Geschwindigkeitsüberschreitung: Das Wissen, schneller als erlaubt zu fahren

Ein vorsätzlicher Geschwindigkeitsverstoß setzt nicht voraus, dass der Betroffene exakte Kenntnis von der Geschwindigkeitsüberschreitung hat. Es reicht das Wissen, schneller als erlaubt zu fahren. Dies hat das Oberlandesgericht Hamm im Februar 2022 entschieden.

In dem zugrunde liegenden Fall hatte das Oberlandesgericht Hamm darüber zu entscheiden, ob ein solcher Geschwindigkeitsverstoß tatsächlich auch voraussetzt, dass der Betroffene den Umfang der Geschwindigkeitsüberschreitung kennt.

Genügt das Wissen um eine Geschwindigkeitsüberschreitung?Das Oberlandesgericht Hamm entschied, dass die Annahme eines vorsätzlichen Geschwindigkeitsverstoßes nicht voraussetzt, dass der Betroffene den tatsächlichen Umfang der Geschwindigkeitsüberschreitung exakt kennt. Das erkennbare Wissen, schneller als erlaubt zu fahren, führt bereits auf diesen Weg.

Wer im Bewusstsein die zulässige Höchstgeschwindigkeit jedenfalls nicht unerheblich überschritten zu haben unterlasse, dann auch seine Geschwindigkeit etwa durch den Blick auf den Tachometer zu kontrollieren und nicht vermindern, bringe hinreichend zum Ausdruck, dass er einen Verstoß in dem tatsächlich realisierten Ausmaß zumindest billigend in Kauf nimmt.

Oberlandesgericht Hamm, Beschluss vom 7.2.2022; AZ – 5 RBs 12/22 –

Foto: Sebastian Bayer

 

Sicherheitsabstand im Autoverkehr unterschreiten – doppeltes Bußgeld möglich

In dem zu entscheidenden Fall ging es um einen Mann, der ohne ordnungsgemäßen Sicherheitsabstand mit seinem Auto auf der Autobahn fuhr. Eine Abstandsmessung ergab nach dem üblichen Toleranz-Abzug, dass er bei 131 km/h weniger als drei Zehntel des halben Tachowerts Abstand zum Vordermann hielt. Der Fahrer erhielt daraufhin einen Bußgeldbescheid über 530 Euro sowie zusätzlich einen Monat Fahrverbot.

Nun kann in gewissen außergewöhnlichen Situationen (bei einem Einscheren oder Abbremsen des Vordermanns) eine Unterschreitung des Mindestabstands „nur“ als fahrlässig bewertet werden. Gibt es dagegen keine solche Sondersituation, kann das Unterschreiten auch als Billigung oder Vorsatz gewertet werden. Das zeigt ein Urteil des Amtsgericht Landstuhl vom April 2021.

Ohne Vorliegen konkreter, dagegen sprechender Anhaltspunkte muss davon ausgegangen werden, dass Autofahrern das Unterschreiten des Sicherheitsabstandes bewusst ist und sie dies zumindest billigend in Kauf nehmen.

eine Einschränkung der „nicht nur ganz vorübergehenden Abstandsunterschreitung“ dem § 4 StVO nicht zu entnehmen.Da die Behörden dem Mann vorsätzliches Verhalten vorwarfen, war das Bußgeld doppelt so hoch wie üblich. Dagegen legte der Mann Einspruch ein – und nachdem er Einsicht in die Messakte hatte, bemängelte er die gemessene Strecke als zu kurz. Im Messbereich habe sich sein Abstand zum Vorausfahrenden nur ganz kurz verringert und sei dann wieder größer geworden. Daher sei ihm kein Vorsatz zu unterstellen.

Das Argument zog beim Amtsgericht in Landsberg allerdings gar nicht. Nach dessen Ansicht reichte es für den Vorwurf des Vorsatzes aus, dass der Abstand zu irgendeinem Zeitpunkt unterschritten war. Denn es habe keine außergewöhnliche Situation durch Abbremsen oder Einscheren des Vordermannes gegeben. Der Fahrer habe also mit Absicht gehandelt.

