ermittlungsverfahren sowohl gegen den Sohn als auch gegen den Antragsteller aus, der es zugelassen hatte, dass sein Sohn das Fahrzeug weiterhin nutzte.

Die Polizei entschied sich daraufhin, das Fahrzeug präventiv sicherzustellen, um weitere Straftaten zu verhindern. Der Antragsteller legte Widerspruch gegen diese Maßnahme ein und beantragte gleichzeitig im Rahmen eines Eilverfahrens die Herausgabe des Fahrzeugs. Das Gericht lehnte diesen Antrag ab und stellte fest, dass die Sicherstellung des Fahrzeugs rechtlich nicht zu beanstanden sei. Es führte aus, dass zum Zeitpunkt der Sicherstellung ausreichende Anhaltspunkte dafür vorgelegen hätten, dass der Antragsteller weder gewillt noch in der Lage sei, seinen Sohn von weiteren Verkehrsverstößen abzuhalten. Wiederholte Verstöße erlauben Sicherstellung eines Fahrzeugs!

Ausschlaggebend für die Entscheidung war die Einschätzung des Gerichts, dass der Antragsteller seine Verantwortung als Fahrzeughalter nicht wahrgenommen habe. Trotz wiederholter Auffälligkeiten zeigte der Antragsteller keine Bereitschaft, den Missbrauch seines Fahrzeugs durch seinen Sohn zu unterbinden. Dies wurde besonders deutlich, als der Antragsteller im Eilverfahren angab, er habe keine Kenntnis von der Nutzung seines Fahrzeugs durch den Sohn und sehe auch keine Pflicht, Nachforschungen anzustellen. Das Gericht bewertete diese Haltung als Ausdruck fehlender Einsicht und Verantwortung, was die Annahme einer konkreten Wiederholungsgefahr rechtfertigte.

In Anbetracht der wiederholten Verstöße und der mangelnden Einsicht sowohl des Antragstellers als auch seines Sohnes sah das Gericht keine Alternative zur Sicherstellung des Fahrzeugs. Die Polizei habe daher korrekt gehandelt, um weitere erhebliche Verkehrsverstöße und Straftaten zu verhindern. Der Antragsteller hat gegen diesen Beschluss Beschwerde zum Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz eingelegt.

Verwaltungsgericht Neustadt, Beschluss vom 30.4.2024; AZ – 5 L 349/24.NW –

 Foto: Konstantin

Vorrang und Spurwahl: Regelung für Abbiegevorgängen bei mehrspurigen Straßen

In der Praxis des Straßenverkehrs kommt es häufig zu Situationen, in denen Verkehrsteilnehmende vor der Herausforderung stehen, die Regeln des Vorrangs – insbesondere beim Abbiegen – richtig zu interpretieren. Ein Fall, der vor dem Oberlandesgericht Saarbrücken verhandelt wurde, beleuchtet die Komplexität der Vorrangregelungen von Abbiegevorgängen bei mehrspurigen Straßen. Das Urteil vom Oktober 2023 wirft Licht auf die Bedeutung der genauen Kenntnis und Einhaltung der Straßenverkehrsordnung (StVO) für alle Verkehrsteilnehmer.

Im April 2021 ereignete sich in Saarbrücken ein Verkehrsunfall an einer Kreuzung, bei dem zwei Fahrzeuge beteiligt waren. Ein Autofahrer beabsichtigte nach rechts abzubiegen und wählte für seine Weiterfahrt die linke von mehreren Fahrspuren. Gleichzeitig unternahm ein entgegenkommender Verkehrsteilnehmer einen Linksabbiegevorgang in die gleiche Fahrspur – in der irrigen Annahme, der rechts Abbiegende würde sich für die rechte Fahrspur entscheiden. Diese Fehleinschätzung in schwieriger Situation führte zu einem Zusammenstoß, der dann später rechtlich zu beurteilen war.

Vorrangregelungen von Abbiegevorgängen bei mehrspurigen Straßen. Das Landgericht Saarbrücken wies die Schadensersatzforderung des Linksabbiegers ab, eine Entscheidung, die durch die Berufung beim Oberlandesgericht Saarbrücken bestätigt wurde. Die Richter stellten klar, dass der Linksabbieger eine bestehende Wartepflicht verletzt hatte. Die entscheidende Erkenntnis aus dem Urteil ist, dass beim Abbiegen in Straßen mit mehreren Fahrspuren kein Verlass darauf besteht, dass ein entgegenkommender Abbieger die für ihn vermeintlich „richtige“ Spur wählt. Tatsächlich umfasse der Vorrang des Rechtsabbiegers auch die Freiheit, zwischen mehreren Fahrspuren zu wählen, ohne dass dies als Fahrstreifenwechsel im Sinne eines Verstoßes gegen die StVO angesehen wird, so das Saarbrücker Gericht.

