Ein im Januar 2023 ergangenes Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen hat wichtige Auswirkungen auf die Interpretation von sogenanntem sozialwidrigem Verhalten im Kontext von Jobcenter-Leistungen. Der Fall drehte sich um einen Langzeitarbeitslosen, der eine Stelle in einer anderen Stadt nicht antreten konnte, weil das Jobcenter nicht die erforderliche Unterstützung bot. Ein Arbeitsantritt sei in der Tat nicht möglich.
Der betroffene Mann, Jahrgang 1962, stammt aus Osnabrück und war bis 2003 als Buchhalter tätig. Nach dieser Zeit folgten Phasen von Arbeitslosigkeit und diversen Hilfsarbeiten. Obwohl er sich viele Jahre erfolglos auf Stellen als Buchhalter beworben hatte, erhielt er 2019 unerwartet einen Arbeitsvertrag für eine entsprechende Stelle in Düsseldorf.
Sein Arbeitsantritt scheiterte jedoch, da das Jobcenter die Übernahme der Mietkaution für seine neue Wohnung ablehnte, was einen notwendigen Umzug verhinderte. Im Jahr darauf forderte das Jobcenter die Rückzahlung von rund 6.800 Euro an Grundsicherungsleistungen, mit der Begründung, der Mann habe durch sein Ausbleiben vom Arbeitsantritt vorsätzlich ein Arbeitsverhältnis verhindert.
In seiner Verteidigung argumentierte der Mann, dass er nicht schuld an der Nichtannahme der Stelle war. Er konnte den Mietvertrag in Düsseldorf nicht unterschreiben, da er kein Geld für die Kaution hatte und noch nicht aus seinem alten Mietvertrag entlassen war.
Das Gericht stimmte der Argumentation des Mannes zu und entschied, dass das Nichtantreten einer Arbeitsstelle außerhalb des Tagespendelbereichs kein sozialwidriges Verhalten darstellt. Speziell, wenn der Arbeitsuchende am künftigen Beschäftigungsort keine Wohnung anmieten kann, weil ihm die Mittel für eine Mietkaution fehlen und das Jobcenter die Übernahme ablehnt.
Der Fall zeigt, dass bei der Beurteilung von sozialwidrigem Verhalten das Handeln und die Unterstützung durch das Jobcenter berücksichtigt werden müssen. In diesem speziellen Fall hat das Jobcenter den Mann „allein gelassen“ – ein vorwerfbares sozialwidriges Verhalten lag daher nicht vor.
Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 26.1.2023; AZ – L 11 AS 336/21 –
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