In einem Zeitraum von mehr als zwei Sekunden hatte der Fahrer zu wenig Sicherheitsabstand – er hätte diesen aber ohne Probleme durch leichtes Abbremsen vergrößern können, was er aber nicht tat. Das wertete das Gericht nicht mehr als Fahrlässigkeit, sondern ging davon aus, dass der Kläger sich der Unterschreitung bewusst war oder diese zumindest billigte.

Der ADAC kommentierte dies, in dem er darauf hinwies, dass es dem Gericht hier darauf ankam, dass der Mann früher hätte reagieren müssen. Es gebe zwar in Deutschland auch Gerichte, die eine gewisse Dauer der Unterschreitung voraussetzen – was im Gesetz nicht ausdrücklich vorgesehen sei. Tatsächlich ist eine Einschränkung der „nicht nur ganz vorübergehenden Abstandsunterschreitung“ dem § 4 StVO nicht zu entnehmen.

Amtsgericht Landstuhl, Urteil vom 20.4.2021; AZ – 2 OWi 4211 Js 1233/21 –

Foto:  Stefan Weis

Verzögerte Reparatur durch Lieferschwierigkeiten – Nutzungsausfall geht zu Lasten des Unfallverursachers

Kommt es zu einem Verkehrsunfall mit einem erheblichen Schaden oder handelt es sich um ein seltenes Modell mit schwieriger Ersatzteilversorgung, so besteht zwar grundsätzlich die Schadensminderungspflicht des Unfallopfers. Doch es besteht umgekehrt auch kein Verstoß durch unterlassene Nachforschung, ob eventuell hinreichend Ersatzteile zur Verfügung stehen. Das bedeutet auch, dass der Nutzungsausfall dadurch möglicherweise sehr viel umfangreicher wird – was aber ganz zu Lasten des Unfallverursachers geht, wie das Oberlandesgericht Düsseldorf im März 2021 entschied.

Was war passiert? Wegen eines Rotlichtverstoßes kam es zu einer Kollision. Das Fahrzeug der Unfallgeschädigten musste in der Folgezeit wegen der dabei entstandenen Unfallschäden repariert werden. Wegen Schwierigkeiten bei der Lieferung eines neuen Airbag-Moduls für die Beifahrerseite verzögerte sich die Reparatur erheblich. So entstand zwischen der Unfallgeschädigten und der Haftpflichtversicherung des Unfallverursachers Streit darüber, ob auch für die ungewöhnlich lange Reparaturzeit des Nutzungsausfall eine Entschädigung gezahlt werden müsse.

Nutzungsausfall wird verlängert, wenn es zu Lieferproblemen bei Ersatzteilen kommt.Das zunächst zuständige Landgericht Düsseldorf wies die Klage ab. Dessen Auffassung nach habe die Klägerin gegen ihre Pflicht zur Schadensminderung verstoßen, weil sie für eine zeitnahe Reparatur habe sorgen müssen. Einen erhöhten Nutzungsausfall käme somit auch nicht in frage.

Das Oberlandesgericht hingegen bejahte einen Nutzungsausfall für den gesamten Zeitraum der Reparatur. Es bestehe ein Anspruch auch für die Zeit der verzögerten Reparatur wegen der Lieferschwierigkeiten beim Airbag-Modul. Für sie habe es zum Zeitpunkt der Beauftragung der Werkstatt keine Anhaltspunkte gegeben, dass die durch sie gewählte Firma nicht in der Lage sein würde, die Reparatur zügig durchzuführen. Allein der Umstand, dass sich die Werkstatt auf kostengünstige Reparaturen spezialisiert hat, sei kein hinreichender Anhaltspunkt.

Die Klägerin sei nach Ansicht des Oberlandesgerichts auch nicht verpflichtet gewesen, selbständig bei anderen Werkstätten oder bei Fahrzeugherstellern nach der Verfügbarkeit des Ersatzteils zu fragen. Für sie habe kein Anlass zur Vermutung bestanden, dass die Lieferschwierigkeiten auf die beauftragte Werkstatt beschränkt sein könnte.