Einschränkend wurde dem Rechtsabbieger ein Sorgfaltsverstoß angelastet, da er den Zusammenstoß hätte vorhersehen und hätte auf typischen mehrspurigen Straßen seine Fahrweise anpassen müssen. Trotzdem fiel die Haftungsverteilung überwiegend zu Ungunsten des Linksabbiegers aus, was die Bedeutung der Vorrangregelungen und die Notwendigkeit einer umsichtigen Fahrweise unterstreicht.

Der Fall verdeutlicht erneut, dass im Straßenverkehr eine hohe Aufmerksamkeit und Kenntnis der geltenden Vorschriften essentiell sind. Es zeigt sich, dass die Annahmen über das Verhalten anderer Verkehrsteilnehmender jederzeit kritisch zu hinterfragen sind und stets eine defensive Fahrweise angewendet werden sollte, um Unfälle zu vermeiden.

Oberlandesgericht Saarbrücken, Urteil vom 20.10.2023; AZ – 3 U 49/23 –

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Fahrerlaubnisentzug bei Trunkenheitsfahrt mit E-Scooter

Das Oberlandesgericht Braunschweig hat in einem Urteil vom November 2023 die rechtlichen Konsequenzen für Trunkenheitsfahrten mit E-Scootern unzweideutig festgelegt. Im Kern der Entscheidung steht die Feststellung, dass eine Fahrt unter Alkoholeinfluss mit einem E-Scooter ganz selbstverständlich eine Fahrerlaubnisentzug nach sich ziehen kann. Hier gibt es keinen besonderen Schutz.

Dieser Grundsatz wurde in einem Fall aus Göttingen angewandt, in dem der Fahrer eines E-Scooters mit einem Blutalkoholwert von 1,83 Promille von der Polizei kontrolliert wurde. Trotz der vom Amtsgericht verhängten Geldstrafe und des Fahrverbots ohne Entzug der Fahrerlaubnis, wies das Oberlandesgericht darauf hin, dass der Gesetzgeber E-Scooter als Kraftfahrzeuge einstuft, für deren Führung im Zustand der Fahruntüchtigkeit strenge Sanktionen vorgesehen sind.

Führung im Zustand der Fahruntüchtigkeit: strenge Sanktionen Die Entscheidung des Amtsgerichts, von einer Entziehung der Fahrerlaubnis abzusehen, wurde vom Oberlandesgericht nicht geteilt. Vielmehr betonte das Gericht, dass die Fahrt mit einem E-Scooter im betrunkenen Zustand grundsätzlich als Indiz für die Ungeeignetheit zum Führen von Kraftfahrzeugen angesehen wird. Diese Sichtweise berücksichtigt das Gefährdungspotential, das von E-Scootern ausgeht, und stellt sie Fahrrädern gleich. Dabei wurde auch auf die bestehende Rechtsprechung verwiesen, die für Fahrradfahrer einen Grenzwert von 1,6 Promille ansetzt, während die Frage, ob der Grenzwert für Kraftfahrzeugführer von 1,1 Promille auch für E-Scooter gilt, offenblieb. Ein Fahrerlaubnisentzug wegen Trunkenheit ist daher nicht ungewöhnlich.

Diese durchaus richtungsweisende Entscheidung unterstreicht die Ernsthaftigkeit, mit der die Justiz Fälle von Trunkenheit im Verkehr behandelt, unabhängig vom verwendeten Verkehrsmittel. Sie macht deutlich, dass der Schutz der Verkehrssicherheit und die Verantwortung der Verkehrsteilnehmer oberste Priorität haben. Fahrer von E-Scootern müssen sich daher der Tatsache bewusst sein, dass Alkoholkonsum vor der Nutzung schwerwiegende rechtliche Folgen haben kann, einschließlich des Verlusts der Fahrerlaubnis. Die Entscheidung signalisiert auch ganz klar eine strenge Haltung der Justiz gegenüber Trunkenheitsfahrten und hebt die Verantwortung jedes Verkehrsteilnehmers hervor.

Oberlandesgericht Braunschweig, Urteil vom 30.11.2023; AZ – 1 ORs 33/23 –

Foto: Oleksandr Kozak

Umfassendes Radfahrverbot bei Alkoholmissbrauch möglich: Rechtsgrundlagen und Konsequenzen

In Deutschland regelt bekanntlich die Straßenverkehrsordnung (StVO) das Verhalten aller Verkehrsteilnehmer, einschließlich der Radfahrer. Obwohl für das Fahrradfahren keine spezifische Fahrerlaubnis erforderlich ist, können Radfahrer unter bestimmten Umständen mit einem Fahrverbot belegt werden. Ein Radfahrverbot tritt vor allem dann in Kraft, wenn durch das Verhalten des Radfahrers die Verkehrssicherheit gefährdet wird.

