Eigenmächtiger Rückschnitt des Nachbarn zulässig: Selbst bei Gefahr für Standfestigkeit eines Baumes

Streitigkeiten unter direkten Nachbarn sind für alle Beteiligten stets sehr belastend. So ist es gut, wenn zumindest in einem Fall eine klare Rechtslage besteht. Der Bundesgerichtshof (BGH) hat im Juni 2021 entschieden, dass ein Grundstücksnachbar von seinem Selbsthilferecht auch dann Gebrauch machen darf, wenn durch das Abschneiden überhängender Äste das Absterben des Baums oder der Verlust der Standfestigkeit droht. Dieses Selbsthilferecht kann aber durch naturschutzrechtliche Regelungen, etwa durch Baumschutzsatzungen oder -verordnungen, eingeschränkt sein. Die Argumente sind aber klar und viele Streitigkeit können durch dieses höchstrichterliche Urteil vermieden werden.

Im hier vorliegenden Fall sind die Parteien Nachbarn – und das schon sehr lange. Auf dem Grundstück der Kläger steht unmittelbar an der gemeinsamen Grenze seit rund 40 Jahren eine inzwischen etwa 15 Meter hohe Schwarzkiefer. Ihre Äste, von denen Nadeln und Zapfen herabfallen, ragen seit mindestens 20 Jahren auf das Grundstück des Beklagten hinüber. In Mengen, die den Nachbarn stören. Dieser forderte den Baumbesitzer auf, den Baum zu fällen oder wenigstens zurückzuschneiden – jedoch vergeblich.

Eigenmächtiger Rückschnitt eines Baums durch Nachbarn ist u.U. zulässigDer beklagte Nachbarn wurde schließlich selbst aktiv und begann die Äste der Kiefer zurückzuschneiden, natürlich nur die überhängenden Zweige. Mit der nachfolgenden Klage verlangten die Kläger, es zu unterlassen, von der Kiefer oberhalb von fünf Meter überhängende Zweige abzuschneiden. Sie argumentierten, dass das Abschneiden der Äste die Standsicherheit des Baums gefährde. Diese Klage war in den Vorinstanzen erfolgreich und erst der Bundesgerichtshof hob die Urteile auf und hat die Sache an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Die Begründung des Berufungsgericht war zuvor, dass die Kläger das Abschneiden der Zweige nicht dulden müssten, weil die betreffende Vorschrift nur unmittelbar von den überhängenden Ästen ausgehende Beeinträchtigungen erfasse – nicht aber mittelbaren Folgen, wie den Abfall von Nadeln und Zapfen. Neuere Urteile des BGH von 2019 deuten denn aber bereits in eine andere Richtung. Zudem liegt die Verantwortung dafür, dass Äste und Zweige nicht über die Grenzen des Grundstücks hinauswachsen, bei dem Eigentümer des Grundstücks, auf dem der Baum steht.

Das nun erneut mit dem konkreten Fall beschäftigte Berufungsgericht wird zu klären haben, ob die Nutzung des Grundstücks des Beklagten durch den Überhang beeinträchtigt wird. Ist dies der Fall, dann ist die Entfernung des Überhangs durch den Beklagten für die Kläger auch dann nicht unzumutbar, wenn dadurch das Absterben des Baums oder der Verlust seiner Standfestigkeit droht. Das Selbsthilferecht  sollte nach der Vorstellung des Gesetzgebers einfach und allgemein verständlich ausgestaltet sein, es unterliegt daher insbesondere keiner Verhältnismäßigkeits- oder Zumutbarkeitsprüfung.

Bundesgerichtshof, Urteil vom 11.6.2021; AZ – V ZR 234/19 –

Foto: Ирина Алексеенко

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