Doch es geht noch weiter: Die Düsseldorfer Richter sahen keine Verpflichtung die beklagte Versicherung über die Reparaturverzögerung zu unterrichten. Denn zum einen habe diese zuvor die Regulierung des Unfallschadens abgelehnt, zum anderen sei nicht ersichtlich, dass eine Information zu einer Reduzierung der Reparaturzeit geführt hätte.

Und last but not least könne aus Sicht des Gerichts der Klägerin auch nicht vorgeworfen werden, sich nicht mit einer Teilreparatur ohne das fehlende Airbag-Modul zufrieden gegeben zu haben. Da sie technisch als Laie zu sehen sei, müsse man nicht davon ausgehen, dass sie im Falle der Beschädigung eines sicherheitsrelevanten Komponente des Fahrzeugs (Airbag!) etwa auf dessen Reparatur verzichten könne. Zudem könne es ja auch zu rechtlichen Nachteile im Fall einer Überprüfung des Fahrzeugs oder eines weiteren Unfalls kommen – bei dem unter Umständen eine Beifahrerin oder ein Beifahrer ohne die Schutzwirkung des Airbags zu Schaden kommen kann. Dies könne der Klägerin nicht zugemutet werden.

Oberlandesgericht Düsseldorf, Urteil vom 9.3.2021; AZ – 1 U 77/20 –

Foto: Monkey Business

Schnelleres Fahren als Verkehr auf Ausfahrtstreifen begründet Mithaftung der Verkehrsteilnehmer

Die Situation ist fast alltägliche Realität: Fahren Verkehrsteilnehmer auf dem Ausfädelungstreifen einer Autobahn schneller als der Verkehr auf der durchgehenden Fahrbahn, so verstoßen sie gegen die StVO. Das kann dann im Fall eines Unfalls eine Mithaftung begründen. Dies geht aus einer Entscheidung des Landgerichts Saarbrücken vom Januar 2021 hervor.

In dem zugrunde liegenden Fall kam es auf einer Autobahn zwischen einem Lkw und einem Kleinlaster zu einem Verkehrsunfall. Der Fahrer des Lkw gab an, er sei infolge einer Baustelle auf die rechte Fahrspur verengten Fahrbahn gefahren, als ihn der Kleinlaster auf dem Ausfädelungsstreifen überholt und gestreift habe. Der Fahrer des Kleinlasters behauptete wiederum, er habe den Ausfädelungsstreifen befahren, um an der Ausfahrt abzubiegen. Dabei sei der Lkw auf den Ausfädelungsstreifen gewechselt und gegen sein Fahrzeug gestoßen. Ein gerichtlich bestellter Sachverständiger hatte festgestellt, dass der Kleinlaster im Kollisionszeitpunkt schneller als der Lkw gefahren sein muss.

Verkehrsteilnehmer dürfen auf Auffahrten nicht schneller als der normale Verkehr fahrenDas zunächst angerufene Amtsgericht St. Wendel nahm eine hälftige Haftungsverteilung vor, weil seiner Auffassung nach keiner Partei ein unfallursächliches Verschulden nachzuweisen sei. Gegen diese Entscheidung richtete sich die Berufung beim Landgericht in Saarbrücken. Das bejahte ganz klar den Verkehrsverstoß des Kleinlasterfahrers. Denn ohne eine höhere Geschwindigkeit auf der Standspur oder dem Einfädelungsstreifen wäre der Kleintransporter hinter dem Lkw gefahren. Ein Ausweichen des Lkw nach rechts, sei es innerhalb der eigenen Fahrspur oder durch ein Hinüberfahren auf die danebenliegende Spur, hätte dann zu keiner Kollision führen können.

Das Landgericht Saarbrücken hob die Entscheidung des Amtsgerichts auf. Es sei unzutreffend, dass keiner Partei ein Verkehrsverstoß anzulasten sei. Aufgrund des vorliegenden Verkehrsverstoßes haftet der Beklagte zu 75% für die Unfallfolgen, so das Landgericht. Die 25% Mithaftung des Klägers ergebe sich aus der Betriebsgefahr der Klägerfahrzeugs. Angepasste Geschwindigkeit auf Ausfädelungsspuren ist damit erkennbar unabdingbar – die Verkehrsteilnehmer haben eben die Autobahn o.ä. faktisch noch nicht verlassen. Auf der Autobahn darf ja zum Beispiel auch nur von rechts überholt werden, wenn auf der linken Spur eine Fahrzeugschlange im Stau steht oder besonders langsam fährt.