Ein solches Verbot wird meist bei gravierenden Verstößen gegen die StVO ausgesprochen. Zu diesen Verstößen gehören unter anderem Trunkenheitsfahrten, das Missachten von Ampelsignalen oder das Befahren der falschen Fahrbahnseite. Ebenso kann die Benutzung eines technisch nicht verkehrssicheren Fahrrads ein Fahrverbot nach sich ziehen.

Die Folgen eines Fahrverbots sind erheblich. Es bedeutet, dass die betroffene Person temporär nicht am Straßenverkehr teilnehmen darf. Wer ein Radfahrverbot ignoriert, riskiert Bußgelder bis zu 1.000 Euro und weitere rechtliche Konsequenzen.

Radfahrverbot bei Alkoholmissbrauch möglich: RechtsgrundlagenEin Urteil aus Niedersachsen vom August 2023 illustriert die Ernsthaftigkeit solcher Bestimmungen. Ein Radfahrer wurde mit einer Blutalkoholkonzentration von 1,95 Promille aufgegriffen. Ein daraufhin erstelltes medizinisch-psychologisches Gutachten bestätigte eine hohe Wahrscheinlichkeit der Wiederholung ähnlicher Vorfälle. Daraufhin verhängten die Behörden ein sofortiges Fahrverbot. Die rechtliche Grundlage für dieses Verbot findet sich in § 3 FeV (Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr).

Das Oberverwaltungsgericht Lüneburg bestätigte die Rechtmäßigkeit des Verbots und betrachtete es als angemessene Maßnahme. Die Richter stellten fest, dass Radfahrer mit einer Blutalkoholkonzentration über 1,6 Promille als nicht fahrtüchtig gelten. Das Gericht unterstrich, dass das Verbot eine geringe Eingriffsintensität aufweist, da die betroffene Person generell weniger auf das Fahrrad als auf ein Kraftfahrzeug angewiesen ist.

Das Urteil zeigt ganz deutlich, dass auch Radfahrer bei nicht konformer Verkehrsteilnahme mit ernsthaften rechtlichen Folgen rechnen müssen. Es verdeutlicht zudem, dass die Verantwortung für die Verkehrssicherheit nicht nur bei Autofahrern, sondern auch bei Fahrradfahrern liegt. Um Punkte in Flensburg oder mit dem Fahrrad ein Fahrverbot zu erhalten, muss kein Führerschein vorliegen. Selbst Radfahrer ohne eine Fahrerlaubnis können ein Fahrverbot erhalten.

Das Radfahrverbot ist eine wichtige Maßnahme zur Sicherstellung der Verkehrssicherheit, das allzu oft eher leichtfertig als „sicher“ bei Alkoholgenuss interpretiert wird. Das Urteil betont jedoch erkennbar, dass das Verkehrsrecht eben alle Verkehrsteilnehmer umfasst und auch vermeintlich „schwache“ durchaus nicht von Strafen, Bußgeldern und Fahrverboten ausgenommen sind.

Urteil des Oberverwaltungsgericht Lüneburg vom 23.8.2023; AZ– 12 ME 93/23 –

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BGH: Verwahrkosten für von privat abgeschleppte Fahrzeuge sind zeitlich limitiert

In einem Urteil vom November 2023 hat der Bundesgerichtshof wichtige Grundsätze zur Ersatzfähigkeit der Kosten für die Verwahrung eines privat abgeschleppten Fahrzeugs geklärt. Im Kern ging es um die Frage, inwieweit die Verwahrkosten, die nach dem Abschleppen eines unbefugt auf Privatgrund abgestellten Fahrzeugs entstehen, vom Fahrzeughalter erstattet werden müssen.

Der Grundstücksbesitzer nimmt mit dem Abschleppen ein Selbsthilferecht wahr, das einfach handhabbar sein muss und nicht mit Haftungsrisiken behaftet sein darf. Deshalb ist er nicht gehalten, einen Parkplatz im öffentlichen Parkraum ausfindig zu machen, sondern er darf das Fahrzeug in sichere Verwahrung geben.

Im konkreten Fall hatte der Kläger sein Fahrzeug an seine Schwester verliehen, die es unbefugt auf einem privat verwalteten Grundstück parkte. Daraufhin ließ die Verwaltung das Fahrzeug abschleppen. Die Besonderheit: Nachdem der Kläger sein Fahrzeug zurückforderte, reagierte das Abschleppunternehmen nicht, und es entstanden weiterhin Verwahrkosten.

Verwahrkosten für von privat abgeschleppte Fahrzeuge geregelt durch BGH-UrteilDie juristische Auseinandersetzung konzentrierte sich denn auch darauf, ob und in welchem Umfang der Fahrzeughalter für die Verwahrkosten aufkommen muss. Das Landgericht entschied zunächst zu Gunsten des Abschleppunternehmens, während das Oberlandesgericht die Erstattungspflicht auf die Kosten der ersten fünf Tage der Verwahrung beschränkte.

Der Bundesgerichtshof bestätigte diese Sichtweise und stellte klar, dass die Verwahrkosten Teil der Abschleppmaßnahme sind und somit grundsätzlich erstattungsfähig. Jedoch ist diese Erstattungspflicht zeitlich begrenzt und endet mit dem Herausgabeverlangen des Halters. Dies bedeutet, dass nach einem solchen Verlangen anfallende Verwahrkosten nicht mehr im Rahmen der Abschleppmaßnahme gesehen werden können. Vielmehr sind sie dann als Kosten anzusehen, die durch die Nicht-Herausgabe des Fahrzeugs entstehen.

Interessant ist hierbei die Betonung der Informationspflicht. Der Grundstückseigentümer muss den Halter des abgeschleppten Fahrzeugs unverzüglich über den Vorgang informieren. Eine Verletzung dieser Pflicht kann zu einer Minderung des Erstattungsanspruchs führen, insbesondere wenn dadurch die Herausgabe des Fahrzeugs verzögert wird.

Der Bundesgerichtshof verdeutlicht mit seinem Urteil, dass das Abschleppen von Fahrzeugen von Privatgrundstücken zwar ein legitimes Mittel zur Wahrung des Hausrechts ist, aber gleichzeitig klare Grenzen für die Erstattung von Kosten setzt. Diese Entscheidung bietet somit eine wichtige Orientierungshilfe für Fahrzeughalter, Grundstückseigentümer wie auch für Abschleppunternehmen.

Bundesgerichtshof, Urteil vom 17.11.2023; AZ – V ZR 192/22

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Entzug der Fahrerlaubnis: Neue Maßstäbe bei der Bewertung von Schäden nach Unfallflucht

Unfallflucht, ein Verhalten, das oftmals schwerwiegende rechtliche Konsequenzen nach sich zieht, wird in der Rechtspraxis kontinuierlich diskutiert und neu bewertet. Insbesondere die Frage, wann ein Schaden als „bedeutend“ einzustufen ist und somit den Entzug der Fahrerlaubnis rechtfertigt, steht im Mittelpunkt gerichtlicher Entscheidungen.

Ein kürzlich verhandelter Fall in Hamburg veranschaulicht die Komplexität dieser Thematik. Hierbei verursachte eine PKW-Fahrerin auf einem Parkplatz einen Schaden an einem anderen Fahrzeug und verließ den Unfallort, obwohl sie den Vorfall bemerkt hatte. Die Reparaturkosten wurden auf etwa 1.600 Euro geschätzt. Das Amtsgericht Hamburg entzog der Fahrerin vorläufig die Fahrerlaubnis, woraufhin sie Beschwerde einlegte.

Bewertung von Schäden nach Unfallflucht.In seiner Entscheidung vom August 2023 hob das Landgericht Hamburg die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis auf, da es den Schaden nicht als „bedeutend“ im Sinne der rechtlichen Vorschriften ansah. Hierbei ist zu beachten, dass die Definition eines „bedeutenden Schadens“ bei Unfallflucht variabel und von der aktuellen Rechtsprechung abhängig ist. Während früher Schäden ab etwa 1.300 Euro oder 1.500 Euro als bedeutend angesehen wurden, hat sich die Wertgrenze durch die fortschreitende Entwicklung der Reparaturkosten und die Einkommensentwicklung nach oben verschoben. Das Landgericht Hamburg setzte diese Grenze nun bei mindestens 1.800 Euro an.

Diese Entscheidung verdeutlicht, wie sich wirtschaftliche Entwicklungen auf die Rechtsprechung auswirken können. Die Anhebung der Wertgrenze für einen bedeutenden Schaden spiegelt die die allgemeine wirtschaftliche Situation wider. Dies war der herausstechende Grund die Fahrerlaubnis der betroffenen PKW-Fahrerin nicht zu entziehen, da die geschätzten Reparaturkosten von 1.600 Euro die neu festgesetzte Grenze nicht überschritten. Folgt man den Richtern, so wird grundsätzlich deutlich, dass die Beurteilung der Schadensbedeutung sich an den Reparaturkosten- und der allgemeinen Einkommensentwicklung orientiert und auch orientieren soll.

Für Betroffene und ihre Rechtsbeistände ist es daher essenziell, stets die aktuellsten Entscheidungen und deren Auswirkungen im Blick zu haben.

Landgericht Hamburg, Beschluss vom 9.8.2023; AZ – 612 Qs 75/23 –

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