Landgericht Saarbrücken, Urteil vom 22.1.2021; AZ – 13 S 110/20 –

Foto:  Narayan Lazic

Muss in der Winterzeit ausgebrachtes Streugut umgehend wieder entfernt werden?

In der kalten Jahreszeit gilt es für Grundstückseigentümer wie für die Kommunen zu überprüfen, ob der Reinigungs-, Streu- und Räumdienst auf Grundstücken sowie den öffentlichen Verkehrswegen ausreichend organisiert ist. Ist eine Streupflicht gegeben, so richten sich Inhalt und Umfang nach den Umständen des Einzelfalls – auch für die Verwendung des Streugut. Dabei sind Art und Wichtigkeit des Verkehrsweges ebenso zu berücksichtigen wie seine Gefährlichkeit und die Stärke des zu erwartenden Verkehrs. Die Räum- und Streupflicht besteht jedoch nicht uneingeschränkt. Eine absolute Sicherheit kann und muss nicht erreicht werden.

Es ist so zu räumen, dass für Fußgänger und andere Verkehrsteilnehmer keine Gefahr besteht. Demnach muss je nach Wetterlage auch mehrmals am Tag geräumt oder gestreut werden. Maßgeblich ist, wann damit zu rechnen ist, dass die Wirkung des Streugutes nachlässt. Natürlich ist nur zu räumen, wenn dies auch sinnvoll ist. Es ist erst dann zu streuen, wenn von einer allgemeinen Glättebildung auszugehen ist und nicht nur von vereinzelten Glättestellen.

Streupflichtige müssen nicht nach jeder Verwendung des Streugut dieses gleich beseitigen.Doch was ist, wenn die akute Glättebildung vorüber ist, wie schnell muss das Streugut wieder beseitigt werden? Besonders Kommunen haben ja mitunter viele Kilometer Fuß- und Radwege zu betreuen und lassen daher das Streugut längere Zeit vor Ort liegen. Im verhandelten Fall ging es genau darum: Eine Radfahrerin im Norden von Schleswig-Holstein stürzte bei einem Abbiegevorgang und verletzte sich dabei. Sie gab an, auf einen für Fahrräder zugelassenen Gehweg gefahren und dort aufgrund des ausgebrachten Streuguts weggerutscht zu sein. Zur Unfallzeit herrschte aber kein Frost und die Fahrbahnbedingungen waren einwandfrei. Sie klagte gegen die Gemeinde, das Streugut nicht beseitigt zu haben. Zudem sei das verwendete Splitt-Salz-Gemisch ungeeignet als Streugut. Sie klagte daher auf Zahlung von Schadensersatz.

Das Oberlandesgericht Schleswig-Holstein urteilte im September 2020, dass Streupflichtige nicht nach jeder Verwendung des Streuguts dieses gleich wieder beseitigen müssen. Gerade ein Splitt-Salz-Gemisch solle präventiv gegen die von künftigen Schneefällen und Eisbildungen ausgehenden Gefahren schützen. Ein Splitt-Salz-Gemisch stelle zudem ein geeignetes Streumittel dar.

Der Klägerin stehe kein Anspruch auf Schadensersatz zu. Denn der beklagten Gemeinde sei keine Verkehrssicherungspflichtverletzung anzulasten. Dies gelte vor allem deshalb, weil das verwendete Splitt-Salz-Gemisch dazu diene, die von künftigen Schneefällen und Eisbildungen ausgehenden Gefahren zu mindern. Zudem stehe die Auswahl des Streumittels grundsätzlich im Ermessen des Streupflichtigen.

Oberlandesgericht Schleswig-Holstein, Beschluss vom 10.9.2020; AZ – 7 U 25/19 –

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